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Ausgabe:

März/2013

Spalte:

334–335

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Noormann, Rolf

Titel/Untertitel:

Ad salutem consulere. Die Paränese Cyprians im Kontext antiken und frühchristlichen Denkens.

Verlag:

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2009. 425 S. = Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 99. Geb. EUR 69,99. ISBN 978-3-525-55377-0.

Rezensent:

Stefan Freund

Rolf Noormanns Buch ist aus seiner 2007 in Heidelberg eingereichten theologischen Habilitationsschrift hervorgegangen. Cyprian gilt – und davon geht N. aus – als ein Kirchenvater, der sich zwar (beispielsweise zur Ekklesiologie) als fähiger Systematiker zu er­kennen gibt, in seinem Werk aber die Unterweisung der Gläubigen und anstehende pastorale Fragen in den Mittelpunkt stellt; man erklärt dies teils mit seiner Konzentration auf die bischöflichen Aufgaben, teils mit seiner römischen Herkunft, die ihn eher le­benspraktisch als spekulativ ausgerichtet sein lässt.
N. versucht nun, Cyprians Denken von innen heraus zu erfassen, und geht aus von der Paränese, worunter er die »praktische Unterweisung und Ermahnung der Gemeinde bzw. einzelner Gemeindemitglieder« (15) versteht. Die Paränese untersucht N. sowohl in ihrer Systematik als auch in Bezug auf ihre christlichen und paganen Einflussfaktoren. Mit diesem Blickwinkel kann sich N. klar von der äl­-teren Forschung absetzen, die, wie N. in seinem umfassenden Forschungsbericht (16–34) zeigt, vornehmlich systematische Einzelaspekte (z. B. das Verständnis des Bischofsamtes) oder Quellenfragen (z. B. das Verhältnis zu Seneca) erörtert hat. Damit steht N. freilich vor zwei methodischen Problemen – nämlich einerseits eine Systematik der Paränese zu erkennen und andererseits die paganen und christlichen Vorlagen zu erfassen. Die erste Aufgabe löst N., indem er ausgehend von der Grunderfahrung der Taufe neun Kernthemen cyprianischer Paränese abgrenzt, die er durch das Werk des Kirchenvaters verfolgt (35 f.). Heikler bleibt die Quellenproblematik, die dadurch entsteht, dass Cyprian nur die Bibel nennt und wörtlich zitiert; hier muss sich N. auf die von der Forschung bislang festgestellten An­klänge und motivischen Parallelen beschränken (38 f.).
Im Hauptteil des Buches widmet N. jedem der neun Kernthemen ein Kapitel. Im ersten geht N. vom Taufverständnis in der Schrift Ad Donatum aus. Darin blickt Cyprian in protreptischer Absicht auf die eigene Taufe zurück, die er als Abkehr vom verfehlten alten Leben und Beginn eines neuen an­sieht. N. zeigt in differenzierter Interpretation, wie Cyprian die Taufe zwar als radikale Abkehr von der Welt darstellt, dabei aber auf Denkmuster paganer Philosophie (Ataraxie und Autarkie des stoischen Weisen, kynische Weltverachtung) zurückgreift. Im zweiten Kapitel schildert N. den Spannungszustand, in dem sich nach Cyprian der Christ zwischen in der Taufe bereits erlangtem Heil und noch ausstehendem Erreichen des ewigen Heils befindet. Dem schon Erlangten entspricht dabei eine statische oder durative Paränese in der Aufforderung zum Verharren und im Verweis auf den in der Taufe erreichten Status, dem noch Ausstehenden eine dynamische: Der Christ bedarf der Anleitung und eigenen Anstrengung auf dem Weg zum Heil. Den Aspekt des Wachsens und Voranschreitens des Glaubens sieht N. dabei (anders als bei Tertullian) sekundär von der Metapher des Wegbeschreitens abgeleitet, nicht als eigenständiges Denkmuster. Im dritten Kapitel legt N. dar, wie sich Cyprian mit den Gefährdungen in diesem Spannungszustand auseinandersetzt: Der Ge­taufte muss die in der Taufe erlangte innocentia bewahren; das kann freilich in den Anfechtungen der Realität nur durch eine von der göttlichen Gnade gewährte Tauferneuerung gelingen, und zwar in Form mildtätiger Werke und des Gebets um Vergebung. In Kapitel 4 geht es um die praktisch-ethischen Folgerungen, die sich aus dem Getauftsein ergeben: Cyprian geht aus von der in der Taufe begründeten Gotteskindschaft, der »Zugehörigkeit zu Christus« (138) und der Begabung mit dem Geist. Daraus leitet er in einem argumentativ und syntaktisch (133 f.) festen Schema Anforderungen an den Getauften ab, etwa die imitatio Christi, wobei Christus bei Cyprian gleichermaßen als Erlöser und normatives Vorbild erscheint (142 f.). Ferner verbindet Cyprian mit der Taufe die Absage an die Welt und einen »Orientierungswech-sel« (155), für dessen paränetische Vermittlung N. bei Cyprian eine Mischung aus pa­gan-philosophischen (contemplatio caeli, rectus status) und neutestamentlichen (Schätze im Himmel) Motiven aufweisen kann (151–155). Kapitel 5 ist dem Verständnis des christlichen Daseins als Kampf mit dem Teufel und der Welt gewidmet – als Kampf, in dem sich die Christen zu beweisen haben (Christliches und Stoisches: tela diaboli und tela fortunae), indem sie sich auf die Angriffe des Widersachers mental vorbereiten und sich in standhafter Geduld üben. Beide Methoden des sich Wappnens verfolgt N. gleichermaßen ins Neue Testament wie in die stoische Tradition zurück. In Kapitel 6 fasst N. Cyprians Aussagen über das richtige Verhalten des Getauften gegenüber Gott zusammen. Für die Gottesfurcht und den Gehorsam gegenüber den Geboten, ebenso für die Forderung, Gott nicht zu missfallen ( displicere und offendere) erkennt N. biblische Vorgaben; den Gedanken des Erwerbens von Verdiensten (promereri, 238–243) bei Gott führt er hingegen auf pagane Einflüsse zu­rück. Die Fähigkeit, die Kämpfe zu bestehen (Kapitel 7), teilt Gott nach Cyprian dem Getauften als Gnadengaben nach der Maßgabe seines Glaubens zu. Das Kapitel 8 ist der Eschatologie gewidmet: Cyprian erwartet, im Einklang mit einem verbreiteten Niedergangsempfinden, das baldige Weltende, leitet daraus aber vor allem die Forderung nach Umkehr und Wachsamkeit ab. In ähnlicher Weise wird das Gericht, zu dem der Einzelne nach Cyprian unmit­ telbar nach dem Tod (ohne ›Zwischenzustand‹) ge­langt, vor allem in paränetischem Zusam­menhang erwähnt. Besonderen Wert legt N. auf die Feststellung, dass Cyprian zwar immer wieder mit dem Motiv des Lohns operiert, er dabei aber kein konsistentes System ab­gestufter Belohnung für Verdienste entwickelt (273–290). Das letzte Kapitel befasst sich mit der Paränese und dem Paräneten selbst: Cyprian geht aus von einem gottgegebenen Normensystem (ecclesiastica disciplina), das christlicher Unterweisung zugrunde liegt. Der Bi­schof ist dafür zuständig, die Gläubigen zur Befolgung dieser Lehre und damit zum Heil zu führen, ihm ist daher Gehorsam geschuldet. Abschließend fasst N. die Grundcharakteristika cyprianischer Paränese zusammen (343–366): Sie ist un­mittelbar mit dem Bischofsamt verbunden und steht, auch durch ihre Anknüpfung an Tertullian und Minucius Felix, in der Tradition der Kirche; sie stützt sich auf bei Seneca vorzufindendes stoisches Gedankengut, setzt sich davon aber in wesentlichen Positionen ab (355–359); in ihrem Mittelpunkt steht die Seinsweise des Christen in der Zeit, das heißt zwischen Taufe und der Erlangung des unverlierbaren Heils.
Insgesamt gelingt es N., ein an­schauliches Bild von der Theologie Cyprians zu zeichnen und neue Perspektiven zu eröffnen. Er überwindet die Konzentration auf die Amtsfrage und die Terminologie der älteren Forschung. Auch muss er, da seine Systematisierung sich aus Cyprians Werk und Denken entfaltet, dessen Lehre nicht anachro­nistisch in den Kategorien theologischer Traktate er­fassen. Be­merkenswert ist der Einfluss pa­gan-philosophischen Denkens, den N. für bestimmte paränetische Motive aufweist, aber auch in seiner theologischen Reichweite eingrenzt. Freilich wird aus der eingangs formulierten Erkenntnisabsicht, wie »›römisch‹« (13 und 35, gnomische Häkchen bei N.) die Paränese des Cyprian sei, in der Zu­sammenfassung die Erörterung eines »stoisch-senecaisch[en]« (359) Einflusses. Zur drängenden Frage nach einer Romanisierung des Christentums (bei Tertullian, Cyprian, Laktanz usw.) hat N.s vorzügliches Cyprian-Buch dennoch die Tür weit aufge­stoßen.