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Ausgabe:

März/2013

Spalte:

330–332

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Kisi, Rade

Titel/Untertitel:

Patria Caelestis. Die eschatologische Dimension der Theologie Gregors des Großen.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XIV, 293 S. = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 61. Kart. EUR 74,00. ISBN 978-3-16-150600-0.

Rezensent:

Heinrich Holze

Es handelt sich bei dieser Untersuchung um eine im Sommer 2010 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster angenommene Disser­tation, die auf Anregung von Alfons Fürst entstanden ist. Rade Kisic´ untersucht darin die Endzeitvorstellungen im Werk Gregors d. Gr. Die These, die in sechs Kapiteln entfaltet wird, lautet, »dass die Einsicht in die eschatologische Dimension seiner Theologie einen angemessenen Zugang zum gesamten Denken des Papstes bieten kann«.
Das erste Kapitel (»Die Zeitumstände«) beschreibt die politischen und sozialen Rahmenbedingungen zur Zeit Gregors. Sofern dabei Primärquellen zitiert werden, beschränkt sich K. auf die Texte Gregors, andere Quellen kommen nicht vor. Dadurch entsteht ein Bild des Übergangs der Spätantike zum frühen Mittelalter, das vor allem durch die Perspektive Gregors und seine kritische Darstellung der Byzantiner und Langobarden geprägt ist. Zugleich wird Gregor als selbstloser Mensch geschildert, der in seinem »unaufhörlichen Einsatz für die Kirche« nichts in der Absicht tat, »dadurch die päpstliche Macht zu vergrößern, sondern weil er durch die äußere Notwendigkeit dazu gezwungen wurde«. In dieser apologetischen Grundhaltung wird Gregors Theologie in den folgenden Kapiteln entfaltet.
Kapitel 2 (»Senectus mundi«) benennt den Topos der dem Ende entgegengehenden, alternden Welt, den Gregor, wie K. betont, »nicht nur aus der Tradition, sondern auch (und vielleicht vor allem) aus seiner Lebenserfahrung herleitete« und darum mit dringlichen Mahnungen an seine Leser versah. Kapitel 3 (»Loslösung von der Diesseitsorientierung«) stellt die Endzeitvorstellungen Gregors in einen weiten heilsgeschichtlichen Rahmen. Den Ausgangspunkt bildet die Ursünde, die den Menschen sich von Gott abwenden und der vergänglichen Welt anhängen lässt. Gregor ruft die Gläubigen auf, nach dem Vorbild Christi und der Heiligen der Welt zu entsagen und den zur patria caelestis führenden Weg der Vollkommenheit zu gehen. Zur Beschreibung des Weges greift Gregor auf das in der kirchlichen Tradition verbreitete Bild der Pilgerschaft des irdischen Lebens zurück und gibt damit seiner persönlichen Suche nach einem zurückgezogenen, beschaulichen Leben eine theologische Deutung. Kapitel 4 (»Caeleste desiderium«) rückt den Gedanken der Sehnsucht nach dem Himmlischen in den Mittelpunkt. Gregor verortet die Quelle der Sehnsucht in der schöpfungsgemäßen Bestimmung des Menschen zur Ebenbildlichkeit, womit das Streben nach Vollkommenheit als Streben nach Wiedererlangung des paradiesischen Zustandes gedeutet wird. Ka­pitel 5 (»Die Annäherung an die patria caelestis«) geht auf die As­pekte der gregorianischen Eschatologie ein, die sich aus dem soteriologischen Werk Christi ergeben. Christus ist durch Inkarnation, Kreuz und Auferstehung der Mittler zwischen Gott und Mensch, er ist zugleich der Lehrer, der den Menschen ihre von Gott zugedachte eschatologische Bestimmung erschließt und sie durch sein Wort auf den Weg der individuellen Erlösung führt. Nach Gregor ist es die Heilige Schrift, die als Gottes Wort in menschlicher Gestalt den Menschen aus der Welt der Sünde zu r patria caelestis zu führen vermag. K. weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Gregor der antiken Bildung nicht grundsätzlich ablehnend, wohl aber kritisch begegne. Was er fordere, sei eine »spiritalis intelligentia«, eine Erkenntnis, die durch die Offenbarung Gottes in Christus gewirkt werde. Kapitel 6 (»Patria caelestis«) entfaltet schließlich Gregors Lehre von der himmlischen Heimat als dem wahren Ziel und der endgültigen Erfüllung menschlichen Lebens.
Die patria caelestis sei die durch das Erlösungswerk Christi bewirkte Wiederherstellung der himmlischen Gemeinschaft zwischen Engeln und Menschen in der Kontemplation Gottes. Überblicken wir die bisherigen Kapitel, so bietet K. in ihnen eine Erzählung der gregorianischen Endzeitvorstellungen. Der thematische Bogen dieser Narratio spannt sich vom Leben (in) der alternden Welt über die von göttlicher Sehnsucht geprägte Pilgerschaft bis hin zur Heimkehr ins himmlische Vaterland. Das Schrifttum Gregors wird umfassend herangezogen. Es geht K. erkennbar darum, Gregor möglichst oft in seinem eigenen Wort zu Gehör kommen zu lassen. Dabei fällt auf, dass er zwischen den literarischen Gattungen der zitierten Schriften nicht unterscheidet, sondern Briefe, Homilien, Lehrschreiben und Kommentare unabhängig von ihren Entstehungsbedingungen und Adressaten heranzieht. Daran zeigt sich ebenso das systematisch-theologische wie das seelsorgerliche Interesse, das diese Untersuchung kennzeichnet und die Frage nach historischer Tiefenschärfe zurücktreten lässt. In einer bisweilen predigtartigen Sprache beschreibt K. den römischen Bischof an der Schwelle zum Frühmittelalter als einen geistlichen Wegführer, dessen Worte bis heute von Bedeutung seien. Weniger deutlich wird, wie K. seine Untersuchung in die Gregorforschung, die trotz eines ausführlichen Literaturverzeichnisses nur in Stichworten an­gedeutet wird, einordnet. Erst in der abschließenden Zu­sam­men­fassung gibt er eine theologiegeschichtliche Standortbestimmung. Dabei stellt er fest, dass Gregor nicht nur die aus der westlichen und insbesondere augustinischen Tradition überkommenen Themen in das Mittelalter tradiert, sondern diese auch »für seine Zeit und für seine Mitmenschen fruchtbar« gemacht habe. Die Pointe der Theologie Gregors zeige sich darin, dass er auf dem Hintergrund seiner Zeit vor allem die Themen aufgegriffen habe, die ihm »zur moralischen Belehrung des Volkes« wichtig schienen. In der asketisch-monastischen Prägung Gregors wie in der Deutung des irdischen Lebens als Pilgerschaft im Exil seien jedoch auch Einflüsse aus der östlichen Tradition greifbar, die durch ihn in das abendländische Denken eingeführt würden. Beides ist sicher richtig, aber durchaus schin bekannt. – So bleiben am Ende der Lektüre Fragen, auch wenn die interpretatorische Leistung, das Werk Gregors unter der thematischen Perspektive der Eschatologie zur Entfaltung gebracht zu haben, anzuerkennen ist.