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Ausgabe:

März/2013

Spalte:

329–330

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Drews, Friedemann

Titel/Untertitel:

Methexis, Rationalität und Mystik in derKirchlichen Hierarchie des Dionysius Areopagita.

Verlag:

Berlin u. a.: LIT 2011. 389 S. = Aktuelle Antike, 5. Kart. EUR 44,90. ISBN 978-3-643-11244-6.

Rezensent:

Beate Regina Suchla

Der christliche Autor Dionysius Areopagita lebte zwischen 476 und 518/28 zwischen Antiochien und Jerusalem in der Nähe der alexandrinisch geprägten Schule von Caesarea Palaestinae, das zu seiner Zeit zum Patriarchat Jerusalem gehörte. Dort verfasste er (mindes­tens) vier philosophisch-theologische Traktate und zehn Briefe, die ursprünglich in griechischer Sprache geschrieben sind und heute die Titel De divinis nominibus, De caelesti hierarchia, De ecclesiastica hierarchia, De mystica theologia und Epistulae eins bis zehn (Die Namen Gottes, Die Himmlische Hierarchie, Die Kirchliche Hierarchie, Die Mystische Theologie, Zehn Briefe) tragen.
Dionysius konzipierte mit diesen Schriften ein platonisches Denkmodell einer christlichen Welt, das einige Positionen des (Neu-)Platonismus an und in christliche Inhalte adaptierte und transformierte und damit zu einer Zeit, da einerseits der Athener (Neu-)Platonismus traditionell christenfeindlich war und anderseits das politisierte Christentum zunehmend platonismusfeindlich wurde und schließlich im Jahr 529 die platonische Akademie in Athen zwangsweise schließen ließ, griechische Philosophie unter den christlichen Glauben subsumierte. Dieses Denkmodell wurde kurz nach seiner Entstehung im sog. Corpus Dionysiacum Areopagiticum redigiert und kommentiert und sehr schnell als eine Art Zweite Heilige Schrift verstanden. Daher erzielte es seit seinem ers­ten Auftreten um 500 herum bis ins 21. Jh. hinein eine gewaltige Aufnahme und Wirkung, weshalb Dionysius Areopagita nicht nur als der bedeutendste christliche Denker der Spätantike gilt, sondern auch zu den faszinierendsten Gestalten des Chris­tentums zählt.
Trotz der philosophischen und theologischen Bedeutung des Areopagiten gibt es nur wenige ausführliche philosophisch-theologische Untersuchungen zu seiner Schrift De ecclesiastica hierarchia (Über die Kirchliche Hierarchie), weshalb D. versucht, diese Lücke durch das hier rezensierte Werk zu füllen. Um es vorwegzunehmen: Der Versuch gelingt, indem D. in das Thema Dionysius, Mystik und Rationalität einleitet (21–70), die Bedeutung und Funktion der Mystik in der Kirchlichen Hierarchie herausarbeitet (71–131), die sakramentalen Mysterienhandlungen (132–267) und den ordo ecclesiasticus (268–310) in das areopagitische Methexis-System einordnet, die die Kirchliche Hierarchie abschließende Totenweihe in den Kontext von Aufbau und Inhalt des Werks verortet (311–342), um letztlich die rationale Mystik, die rationale Gotteserkenntnis des Areopagiten zu erläutern (343–344), die Relevanz der Methexis-Konzeption am Beispiel der in der Kirchlichen Hierarchie abschließend behandelten Kindertaufe festzuschreiben (345–348) und die dialogische Schlussbitte im Kontext zu verankern (349–352). Das Buch gipfelt in einer Antwort auf die Frage, wie sich nach Dionysius Areopagita das überseiende Eine und Gottes Dreifaltigkeit in eins denken lassen (353–364). Es wird abgerundet durch eine »systematische Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse« (365–377) und eine Bibliographie (378–389).
In den wesentlichen Positionen muss man D. zustimmen: Die mystische Theologie des Areopagiten ist erkenntnistheoretisch zu verstehen, und die Traktate des Corpus Dionysiacum Areopagiticum werden durch diese erkenntnistheoretische Konzeption zu­sam-­men­gehalten (368 und 368, Anm. 843). Die spezifische Funktion der Kirchlichen Hierarchie ist dann in der hierarchisch geordneten und geleiteten Hinführung zu Gott zu sehen, für die es unterschied­liche Wege gibt, insbesondere den der in der kirchlichen Liturgie verwendeten sinnlichen Symbole, die qua Anteilhabe an dem symbolisierten Inhalt den menschlichen Geist zu Gott hinführen (369 f.). Die Hinführung zu Gott und seiner Er­kenntnis geschieht vor allem durch die Sakramente der Taufe, der Eucharistie und der Öl-Weihe, wobei das Sakrament der Eucharistie die Teilhabe an Gott und an seinem fleischgewordenen Sohn Jesus Christus in hervorgehobener und herausragender Weise verwirklicht (370–372).
Es gibt aber durchaus auch Positionen, denen man widersprechen darf: Wenn z. B. Dionysius Areopagita sagt, dass er nicht be­haupte, »dass es viele Ursachen und […] über- und untergeordnete Gottheiten gebe, sondern vielmehr, dass […] die von uns gefeierten Namen Gottes zu einem einzigen Gott gehören, und dass der eine die unbeschränkte Vorhersehung des einen einzigen Gottes offenbart, dass die anderen hingegen seine universelleren sowie seine nur teilweise verstatteten Vorhersehungsakte aufzeigen« ( De divinis nominibus 181, 16–21), dann geht es ihm nicht, wie D. meint (353 f.), »um eine Abwehr einer (in Dionysius’ Augen) polytheis­tischen Fehldeutung«. Vielmehr spricht Dionysius hier gerade nicht von »Göttern« (wie etwa Proklos in seiner Theologia Platonica III 3; 14,4), sondern von »über- und untergeordneten Gottheiten« und hat daher nicht einen Polytheismus im Blick, sondern die christliche und neuplatonische Konzeption göttlicher Hypostasen samt ihrer Einheit und Verschiedenheit. Damit aber steht er, der um einen Ausgleich zwischen neuplatonischem und christlichem Denken bemüht ist (s. o.), auf (neu-)platonischer Seite im Kontext der parmenideischen Hypotheseis und auf christlicher Seite im Kontext der trinitarischen Theologie.
Dennoch ist das Buch, eine überarbeitete Fassung einer Rostocker Habilitationsschrift, formal überzeugend gestaltet, sorgfältig und umsichtig recherchiert, philologisch und philosophisch-theologisch fundiert, stilistisch ausgefeilt und glänzend geschrieben. Es hat nur eine einzige, allerdings schon auf den ersten Blick sichtbare Schwäche: Es fehlen die für ein solches Werk unabdingbaren Indizes: ein Register der Personen und ein Sachregister. – Doch das sind Kritikpunkte, die den Glanz des Werkes nicht mindern. Das Buch ist ohne jede Einschränkung lesenswert. Es bietet reichen Gewinn und sollte in der Bibliothek eines jeden stehen, der sich für die Theologie und Philosophie des spätantiken Chris­tentums, für das 5. und 6. Jh., für den Denker und Theologen Dionysius Areopagita und insbesondere für die Mystik der Spätantike interessiert.