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Ausgabe:

März/2013

Spalte:

314–315

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Association catholique française pour l’étude de la Bible [Éd.]

Titel/Untertitel:

Les Hymnes du Nouveau Testament et leurs fonctions. XXIIe congrès de l’Association catholique française pour l’étude de la Bible (Strasbourg, 2007). Actes édités sous la direction de D. Gerber et P. Keith. Préface de H. Cousin.

Verlag:

Paris: Les Éditions du Cerf 2009. 490 S. = Lectio Divina, 225. Kart. EUR 37,00. ISBN 978-2-204-08702-5.

Rezensent:

Ralph Brucker

Der Band geht, wie bereits dem Untertitel zu entnehmen ist, auf eine Tagung im Jahr 2007 in Straßburg zurück. Anders als der bescheidene Titel zunächst suggeriert, wird das Thema der »Hymnen« im Neuen Testament in großer Breite entfaltet: Nach drei einführenden Beiträgen (zur Funktion von Hymnen in der antiken Literatur, zu einem Hymnus in der Gemeinderegel von Qumran und zum Stand der Erforschung von »Hymnen« im Neuen Testament) enthält der Band 13 neutestamentliche Artikel und erweitert dann den Horizont in acht weiteren Beiträgen nach rückwärts und vorwärts (»en amont et en aval« – vom Alten Testament und antiken Judentum bis zu den altkirchlichen »Apostolischen Konstitutionen«). Dabei erweist er sich als eine eindrucksvolle Momentaufnahme der gegenwärtigen Forschung zum Thema. Gab es von den Anfängen seit Ernst Lohmeyer (Kyrios Jesus, 1928) bis zu den 1960er Jahren einen breiten optimistischen Konsens, aus den neutestamentlichen Texten liturgische Stücke und »Hymnen« rekonstruieren zu können, so ist besonders seit den 1980er Jahren aufgrund der methodischen Unsicherheit eine zunehmende Skepsis zu verzeichnen. Wie Thomas P. Osborne in seiner ausgezeichneten Einführung in die Geschichte und den Stand der Forschung (57–80) feststellt, wird der Terminus »Hymnen« in neueren Publikationen häufig in Anführungszeichen gesetzt oder mit einem Fragezeichen versehen oder ganz vermieden – was auch für viele Beiträge des vorliegenden Bandes gilt (79 f.). Daher richtet sich das Interesse der aktuellen Forschung mehr auf die literarische Funktion der betreffenden Passagen im Kontext der jeweiligen Schrift als auf die Rekonstruktion ihrer »ursprünglichen« Gestalt.
Neben dem Beitrag von Osborne sind besonders der Überblicksartikel von Yves Lehmann zur Funktion von Hymnen in der antiken Literatur (19–37) und der übergreifende Beitrag von Jean-Noël Aletti zu den neutestamentlichen Passagen in rhythmischer Prosa (239–263) als Einstiegslektüre zu empfehlen.
Die bei Aletti im Überblick behandelten Texte werden in den neutestamentlichen Einzelbeiträgen des Bandes eingehender betrachtet, wobei sich stets der Vergleich lohnt. Es finden sich Artikel zu den »Klassikern« der Hymnenforschung Phil 2,6–11 (Élian Cuvillier, 137–157), Kol 1,15–20 (Andreas Dettwiler, 325–340), Joh 1,1–18 (Jean-Marie Sevrin, 309–323), ferner zu den »hymnischen Er­weiterungen« im Epheserbrief (Chantal Reynier, 119–136), den »hymnischen Elementen« in 1Petr 1,3–2,10 (Jacques Schlosser, 179–208), und den »hymnischen Passagen« in der Johannesoffenbarung (Michèle Morgen, 209–237). Während Phil 2,6–11 von Cuvillier und Kol 1,15–20 von Dettwiler gemäß dem traditionellen Konsens als Zitate ursprünglich selbständiger Texte angesehen werden (vgl. dagegen Aletti, 244 f.258.260 f.), überwiegt bei den anderen Beiträgen ein synchronischer Ansatz. Einen Beitrag zu dem ebenfalls einschlägigen Text 1Tim 3,16 (der wohl tatsächlich ein Zitat eines Bekenntnistextes ist) gibt es nicht, dafür aber einen zu 2Tim 2,8.11–13 ( Michel Gourgues, 159–178). Das Spektrum wird erweitert durch einen Beitrag über 1Kor 13 als epideiktischer Exkurs im symbuleutischen Rahmen von 1Kor 12–14 (Camille Focant, 99–118) und einen zu den Psalmen-Zitaten und -Anspielungen im Matthäusevangelium (Gérard Claudel, 267–280). Gleich drei Beiträge widmen sich den Cantica in der Kindheitsgeschichte des Lukasevangeliums (Thomas P. Osborne, 281–294; Nathalie Siffer, 295–308; zum Lied des Symeon Daniel Gerber, 83–98) und stellen deren enge Einbindung im Rahmen des Evangeliums wie auch der Apostelgeschichte dar. In diesem Zusammenhang wird auch die Abfassung der vier Stücke durch den Verfasser des lukanischen Doppelwerkes für möglich bzw. wahrscheinlich gehalten – sie wären dann ein literarisches Gegenstück zu den Reden in der Apostelgeschichte (97.293 f.307 f.; diese Meinung auch bei Aletti, 243 f.).
Als »Bonusmaterial« bietet der Band noch Beiträge zum Moselied Dtn 31,1–32,47 (Françoise Laurent, 343–358), zum Deboralied Ri 5 (Raymond Kuntzmann, 359–372), zum Gebet des Asarja Dan 3,26–45 LXX (in zwei Teilen: Jan Joosten, 373–384; Eberhard Bons, 385–397), zu Texten aus Qumran (Claude Coulot, 39–55, und Jean Duhaime, 399–418), zum Targum von Hab 3 (Thierry Legrand, 419–444) und zu den altkirchlichen »Apostolischen Konstitutionen« (Marcel Metzger, 445–460) sowie einen textübergreifenden Artikel zur identitätsstiftenden Funktion des Dankgebets (Jean Duhaime, 463–485).
Insgesamt liegt ein Aufsatzband auf der Höhe der Zeit vor, der die künftige Forschung zu den hier betrachteten, nicht nur »hymnischen« Textpassagen bereichern wird. Leider sieht die Reihe »Lectio divina« keine Register vor; diesem Band wären wegen der vielen behandelten Aspekte und Texte welche zu wünschen gewesen.