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Ausgabe:

März/2013

Spalte:

312–313

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Moore, Megan Bishop, and Brad E. Kelle

Titel/Untertitel:

Biblical History and Israel’s Past. The Changing Study of the Bible and History.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2011. XVII, 518 S. Kart. US$ 46,00. ISBN 978-0-8028-6260-0.

Rezensent:

Markus Witte

Neue Ansätze in den Bibelwissenschaften, die verstärkte Integration sozial- und kulturwissenschaftlicher Zugänge in die Exegese und naturwissenschaftlicher Methoden in die Archäologie sowie spektakuläre Funde, wie z. B. die aus dem 9. Jh. v. Chr. stammende aramäische Inschrift vom Tell Dan, haben seit den 1970er Jahren zu einer grundlegenden Problematisierung der Darstellung einer Geschichte des alten Israel geführt. Annähernd alle wesentlichen Antworten auf Grundfragen der Geschichte Israels im 2. und 1. Jt. v. Chr., die sich noch vor einer Generation eines gewissen Konsenses erfreuen konnten, sei es die Interpretation des vorstaatlichen Israel als eines Stämmebundes (»Amphiktyonie«), des frühen Königtums als Etablierung eines »Großreich Davids und Salomos«, des babylonischen Exils als scharfe Diastase zwischen altem Israel und beginnendem Judentum oder der Perserzeit als dunkler, epigonenhafter Epoche, sind inzwischen obsolet geworden oder bedürfen zumindest radikaler Modifikationen. Angesichts der Ausdifferenzierung der literaturgeschichtlichen und archäologischen Ergebnisse sind – zumindest vorläufig – an die Stelle einer aus einer Hand stammen­den, umfassenden Gesamtschau umfangreiche Monographien und Sammelbände zu den Prolegomena und zu einzelnen Jahrhunderten oder Epochen (zumal der neubabylonischen und der persischen Zeit) getreten. Für nicht unmittelbar mit Fragen der Geschichte Israels befasste, an dieser aber gleichwohl interessierte Leser ergibt sich dadurch ein einigermaßen unübersichtliches Bild.
An diesem Punkt setzen M. B. Moore, ein der Wake Forest University (Winston-Salem, North Carolina) angeschlossener Forscher, und B. E. Kelle, Professor für Altes Testament an der Point Loma Nazarene University (San Diego California), an und bieten eine di­daktisch gut aufbereitete kritische Sichtung der Forschungen zur Geschichte Israels seit den großen Paradigmenwechseln in den zurückliegenden 40 Jahren. Die beiden Verfasser liefern eine ausgewogene Darstellung der Vielfalt der neueren methodischen Zugänge von der Redaktionsgeschichte über die Sozialgeschichte bis zur Feministischen Theologie und zum Postcolonian Criticism, stellen Grundfragen und -erkenntnisse der »biblischen Archäologie« seit den 1970er Jahren vor und führen gut in wichtige hermeneutische Probleme der modernen Historiographie ein. Dabei wird der Fließtext immer wieder durchbrochen durch knappe Exkurse zu bedeutenden Persönlichkeiten der alttestamentlichen Forschung und zu den von diesen vertretenen Modellen und Thesen, zu einzelnen exegetischen und archäologischen Methoden sowie zur Chronologie. Jedes Kapitel schließt mit Fragen zur Kontrolle des Gelesenen, mit Anregungen zur Diskussion, beispielsweise in einem studentischen Seminar, sowie mit Hinweisen zu vertiefender Lektüre. Hinzu kommen geographische, politische und archäologische Karten, Zeittafeln, ein Sach- und Namensregister sowie eine ausführliche Abschlussbibliographie.
Diese listet zwar auch einschlägige neuere nicht englischsprachige Literatur auf. In der Darstellung und bei den Hinweisen zur Vertiefungsliteratur spielen aber neuere nicht englischsprachige Studien zur Literargeschichte der historischen Bücher des Alten Testaments, zum Charakter der alttestamentlichen Historiographie und zur Palästinaarchäologie fast bzw. gar keine Rolle. Das Standardwerk von Helga Weippert (Palästina in vorhellenistischer Zeit, Handbuch der Archäologie II/1, 1988) scheinen die Verfasser ebenso wenig zu kennen wie die »Ikonographie Palästinas/Israels« (2005 ff.) von Silvia Schroer und Othmar Keel. Die Impulse, die gerade von der Berücksichtigung der vorderorienta­lischen Bildwelt auf die Rekonstruktion der Geschichte und Religionsgeschichte Israels, aber auch auf grundlegende hermeneu­tische Fragen der Geschichtsschreibung ausgehen, werden leider nicht erwähnt.
Die Einführung (1–42) problematisiert das Verhältnis von »Bib­-lischer Geschichte«, verstanden als das von den biblischen Büchern konstruierte Bild der Geschichte Israels, und »Geschichte Israels/ Palästinas/Kanaans«, verstanden als historische Rekonstruktion der materialen Kultur und der politischen Ereignisse Syrien-Paläs­tinas im 2./1. Jt. v. Chr. im Kontext der Geschichte und Kultur des gesamten alten Vorderen Orients. Die Fokussierung auf den Be­trachtungsraum von den Erzeltern bis in die persische Zeit begründen die Verfasser damit, dass durch die geschichtlichen Bücher der Hebräischen Bibel bzw. des Alten Testaments genau dieser Zeit­raum abgedeckt werde. Dass die Redaktionsgeschichte aller Schriften, die in der Hebräischen Bibel versammelt sind, in mehr oder weniger starkem Umfang bis in die hellenistische Zeit ragt, dass der kulturelle Übergang zwischen persischer und hellenistischer Zeit trotz politischer Neuordnungen im Vorderen Orient durch Alexander d. Gr. und seine Nachfolger fließend war und dass zumindest in den deuterokanonischen Büchern (vgl. besonders 1/2Makk) die hellenis­tische Zeit explizit reflektiert wird, kommt leider nicht in den Blick. Insofern ist die Beschränkung der nachexilischen Zeit auf die Perserzeit (so das Schlusskapitel des Buchs) misslich.
Programmatisch für das gesamte Buch sind die in der Einführung genannten Leitfragen 1. nach dem Quellenwert und Quellenstatus der Bibel, 2. nach der Beziehung zwischen biblischen und außerbiblischen Quellen, zwischen Exegese, Archäologie, Soziologie und Anthropologie, 3. nach dem Verhältnis zwischen biblischem Israel und »historischem antiken Palästina, 4. nach der Relation zwischen literaturgeschichtlicher Erforschung der Bibel und historischer Erforschung der Geschichte Israels und 5. nach dem Einfluss postmoderner kultur- und sozialwissenschaftlicher Perspektiven auf die Darstellung der Geschichte Israels. Mit diesen Fragen im Gepäck folgt die forschungsgeschichtlich und problemorientierte Darstellung der Zeit der Erzeltern (43–76), des Auftauchens Israels in der Geschichte (»Exodus«, »Sesshaftwerdung«, 77–144), der Monarchie (aufgeteilt auf je ein Kapitel zu den biblischen und außerbiblischen Quellen, zu David und Salomo und zu den eisenzeitlichen Königtümern in Israel und Juda, 145–333), der neubabylonischen Zeit (334–395), deren besonderes Profil erst in der neueren Forschung deutlich ins Bewusstsein gedrungen ist, und der Perserzeit als der kultur- und religionsgeschichtlich formativen Phase für das sich aus dem alten Israel entwickelnde Judentum (396–464).
Zusammenfassend betonen die Verfasser zum einen die Bedeutung, die eine historisch-kritische und literaturgeschichtlich ausgerichtete Exegese der biblischen Texte für die Rekonstruktion der Geschichte Israels und für das eigentliche theologische Verständnis dieser Texte besitzt. Zum anderen skizzieren sie die Parameter für eine künftige Gesamtdarstellung einer Geschichte Israels, die sich nur im Zusammenspiel von Quellenkritik, archäologischen Analysen, Klimaforschung und Technikgeschichte, Ethnizitäts-, Migrations-, Identitäts- und Traumaforschung sowie Gender-Forschung und philosophisch-ideologischen Studien rekonstruieren lasse (465–475). Dabei kennzeichnen die Verfasser zu Recht die »Biblische Geschichte« als eine Unterdisziplin der »Geschichte Israels«, die ihrerseits eine Teildisziplin der Geschichte Syrien-Palästinas und des Alten Orients (einschließlich Ägyptens) ist. Ganz sachgemäß weisen sie darauf hin, dass das Ziel einer »Geschichte des alten Israel« nicht darin besteht, die »biblische Geschichte« zu verifizieren, sondern mittels umfassender historischer und sozialwissenschaftlicher Analysen die Siedlungs-, Kultur-, Sozial- und Ereignisgeschichte Syrien-Palästinas von der Spätbronzezeit bis zur Epoche des Zweiten Tempels aufzuzeigen.