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Ausgabe:

April/1996

Spalte:

350 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lugt, Pieter van der

Titel/Untertitel:

Rhetorical Criticism and the Poetry of the Book of Job.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1995. XVI, 548 S. gr. 8o = Oudtestamentische Studien, 32. Lw. hfl. 230.­. ISBN 90-04-10326-0.

Rezensent:

Hans Strauß

Nach mehreren Einzeluntersuchungen gleichen Genres zum Buch Hiob in den 80er Jahren legt Pieter van der Lugt (Universität Kampen) nun eine strophisch-metrisch-syntaktisch-stilistische Gesamtuntersuchung des Buches vor. Er ist wie viele Kommentatoren der Meinung, daß eine Gesamtanalyse und Charakteristik des Buches Hiob auch strukturell keineswegs einfach gefunden werden könne, daß aber dies nicht von der Beachtung gewisser versmäßiger Entsprechungen, Parallelismen, Gruppierung von Hebungen und Wiederaufnahmen in den poetischen Teilen in je kleinerem und größerem Umfang, von Kapitel zu Kapitel und darüber hinaus in wiederkehrenden Mustern (pattern), die in Form und Inhalt zusammenwirkten (rhetorical criticism), entbinden könne. Man müsse das, was in früheren Arbeiten etwa nur als stilistisch-inhaltliche Abschnitte einerseits oder nur als Strophen im metrischen Sinne andererseits aufgezeigt wurde, von den kleinen (Grund-)Einheiten (2 oder 3 Versteile = "line") über deren Sinngruppierung jeweils im Kapitel mit der Wiederholung von Lexemen und Syntagmata zusammen sehen und könne so auch zur Bestimmung einer Makrostruktur von Kapitelgruppen im Zusammenhang des Buches kommen.

Teil I bietet einen kurzen Überblick über die Forschung bisher in dieser "strophischen" Richtung mit kritischem Gefälle auf die umfassendere Strukturerfassung hin. Teil II überblickt und analysiert den sog. 1. Redegang Hiob 4-14 zusammen mit dem einleitenden Kap. 3 und den einzelnen Redekapiteln Hiobs und seiner Freunde. Teil III nimmt in der Einzelanalyse als sogenannten 2. Redegang Hi 15-26 und Hi 40,1-5 zusammen. Teil IV sieht Hi 27-31 und 38-41 als sog. 3. Redegang zusammen mit Hi 42, 1-6. Teil V stellt die Elihureden Hi 32-37 als unbestreitbares Zusatzstück in strophisch-stilistisch-inhaltlicher Kurzanalyse gewissermaßen für ausführlichere Exegese ("for further study") bereit. Teil VI stellt aus den bisherigen Ergebnissen die Übersicht über die Makrostruktur mit Vers-(Umfang-)Gruppierungen, Ein- und Ausleitungen und deren Funktionszusammenhängen mit dem (jeweiligen) Aussagewillen her. Und Teil VII, der laut Autor zum besseren Verständnis seines Beitrages zur Hiobauslegung zuerst gelesen werden soll, zeigt, wie das gesamte Hiobbuch sich nun für L. strukturiert (508):

Nach der Prologerzählung (Kap. 1-2) und Hiobs Eröffnung (3) umfaßt die Diskussion zwischen Hiob und seinen drei Freunden zunächst nur zwei Redegänge: die Kapitel 4-14 und 15-26. Der dritte "Redegang" Kap. 27-31 mit 38-41 beinhaltet ein Gespräch zwischen Hiob und Gott. Zum Unterschied vom ersten und dritten Redegang zeigt der zweite Redegang nicht eine auf- oder absteigende oder abwechselnde, sondern eine "konzentrische" Struktur; die Diskussion zwischen Sophar und Hiob (Kap. 20-21) bildet formal und inhaltlich den Dreh- und Angelpunkt dieses zweiten Redeganges. Daneben ist die Struktur des ersten wie des zweiten Redeganges wesentlich von Reden Hiobs selbst bestimmt, während man den dritten Redegang, das Gespräch zwischen Hiob und Gott in den Kap. 27-31 mitsamt 38-41, als eine spätere Hinzufügung zu der Diskussion zwischen Hiob und seinen drei Freunden anzusehen hat. Diese Makrostrukturierung untermauert sich für L. außer der Zuordnung der Kapitelgruppen in ihrem (jeweiligen inhaltlichen) Aussagecharakter vor allem durch das Zählungsergebnis, daß jeder Redegang, genau gleich, 270 Versgrundeinheiten ("lines of Hebrew poetry") aufweise. So ist es ihm auch noch einmal wichtig zu unterstreichen, daß Hi 25-26 Hiobs Abschlußrede des zweiten Redeganges, die Kap. 15-26 einen kompletten zweiten Redegang, Kap. 27-28 Hiobs Eröffnung des dritten Redeganges und auch dieser ein relativ selbständiges Gebilde ­ durchweg dies alles entgegen den meisten herkömmlichen Auffassungen ­ darstellten. Hilfreich ist am Ende des Buches außer dem ausgewählten Literaturverzeichnis eine kleine Auflistung bzw. Näherbestimmung der Termini technic., die dieser "formaltheoretische" Ansatz, wie der Rez. ihn zunächst in deutsche Übersetzung fassen möchte, bezeichnenderweise erforderlich macht.

In diesem Ansatz selbst, der sich um eine Gesamtkonturierung des Buches Hiob bemüht und dabei an vielen Stellen weitere Bezüge und Gegenbezüge zwischen Form und Inhalt in kleinen und größeren Kontexten sichtbar macht, liegt zweifellos der Beitrag zur Exegese des Hiobbuches. Daß im Rahmen des nach wie vor schwierigen Kapitels der "Hebrew poetry" die metrische Einteilung (und Umstellung) in womöglich noch gleichlange "Strophen" für eine sachgemäße Analyse keinesfalls mehr ausreicht, ist allein durch den Gesamtversuch L.s endgültig erwiesen. Im übrigen nähert er sich vielleicht den Sachverhalten eher an als sie umfassend zu klären, wenn z. B. eine (herkömmliche) Rekonstruktion eines dritten Redeganges (als Hiob-Freunde-Dialog) gar nicht erst versucht wird noch in die Annahme mehrerer Redaktionen um des Ganzen des Hiobbuches ausgewichen werden kann. Im ganzen ist aber die vorgeschlagene Analyse zu einseitig, besser: zu sehr auf einer (programmierbaren) Ebene liegend. Hinzu tritt kritisch trotz aller hier vorgenommener, formalistischer Vorfixierungen die bleibende Unsicherheit der tatsächlichen Zählung der metrischen Hebungen. Und selbst wenn man einmal, was grundsätzlich literargeschichtlich nicht besonders wahrscheinlich erscheint, vom Makroprojekt der (je) 270 "lines" ausgeht, müßte dennoch an jeder Stelle erneut nachgeprüft werden, ob durch Erwägungen auf form- und traditionsgeschichtlichem Hintergrund oder die Variationsmöglichkeiten innerhalb der semantischen Signale selber oder auch durch nur relativ wenige, aber doch vorhandene kleine Nacharbeitungen sich die Akzente veränderten und damit die (mehrfache) Symmetrie ins Wanken geriete. Der Rezensent begrüßt eine Arbeit, die zur "rhetorischen" Wahrnehmung an den Texten und Textgruppen weit über z. B. nur metrische Beobachtungen hinaus anregt, als sachgemäße Analyse des ganzen Buches Hiob wie auch seiner größeren Infrastrukturen aber noch nicht überzeugen kann.