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Ausgabe:

März/2013

Spalte:

307–310

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Heckl, Raik

Titel/Untertitel:

Hiob – Vom Gottesfürchtigen zum Repräsentanten Israels. Studien zur Buchwerdung des Hiobbuches und zu seinen Quellen.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. X, 528 S. = Forschungen zum Alten Testament, 70. Lw. EUR 114,00. ISBN 978-3-16-150337-5.

Rezensent:

Melanie Köhlmoos

Die Arbeit von Raik Heckl wurde 2008 in Leipzig als Habilitationsschrift angenommen. Für den Druck wurde sie überarbeitet und um ein Kapitel zu Hi 28 erweitert. In fünf Kapiteln und einer Einleitung geht H. der Frage nach, »wie das Verhältnis der formal zu unterscheidenden Teile des Hiobbuches zu erklären ist« (1), mit anderen Worten, wie es zu der durchaus eigenartigen Verbindung von Prosarahmen und Dialogdichtung kommt. Dabei ist H.s Arbeitshypothese, dass der Prosarahmen des Hiobbuches gezielt für die Rahmung und (Neu-)Deutung einer schon vorliegenden Dialogdichtung verfasst wurde. Diese Annahme, die zuletzt wieder von Syring, van Oorschot und Schmid gemacht wurde, will H.s Arbeit systematisch verifizieren. Die Einleitung (1–16) formuliert diese Fragestellung, die Forschungsgeschichte und methodische Prämissen. H. bemerkt den (durchaus auffallenden) Sachverhalt, dass die formale Fundamentaldifferenz in der neueren Hiob-Forschung keine Rolle mehr spielt – allenfalls die inhaltliche Spannung der unterschiedlichen sozialen Milieus und der Figuration Hiobs würden noch in Anschlag ge­bracht. Vor allem redaktionsgeschichtliche Arbeiten, die eine oder mehrere (Nach-)Bearbeitungen eines bereits aus Rahmen und Dichtung bestehenden Buches zeigen, erweisen sich H. zufolge problematisch: Sie gehen über die formalen und inhaltlichen Differenzen zwischen Rahmen und Dichtung hinweg.
Methodisch bedeutet dies, die formale und inhaltliche »Kohärenzstruktur« (9) von Rahmen und Dichtung getrennt voneinander zu erheben und in einem zweiten Schritt nach den jeweiligen Bezügen zu fragen. Bei diesem Verfahren klammert H. die Frage nach der Vorgeschichte der beiden Textteile dezidiert aus, angefangen bei einer möglichen Hiob-Überlieferung bis hin zu Fragen des Textwachstums sowohl der Dichtung als auch des Rahmens.
Der eigentlichen Analyse sind theoretische »Vorüberlegungen zum Verhältnis von Rahmenerzählung und Dichtung« (Kapitel 1, 17–30) vorangestellt. H. unterstreicht, dass die Fundamentaldifferenz zwischen Poesie und Prosa besteht, nicht zwischen Rede und Erzählung: Die wörtlichen Reden des Hiobrahmens sind Prosareden, wohingegen die Redeeinleitungen des Dialogs (mit Ausnahme von Hi 31,40) aufgrund der Parallelformulierung als Poesie aufzufassen seien.
Eine »sekundäre erzählerische Rahmung von Traditionselemen­ten« (27) lässt sich auch anderswo im Alten Testament nachweisen: Einbettung der Gesetze in die Tora, prophetische Bücher usw. Die formalen Differenzen sichert H. auch inhaltlich ab: Die »Erzählstruktur des Dialogs« stelle die Frage nach der »Herkunft des Übels« (29 ff.), wohingegen der Dialog das »Problem des Leidens« entfalte und somit eine narrative Retardierung darstelle.
Kapitel 2 (31–220) bildet als Untersuchung der »Kohärenz, Intention, und Funktion der Dichtung« den ersten Hauptteil der Arbeit. Das Problem der Zuordnung von Hi 3 löst H. auf dreifachem Weg: Die fehlende Anrede erklärt sich aus der Anfangsstellung, 3,1 ist ein redaktioneller Klammervers, in 3,2 schließlich muss ʻānāh als »Eröffnung einer Streitrede« aufgefasst werden (40–46). Anhand der Redeeinleitungen ist der Dialog dreiteilig: Hi 3,2–31,40b; 38,1–40,5; 40,6–42,6. Für diese Dialogdichtung wird vorausgesetzt, dass sie qua Poesie »einem eher assoziativen denn logischen Progress folgt« (44) und deren Inhalt außerdem durch die Dialogform bestimmt wird. Kommunikation und Inhalt der Reden sind demzufolge gleichrangig zu behandeln. Für Einzelheiten muss auf die außerordentlich dichte Analyse selbst verwiesen werden. Darin verfolgt H. drei Spuren: erstens die Kohärenz des Dialogs als Dialog, zweitens mögliche Bezüge des Dialogs auf die Erzählung und drittens die inhaltliche Struktur des Dialogteils.
Bezüge des Dialogs auf die Erzählung lassen sich laut H. nicht nachweisen, häufiger aber »massive Diskrepanzen« (176), vor allem in Milieu und Setting. So steht die Dialogdichtung kommunikativ und inhaltlich in sich selbst. Hinsichtlich der kommunikativen Struktur vermerkt H., dass formale Beobachtungen durch inhaltliche ergänzt werden müssen. Da die Reden Hiobs sowohl an Gott als auch an die Freunde gerichtet sind, ist die Kommunikation Hiobs mit Gott als »übergeordnete dialogische Struktur« aufzufassen. Der Dialog Hiobs mit den Freunden dient dazu, »von der Klage über Gott in die Anklage, aber auch in die artikulierte Hoffnung auf Gott« (181) zu führen. Die Freundesreden haben die spezielle Funktion, Gott zu vertreten, so dass Hi 3–31* eine stellvertretende Auseinandersetzung zwischen Hiob und Gott mit teilweise gerichtlichen Zügen« (139) darstellt. Die Gottesreden Hi 38,1–40,2; 40,8–14 widerlegen Hiobs Vorwürfe der chaotischen Schöpfung und der Beteiligung Gottes am Bösen. Da es sich um eine direkte Kommunikation Gottes mit Hiob handelt, fühlt sich dieser getröstet.
Aus der dialogischen Struktur der Dichtung ergibt sich für H. eine »Kultur des theologischen Diskurses« (205) als ihr Hintergrund. Der Dialog ahmt juridische Sprache nach, der an entscheidenden Stellen Bezüge zum Dtn aufweise, daher geht es im Hiobdialog um die Abweisung des dtn-dtr Zusammenhangs von Schuld und Strafe. Gleichzeitig wird dem Bösen sein Platz in einem mythologischen Erklärungsmodell erhalten.
In Kapitel 3 (221–337) erhebt H. »Kohärenz, Intention und Funktion der Rahmenerzählung«; die Untersuchung des Hiobrahmens wird mit einer Analyse der »literarische[n] Querbezüge der Rahmenerzählung« (Kapitel 4: 338–444) fortgesetzt.
Narrativ und inhaltlich setzt der Rahmen die Dichtung voraus, ist also nicht eigenständig und daher »eine interpretierende Auslegung der in sein eigenes Konzept integrierten Dichtung« (321). Das Konzept des Rahmens ist paradigmatisch zu lesen: »Der Fromme soll – so das Ideal – ohne Aussicht auf Segen und auch im Leid bis hin zur Infragestellung seiner körperlichen Integrität an seiner Gottesbeziehung festhalten« (322). Im Epilog kann der so erfolgreich geprüfte Hiob Fürbitte leisten und restituiert werden. Die unleugbaren formalen und thematischen Diskrepanzen zwischen Rahmen und Dichtung erklären sich für H. als absichtliche »partielle und teilweise differente Rezeption der Dichtung durch den Rahmen« (361). Der Rahmen will und soll dem Leiden einen Sinn geben und die Hiobgeschichte nachdrücklich jhwh-isieren. Dies geschieht vor allem durch eine gezielte Anknüpfung des Rahmens an die Abrahamsgeschichte: als neuer Abraham ist Hiob Modell für ein Israel, das in einer idealen Gottesbeziehung steht. Vertieft wird diese Theologie noch dadurch, dass Hiob gezielt als Gegenfigur Elis aufgebaut wird. Der Hiobrahmen entwirft somit eine tempelkritische Diasporatheologie.
Kapitel 5 (445–469) skizziert das »Zeugnis der Elihureden für die Literargeschichte des Hiobbuches«; H. schließt sich der Ansicht an, dass Hi 32–37 ein spätes Stadium des Buches repräsentieren. Kapitel 6 (470–478) bietet eine abschließende Zusammenfassung.
Eine Studie über das ganze Hiobbuch ist unbedingt positiv zu würdigen, zumal H. dem verbreiteten Trend zur Redaktions- bzw. Kompositionsgeschichte eine tendenziell literarische Orientierung entgegensetzt. Die Textanalysen enthalten eine Fülle erwägenswerter Einzelbeobachtungen. Gleichwohl kann das von H. vorgelegte Ergebnis nicht wirklich überzeugen. Vor allem methodisch bleibt hier vieles unklar:
Es fehlt eine nachvollziehbare Grundentscheidung zwischen »Poesie« und »Prosa« bzw. zwischen »Erzählung« und »Dichtung« (23 f.). Dass »für einen Erzähltext eine andere Weise der Rezeption intendiert sein dürfte als für einen poetischen Text« (25), bleibt ein Postulat, das genauso wenig plausibilisiert wird wie die These, in einem poetischen Text sei mit »assoziativer statt mit logischer Anordnung zu rechnen« (37). Überdies führt H. mit der »dialogischen Form« ein weiteres Strukturelement ein (37), das weder theoretisch noch methodisch vertieft wird. Dadurch bringt H.s Untersuchung der dialogischen Struktur des Dialogs gegenüber vergleichbaren Studien (K. Engljähringer, SBS 198; A. Scherer, BThSt 98; M. Köhlmoos, FAT 25) keinen nennenswerten Erkenntnisgewinn. Da H. in seinen Textanalysen keine Gliederungen vornimmt, sind die jeweiligen Ergebnisse denn auch schwer überprüfbar. Ähnlich methodisch unklar ist die Erhebung von Text-Text-Bezügen, so dass der literarisch-theologische Durchgang von Kapitel 4 nicht überzeugt. Eine Klärung des literarischen und theologischen Verhältnisses des Hiobdialogs zu seinem Rahmen steht daher weiterhin aus.