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Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

251–253

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Menke, Karl-Heinz

Titel/Untertitel:

Sakramentalität. Wesen und Wunde des Ka­tholizismus.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2012. 360 S. 22,0 x 13,8 cm. Geb. EUR 29,95. ISBN 978-3-7917-2425-6.

Rezensent:

Bernd J. Claret

In seinem neuesten Buch geht es dem Bonner Dogmatiker Karl-Heinz Menke um eine »Analyse des Katholizismus« (47), genauer um eine mit einer klärenden Kontrastierung verbundene Offenlegung und gleichzeitige Plausibilisierung der katholischen Denkform, die prinzipiell allem theologischen und lebenspraktischen Denken im Katholizismus zugrunde liegt, ohne deren Verständnis jedenfalls das Wesen, aber auch die immer wieder aufbrechende Wunde desselben nicht verstanden werden können.
Für das ökumenische Gespräch ist dieses aufschlussreiche Buch vor allem aufgrund seiner großen Klarheit und Entschiedenheit wertvoll, zugleich aber auch in einem sehr hohen Maße provokant, und zwar gleichermaßen für ein protestantisches wie katholisches Denken.
Die entscheidende »Grunddifferenz […] zwischen Katholizismus und Protestantismus, nicht aber zwischen der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen« (20) sieht der Vf. in einer markant-unterschiedlichen, durch keinen noch so gut gemeinten Dialog der Verständigung zu übertünchenden »Denkform« (21), die letztlich alle Einschätzungen und Beurteilungen, alles Verstehen von Wirklichkeit wie eine Entelechie durchdringt. Die spezifisch katholische Denkform versteht er als eine dezidiert sakramentale und das ganze Buch dient dazu, diese dem Katholizismus essenziell zugrunde liegende, ihn durch und durch prägende Denk- und Lebensform zu erhellen und in ihren weitreichenden Konsequenzen für das Verstehen von Wirklichkeit und (Heils-)Geschichte, von Kirche, Amt und Berufung u. a. m. zu bedenken.
Schon in der Einführung setzt sich der Vf. mit ausgewählten evangelischen Theologen auseinander, die zur Eruierung der »Grundprinzipien der protestantischen Denk- und Lebensform« (23) beitragen können, um darzulegen, dass »die sakramentale Lebens- und Denkform des katholischen Christentums« (= Katho­-lizismus) mit dem, was »engagierte protestantische Ökumeniker« wie U. H. J. Körtner, I. U. Dalferth, U. Luz und F. Wagner »als Wesen des Protestantismus beschreiben, schlechthin unvereinbar« ist (29). Denn: »Aus katholischer Sicht ist das, was sie als protestantisch erklären, ein desinkarniertes Christentum« (29) – und eben genau gegen ein solches »desinkarniertes Christentum« (294), das die Geschichtlichkeit des Erlösers und der Erlösung und den biblisch bezeugten Bundesgedanken nicht wirklich radikal zu Ende denkt, sind die Ausführungen des Vf.s in ihrer Gesamtheit gerichtet, und zwar massiv. Damit ist das entscheidend Unterscheidende in kürzester Problemanzeige präzise benannt.
Während das erste Kapitel »das Wesen des Katholizismus im Spiegel der protestantischen Kritik« (34) herausfiltert und klärt, dient das zweite Kapitel dazu, das »sakramentale Denken« (74) zu charakterisieren und »die These zu bewähren, dass der Katholizismus mit seiner Sakramentalität steht oder fällt« (8). Es folgen im Anschluss daran zwei große, explizit ekklesiologische Kapitel, in denen eingehend erklärt wird, was unter dem »sakramentalen Wesen der Kirche« (126) zu verstehen ist und warum »eine pneumatologische Umgestaltung der angeblich christomonistischen Ekklesiologie des Katholizismus« (8) aus römisch-katholischer Perspektive nicht angehen kann.
Besonders wichtig ist dem Vf. die enge Rückbindung der Ekklesiologie an die Christologie: »Denn wie der historische Jesus […] die reale Offenbarkeit des Wortes Gottes (des Logos) ist, so ist die Kirche keine bloße Interpretationsgemeinschaft, sondern Sakrament des Fleisch gewordenen Logos [d. h. sie stellt in ihrem Handeln seine Liebe sakramental dar]. So wenig die Wahrheit Gottes in Jesus Chris­tus unsichtbar bleibt, so wenig darf die Kirche die Wahrheit zu einer transzendenten (pneumatischen) Größe erklären, die sich in unterschiedlichen Konfessionen (Interpretationen) spiegelt.« (250) Die eine Wahrheit, die »nur personal vermittelt werden [kann]« (10), bedarf einer konkret sichtbaren Kirche (mit geweihten Amtsträgern), die die »hingehaltene Hand des […] Erlösers« (233) »auf sakramentale Weise selber« (235) zu allen ausstreckt; sie kann dann »von sich behaupten […], diese Wahrheit authentisch (sakramental) zu bezeugen« (250).
Damit ist die Spitzenaussage erreicht: »Die Kirche [d.h. ihr darstellendes Handeln] ist ebenso heilsnotwendig wie das Christus­ereignis« (264). Es gilt allerdings zu beachten: Gerade ein sakramentales Denken, wie es hier u. a. im Rückgriff auf die (katholische) Symboltheorie von K. Rahner (48‒53) entworfen wird, insistiert vehement auf dem Ge­danken, die Kirche sei »ganz und gar von Christus verschieden« (187).
Während die ersten vier Kapitel auf das Wesen des Katholizis­mus fokussiert bleiben, handelt das abschließende fünfte Kapitel von dessen Wunde, genauer von einigen Phänomenen, anhand derer das, was der Vf. eine »beschädigte Sakramentalität« bzw. den »verwundeten Katholizismus« (277) nennt, ins Relief tritt: Entsakralisierung, Funktionalismus, Mystizismus und Integralismus.
In einem ausführlichen Schlusswort unternimmt der Vf. den interessanten Versuch, die für ihn besorgniserregende »Krise des sakramentalen Denkens […] als Epiphänomen einer Denkform zu begreifen«, nämlich der postmodernen, die den Menschen nach seiner Funktion wertet und damit diametral entgegengesetzt ist zu einem »sakramentalen Repräsentationsdenken« (320).
Mit seinem im Kontext ökumenischer Bemühungen wie ein Paukenschlag anmutenden Buch plädiert der Vf. im Zuge seiner eindrücklichen und gut nachvollziehbaren Beschreibung des We­sens und der Wunde des Katholizismus, für die er durchgehend vor allem zwei Hauptgewährsleute heranzieht (H. U. v. Balthasar und vor allem J. Ratzinger/Benedikt XVI.), so »tüchtig einseitig« (im Sinne von S. Kierkegaard) für ein sakramentales, nicht funktionales Denken, dass man sich fragen muss, welches Herzensanliegen den Vf. zu den bisweilen recht scharfen Gegenüberstellungen und zu einer solch profilierten Positionierung in vielen heute umstrittenen theologischen Einzelfragen treibt. Um­so mehr stellt sich diese Frage, als der Vf. von Beginn an glaubwürdig versichert, im Ganzen liege es ihm völlig fern, das ökumenische Engagement geringzuachten. Am Grunde dieses Denkkonzeptes, in dessen Zentrum Jesus Christus und seine Kirche stehen, sehe ich nicht nur die Sorge um ein auch heute glaubwürdig gelebtes Christsein, sondern den großangelegten theologischen Versuch, den signifikant christlichen Gedanken zu begründen, dass jeder Mensch (Verantwortung für) eine ureigene Sendung hat und Menschsein das glatte Gegenteil ist von Ersetzbarsein.
Selten habe ich ein theologisches Buch gelesen, das nicht nur ganz weit weg (ent)führt von allen Spielarten einer heilsindivi­dualistischen Frömmigkeit, sondern das zudem für mein eigenes Selbstverständnis als katholischer Christ so erhellend und gleichzeitig so unbequem ist – und zwar gerade aufgrund der auffälligen Christozentrik des hier forcierten sakramentalen Denkens. Im­-mer wieder wird die Lektüre theologiegeschichtlich interessant und spannend, hochspannend auch dort, wo der Vf. zu brisanten ak­tuellen Debatten und heiklen theologischen Themen Stellung nimmt. Aber die Auseinandersetzung wird auch ungemütlich konkret, so z. B. wenn der Vf. aufzeigt, wie das – in der Tat – gehen kann: »die Übersetzung der Katholizität Christi in die Katholizität der Kirche […] durch die je personale Christusrepräsentation des einzelnen Apostelnachfolgers und des je einzelnen getauften und gefirmten Christen« (251), vgl. etwa die Ausführungen über »die spezifische Sakramentalität des Diakons« (!) (207 ‒214) und über das Ineinander von exklusiver und inklusiver Stellvertretung (240‒243).
Die hier vorliegende scharfsinnige und tiefgehende Ergründung des Wesens des Katholizismus in profunder Kenntnis der Tradition und kritischer Auseinandersetzung mit protestantischen Positionen ist in ihrer Klarheit und Ehrlichkeit denkwürdig und fordernd, befreiend und in höchstem Maße (konfessionsübergreifend) provokant, weil sie Katholiken und Protestanten gleichermaßen vor die unbequeme Gretchenfrage stellt: »Wie hast Du’s mit der eigenen Konfession?«