Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

247–249

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Varelmann, Marianne

Titel/Untertitel:

Segensfeiern. Theologie – Geschichte – Praxis.

Verlag:

Würzburg: Echter 2008. 350 S. 23,3 x 15,3 cm = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge 75. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-429-03044-5.

Rezensent:

Christian Albrecht

Auf der Theorieebene gehen evangelische Kasualienforschung und katholische Sakramentenpastoral durchaus unterschiedliche Wege und haben vielfach nur recht lockere Berührungspunkte. Das hat unter anderem zu tun mit unterschiedlichen theologischen Kontexten der jeweiligen Theorien, mit unterschiedlichen theolo­gischen Bewertungen der einzelnen Vollzüge und auch mit unterschiedlichen Vorstellungen von Grund und Ziel der jeweils intendierten Integrationsleistungen.
Auf der Praxisebene hingegen zeigen sich bei näherem Hinsehen manche auffällig parallelen Problemstellungen. Zu diesen ge­hört unter anderem die Frage, durch welche neuen oder zusätzlichen Angebote das klassische Repertoire ergänzt werden kann oder muss. Solche Überlegungen werden motiviert durch verschiedene Beobachtungen – z. B., dass auch weniger einschneidende Übergänge, die durch die klassischen Vollzüge nicht berührt werden, Segensbedürfnisse wecken; oder, dass die den Übergang konstituierenden Anlässe und die den Übergang liturgisch begehenden Vollzüge zeitlich zunehmend auseinandertreten; oder, dass ein Bedürfnis nach kirchenrechtlich hinsichtlich ihres Verbindlichkeitsstatus’ weniger anspruchsvollen Vollzügen erkannt worden ist und anerkannt werden soll. In der evangelischen Dis­kussion wird diese Frage unter dem Stichwort der »neuen Kasualien« be­handelt. Die katholische Paralleldiskussion rankt sich vielfach um das Stichwort der »Segensfeiern«.
Im Einzelnen umfasst das katholische Spektrum dabei mehr Vollzüge als das evangelische – als Segensfeiern können alle Segnungen und Weihungen, aber auch andere eigenständige Vollzüge wie das kirchliche Begräbnis, Fußwaschungen, das Aschekreuz am Aschermittwoch etc. bezeichnet werden. Innerhalb der Segnungen wird unterschieden zwischen den Personensegnungen und den Sachsegnungen bzw. Einweihungshandlungen.
Vor allem aber sind die katholischen Debatten um die theolo­gische Legitimität der Segensfeiern stärker aufgeladen, da das Verhältnis zwischen Segensfeiern und Sakramenten problemgeladener ist als auf evangelischer Seite das Verhältnis zwischen klassischen und neuen Kasualien. Können Segensfeiern als Hinführung zum Sakrament verstanden und geschätzt werden – oder bergen sie die Gefahr einer Abwertung der Sakramente? Sollten Segensfeiern als »Angebot für Fernstehende bzw. Nichtgetaufte« aufgefasst und gepflegt werden – oder besteht in ihrer Praxis die Gefahr »des Ausverkaufs christlicher Überzeugungen« (31)?
Damit ist der Problemhorizont beschrieben, in den die Überlegungen der Würzburger Dissertation Marianne Varelmanns eingezeichnet werden wollen. Die leitende Frage nach der Legitimität und angemessenen Gestaltung der Segensfeiern wird einleitend zwar kurz in den Rahmen der These vom Niedergang des volkskirchlichen Katholizismus gestellt (»Volkskirchlich geprägtes Chris­tentum ist ein Auslauf-Modell […] Für die Kirche bedeutet dies einen enormen Verlust an Einfluss auf den Einzelnen und die Ge­sellschaft«, der der Kirche bestenfalls noch die Möglichkeit bietet, »bestimmte Ereignisse im Leben festlich rituell zu begehen« [11 f.]). Zügig aber geht V. über zur Diskussion des angemessenen Segensverständnisses, das sie aus dem Alten und dem Neuen Testament gewinnt, in kritischer Abgrenzung von der Segenstheologie Claus Westermanns.
Segen, so ihr Ergebnis, darf nicht ausschließlich un­ter dem As­pekt des schöpferischen Handelns Gottes verstanden werden, sondern hat ein Beziehungsgeschehen zum Thema: Der »Segensgruß [hat] kommunikationsstiftende oder -fördernde Be­deutung« (99). Weiter geht es mit einer Rekonstruktion der »Segenspraxis« von der Alten Kirche bis in die Gegenwart: So­wohl konkrete liturgische Vollzüge als auch die Reflexion auf diese werden nebeneinander in den Blick genommen. Leitend ist dabei das Interesse, die Segenshandlungen nicht nur unter dem Aspekt ihrer Gnadeneinwirkung auf den Menschen zu sehen, sondern als Begegnung zwischen Gott und Mensch zu akzentuieren. Dies legt V. die Frage nahe, welchen Beitrag der Mensch durch Glaube und Lebensführung zu dieser Begegnung leisten muss – »eine Begegnung, an der nur der eine Partner aktiv beteiligt ist, ist keine echte Begegnung« (246).
Die Frage nach dem Verpflichtungsgehalt der Segensfeiern steht denn auch im Zentrum der systematischen Überlegungen zu Segen und Segensfeiern. Beide zielen auf personale und dauerhafte Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch, für die die Kirche ein angemessener Ort ist. Eine erhebliche Bedeutung erhalten dabei »menschliche Segensvermittler, deren unverzichtbare Aufgabe es ist, Menschen im Segen mit Gott zu verbinden, sich ganz in den Dienst dieser gottmenschlichen Begegnung zu stellen und sich dabei selbst zurückzunehmen« (288). Erkennbar im Hintergrund steht die Frage, ob der Segensfeier ein geweihter Priester oder ein beauftragter Laie vorsteht – eine Frage, die freilich nicht weiter dis­kutiert wird.
Die Überlegungen münden in Erwägungen zur gegenwärtig an­gemessenen Praxis der Segensfeiern. Hier wird nun stark der Aspekt betont, dass Segensfeiern keinen ermäßigten Verbindlichkeitsgrad haben, gleichwohl aber als Angebot für der Kirche Entfremdete oder Fernstehende stark zu machen sind, eben weil die erwartete Antwort ganz unterschiedliche Formen und Grade annehmen kann.
Zwei Aspekte sind es vor allem, die das Buch verdeutlicht. Ers­tens: Segensfeiern bieten in starkem Maße die Gelegenheit, auf Lebenssituationen und Anforderungen der Zeitgenossen einzugehen und ihren unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Darin erweisen sie sich m. E. dem evangelischen Kasualienkonzept vielfach näher als dem katholischen Sakramentsverständnis. Zweitens: Segensfeiern sind eine Aufgabe der Gemeinde, reagieren auf Vielfalt und bewirken Vielfalt und stehen damit in mancherlei Hinsicht alternativ zu Sakramenten – nicht zuletzt darin, dass ihr Bereich »aus gutem Grund nicht allein durch Vorgaben ›von oben‹ geregelt« (322) werden kann.