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Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

232–234

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Schwöbel, Christoph

Titel/Untertitel:

Gott im Gespräch. Studien zur theolo­gischen Gegenwartsdeutung.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XXIII, 498 S. 22,5 x 14,5 cm. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-16-149771-1.

Rezensent:

Markus Mühling

Während »Gott in Beziehung« eine Skizze der Dogmatik zeichnete und »Christlicher Glaube im Pluralismus« mit der Entwicklung einer angemessenen Pluralismustheorie beschäftigt war, beschäftigt sich dieser Band von Christoph Schwöbel mit der Analyse gegenwärtiger gesellschaftlicher Problemstellungen, die im Lichte des christlichen Glaubens gedeutet werden. Während die römische Tradition nach dem Motto urbi et orbi verfährt und vom Segen für das Zentrum aus versucht, das weitere Umfeld mit einzubeziehen, verfährt der Vf. hier gewissermaßen spiegelbildlich: Ausgehend von aktuellen gesellschaftlichen Problemlagen der Weltgesellschaft werden nicht nur Analysen vorgelegt, sondern diese auch stets auf die partikulare Sichtweise des »perspektivischen Universalismus« des christlichen Glaubens bezogen, und zwar in ihrem Kern. Dieses Verfahren kennzeichnet sowohl die einzelnen Kapitel als auch die Disposition des Buchs insgesamt.
Zu den Themen, die bearbeitet werden, gehören u. a. die Fra­-gestellung nach einem möglichen clash of civilizations als Deutungskategorie der Situation des religiösen Pluralismus, die Fra­-gestellung, ob es einen common ground zwischen den Religionen einerseits so­wie zwischen den Religionen und anderen gesellschaftlichen Bereichen geben kann, Fragestellungen, wie eine to-lerante, pluralistische Gesellschaft unter den Bedingungen ihrer Wohlordnung denkbar ist und wie diese ethischen Fragestellungen auf grundsätzlichere Überlegungen zum Wahrheitsbegriff und zum menschlichen Vernunftgebrauch bezogen sind. Auch Begriffe, die häufig in der Gesellschaft als Schlüsselbegriffe zur Lösung der Probleme unserer Zeit verstanden werden, wie der Freiheitsbegriff oder der Begriff der Menschenwürde, werden detailliert untersucht. Diese Analysen führen zu weiteren Fragen nach dem Leben des Menschen in der Welt, das nicht vom Sündenbegriff abstrahieren kann, und zur Frage, wie die Religion in der postsäkularen Gesellschaft aus christlicher Perspektive begriffen werden kann. Das damit schon durch die Gesellschaft gestellte Problem der Verhältnisbestimmung von Einheit und Vielheit führt zur Frage nach deren Verhältnisbestimmung innerhalb der christlichen Perspektive, indem die Monotheismusdebatten, die Frage nach einer »Wie­ derverzauberung der Welt« bis hin zu Fragen der christlichen Anthropologie und Trinitätslehre als Rahmentheorie aufgenommen werden.
Pluralistische Gesellschaften können als wohlgeordnet angesprochen werden, wenn sie weniger auf einem common ground der Vernunft beruhen, da Vernunft niemals »nackt [ist], sondern im­mer in konkrete Praktiken eingebettet« ist (31). Diese Praktiken erweisen sich gerade in ihrer Öffentlichkeitsrelevanz als religiöse Praktiken, auch und gerade bei individualisierenden Strömungen der postsäkularen Wiederkehr des Religiösen. Eine Wohlordnung von Gesellschaften ist daher nicht ohne ein Bedenken der pluralis­tischen Situation möglich, die sich ebenfalls nicht von einem ge­meinsamen Grund des Religiösen her verstehen lässt. Vielmehr ist auf der Basis einer dialogischen Toleranz nach ge­meinsamen Zielen im konkreten Handeln zu suchen. Der Toleranzbegriff wird dabei einer Klärung unterzogen, so dass Toleranz bestimmt werden kann durch folgende Strukturformel: »A (Subjekt der Toleranz) toleriert B (Objekt der Toleranz) auf Grund von C (Gründe für die Toleranz) mit dem Ziel D (Ziel der Toleranz)« (148), hinsichtlich eines Elements der Annahme E und eines Elements der Ablehnung F. Ein solcher dialogischer Toleranzbegriff setzt die Positionalität des Tolerierenden und die Alterität des Tolerierten voraus und schöpft im Unterschied zu einer universalistischen, tatsächlich aber indifferenten Toleranzbegründung aus einer Verankerung des Tolerierens in den je eigenen Traditionen und eröffnet so Räume für eine gemeinsame Zukunft. Von daher zeigt sich auch, dass partikulare Wahrheitsansprüche eine Bedingung toleranten Miteinanders sind, da sie im Falle religiöser Traditionen im Unterschied zu metareligiösen Wirklichkeitsverständnissen im­mer selbst von ihrem referentiellen Bezugspunkt des Unbedingten unterschieden sind, und so gerade unterschiedliche Prinzipien ihrer Selbstrelativierung kennen (166). Für den christlichen Glauben ergibt sich diese Möglichkeit aus einer kommunikativen Partizipation Gottes an seiner kommunikativen Selbstgabe, die ermöglicht, dass »Glaubensgewissheit als Wahrheitsgewissheit Freiheitsgewissheit« (268) ist.
Vor einem solchen Hintergrund erweisen sich auch Konzepte wie »Menschenwürde« als sinnvoll, sofern sie nicht abstrakt, sondern rekontextualisiert erscheinen. Im Falle der Menschenwürde ist dies im Kontext des christlichen Menschenbildes mit Luthers Bestimmung des Menschen als durch Glauben gerechtfertigt (286) gegeben, da der Mensch in allen Dimensionen seines Daseins als Sprachgeschöpf verstanden werden muss (447). Religionen mit ihrem je distinkten Bezug zu einem Begriff des Unbedingten bzw. zum Gottesbegriff ermöglichen daher gerade Gewaltfreiheit, insofern sie diese Selbstunterscheidung vom Unbedingten vornehmen können, wozu es des im ersten Gebot verankerten Prinzips des Monotheismus bedarf, so dass weder mit O. Marquard ein Lob auf den Polytheismus (oder mit J. Assmann in eingeschränkter Form auf den Kosmotheismus) gesungen (358–378) noch innerchristlich der Monotheismusbegriff verabschiedet werden darf. Vielmehr zeigt sich, dass nur »eine radikal monotheistische Theologie […] eine wahrhaft trinitarische Theologie sein« kann und umgekehrt (405). Die Tatsache, dass unsere Gesellschaften in unterschiedlicher Weise im Gespräch sind, verdankt sich so letztlich der Tatsache, dass Gott in Schöpfung, Versöhnung und Vollendung selbst seine Schöpfung und den Menschen ins Gespräch (= Sein) bringt. Die Bedingung der Möglichkeit für diese kommunikative Ontologie des welthaften, natürlichen und gesellschaftlichen Seins und Werdens, besteht dabei präzise darin, dass Gott auch selbst trinitarisch nicht als Ausnahme einer solchen relationalen Ontologie verstanden werden darf, die jeder substantialistischen und subjekt­orientierten Ontologie (wie auch jeder vermeintlichen Entontologisierung) überlegen ist, sondern selbst innertrinitarisches Ge­spräch ist: »Gott bezieht sich auf die Menschheit so wie Gott ewig in Beziehung ist. Gott ist im Gespräch mit der Schöpfung, weil Gott als Gespräch ist. […] Die hypostatische Identität der Personen […] wird durch ihre Gesprächsbeziehung konstituiert, ebenso wie die Einheit des göttlichen Wesens […] in diesem Gesprächsverhältnis konstituiert wird.« (474)
Der Vf. setzt die z. B. in seinen zuvor publizierten, oben angegebenen Bänden dokumentierte analytische und konzeptionelle Ar­beit an der Systematischen Theologie hier konsequent fort, sowohl indem neue Themenbereiche in den Blick treten als auch die Konzeption in Detailfragen der Systematischen Theologie ko­härent vertieft und erweitert wird. Der Sprachstil ist verglichen mit älteren Publikationen dabei offener und insgesamt stets einladend. Ob­wohl – oder gerade weil – es sich hier wohltuend um ein pronon­ciert konzeptionelles Denken handelt, wird man in einigen Fragen anderer Meinung sein oder Detailfragen anders beantworten.
Wenn Gott beispielsweise in diesem Sinne als Gespräch gedacht werden muss, das die Ereignishaftigkeit Gottes genauso einschließt wie Gottes Ewigkeit und Allgegenwart als je eigene »Zeit« und eigener »Raum« (451–478), wäre zu fragen, ob dieses Konzept nicht nur, wie der Vf. diagnostiziert, die Kontingenz der Welt er­möglicht, sondern umgekehrt es auch erfordert, den Kontingenzbegriff Gott zuzuschreiben, so dass sich erhebliche Modifikationen in der klassischen Zuschreibung von Notwendigkeit ergäben.
Diese mögliche Kritiken und Denkanregungen der Leserinnen und Leser werden aber gerade dadurch ermöglicht, dass das Buch selbst stets zum Dialog und zur Kooperation einlädt und so auch performativ seinen Inhalt verdeutlicht. In seiner Denkbewegung von allgemeinen Problemen unserer Gesellschaft zum Besonderen des christlichen Glaubens zeigt es, dass das Allgemeine eben nur vom Besonderen wahrgenommen werden kann – sei es in der Gesellschaft, sei es im Verhältnis der Religionen untereinander, sei es im Verhältnis zwischen Gott und Mensch oder in Gott selbst – so dass es auch orbi et urbi eine erhellende Wirkung zur Deutung unserer Gegenwart leistet.