Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

230–231

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Koenen, Karl-Ludwig, u. Josef Schuster [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Seele oder Hirn?Vom Leben und Überleben der Personen nach dem Tod.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2012. VII, 183 S. 24,0 x 17,0 cm = Frankfurter Theologische Studien, 68. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-3-402-16056-5.

Rezensent:

Werner Thiede

Dieser Band ist für katholische wie evangelische Befassung mit eschatologischen und anthropologischen Grundfragen bedeutsam. Obgleich er auf ein Frankfurter Symposion der Hochschule Sankt Georgen zurückgeht und die Autoren daher in katholischem Kontext referieren, lässt sich auf evangelischer Seite hier vieles lernen. Hat man doch im Sog der protestantisch seit bald 100 Jahren vorherrschenden »Ganztod-Theologie« mancherlei Differenzierun­gen und Problemlagen wahrzunehmen verlernt. Zudem beziehen sich die meisten Beiträge dieses Bandes auf aktuelle und grund­- legende Fragestellungen zur Leib-Seele- und Neurotheologie-Debatte: Es geht um grundlegende Fragen des existentiell so gravierenden Themas »Leben nach dem Tod«, das allemal vertiefte Reflexion erfordert.
Nachdem Heinrich Watzka SJ eher vorbereitend über »Seele oder Hirn« handelt (1–16), leistet Medard Kehl SJ Analoges, indem er sich auf Kants Unsterblichkeitspostulat und Pascals Wette bezieht, um zu verdeutlichen, warum Hoffen über den Tod hinaus zutiefst sinnvoll ist (17–28). Als im negativen Sinne vorbereitend kann auch der Beitrag von Ansgar Beckermann, »Der Mensch als Tier und biologische Maschine« (29–47), angesehen werden. Dessen materialis­tische Argumentation zeugt immer wieder von erschreckendem Nicht-Verstehen spiritueller Hoffnungsaussagen: Man scheint nicht einmal recht zu wissen, was man da überhaupt negiert. So wird zur »Wiederauferstehung des Fleisches« reichlich platt gesagt, die Natur sei nicht so eingerichtet, dass Auferstehung im Sinne einer Reparatur des einmal gestorbenen Lebewesens vorkomme (45 f.) – als sei die biblische Hoffnung so gemeint. Ähnlich platt heißt es abschließend, der Gedanke an ein Leben nach dem Tod sei nicht erbaulich, weil es auf der Welt ja doch immer beim Alten bleibe – als gäbe es nicht den neutestamentlichen Ausblick auf einen neuen Himmel und eine neue Erde. Ein ganz anderes Niveau bietet demgegenüber der Aufsatz »Seele und Tod« des namhaften Philosophen Robert Spaemann (127–139).
Sehr kundig widmet sich Wilfried Kuhn dem Thema »Out-of-body. Anmerkungen eines Mediziners zur Relevanz der Nahtoderfahrung für die Klärung des Leib-Seele-Verhältnisses« (49–73). Der Schweinfurter Professor kennt neuere wie ältere Studien auf diesem Gebiet und weiß die Argumente im internationalen Diskurs klug abzuwägen. Mit Recht kritisiert er: »Einige Hypothesen gelten zudem inzwischen als widerlegt, werden jedoch immer wieder von verschiedenen Autoren aufgegriffen« (70). Sein Resümee lautet, dass Nahtoderfahrungen »zwar durch vielfältige physiologische Me­chanismen angestoßen werden können, der Inhalt der Erfahrungen jedoch trotz der eventuell vorhandenen neuronalen Korrelate physiologisch nicht begründet werden kann« (72). Er klassifiziert Nahtoderfahrungen als paranormale Phänomene, zumal außersinnliche Wahrnehmungen während des »klinischen Todes« in­zwi­schen als wissenschaftlich bewiesen angesehen werden müssen. Entsprechende »Studien erfüllen die wissenschaftlichen Kriterien der Reproduzierbarkeit« und beweisen, dass solche Son­dererfahrungen in einem konstanten Prozentsatz auftreten. Nachdem ma­terialistische Hypothesen und Modelle das Phänomen der Nahtodeserfahrungen insgesamt nicht ausreichend zu erklären im Stande seien, könne deren außersinnliche Natur nicht mehr ignoriert werden: Sie »widerlegen das materialistisch reduktionistische Weltbild und somit die monistische Behauptung, dass Bewusstsein ohne Materie nicht existieren kann« (73).
Was der Philosoph Uwe Meixner über »Leib-Seele-Dualismus und Auferstehungshoffnung« ausführt (77–94), ist eine lesenswerte Apologie eines auf Eigenerfahrung bezogenen Dualismus. Einen reduktionistisch argumentierenden Physikalismus weist er als nicht evident zurück: Das verkrampfte Bemühen, alles und jedes ins physikalistische Korsett zu zwingen, werde einmal genauso kurios erscheinen wie heute »die verzweifelten Versuche vieler Denker des 19. Jahrhunderts, die elektromagnetischen Phänomene gemäß Modellvorstellungen der Mechanik begreifen zu wollen« (83). Die Auferstehungshoffnung ordnet Meixner – anders als Be-ckermann – in die erforderlichen gedanklichen Koordinaten ein, so dass er zu notwendigen Klarstellungen kommt.
Edmund Runggaldier SJ beleuchtet die »Unsterblichkeitshoffnung und die hylemorphische Einheit von Leib und Seele« (95–125), ohne allerdings hinreichend zu bedenken, dass Seele, Unsterblichkeit und Auferstehung theologisch nicht einfach »jenseits von Zeit und Raum« (123), sondern unter dem Blickwinkel erneuerter Geschöpflichkeit vorzustellen sind. Was am Ende Hermann Josef Sieben SJ über »Augustins Entwicklung in der Frage der Identität des irdischen mit dem auferstandenen Leib« darlegt (141–182), illus-triert die Problematik einer Hoffnung, die die Formel »Auferstehung des Fleisches« im Sinne einer materiellen Identität missversteht – als hätte nicht schon Paulus unterstrichen: »Der erste Mensch ist von der Erde und irdisch; der andere Mensch ist vom Himmel« (1Kor 15,47).