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Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

227–230

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hoff, Gregor Maria

Titel/Untertitel:

Ekklesiologie.

Verlag:

Paderborn/München/Wien/ Zürich: Schöningh 2011. 312 S. 23,3 x 15,5 cm = Gegenwärtig Glauben Denken. Systematische Theologie, 6. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-506-77315-9.

Rezensent:

Gunther Wenz

Die Bedeutung der Formel subsistit in (LG 8) der Dogmatischen Konstitution über die Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils, derzufolge die unica Christi Ecclesia, die im Symbol als die una, sancta, catholica et apostolica bekannt wird, in der vom Papst als dem Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleiteten (römisch-)katholischen Kirche subsistiere, ist unter römisch-katholischen Auslegern ekklesiologisch umstritten. Während die einen den ökumenische Perspektiven erschließenden Wandel von einem unmittelbaren est zum subsistit hervorheben, wird von anderer Seite jeder Bedeutungsunterschied beider Formeln in Abrede gestellt.
Alexandra von Teuffenbach etwa kommt in ihrer unter Anleitung des jüngst zum Kardinal kreierten Jesuiten Karl J. Becker an der Gregoriana angefertigten, im Jahr 2002 in München erschienenen Dissertation zu dem Ergebnis, dass das »subsistit in« im Kontext, in dem das Konzil es verwendet, »nur gleichbedeutend mit est sein« (A. v. Teuffenbach, Die Bedeutung des subsistit in [LG 8]. Zum Selbstverständnis der katholischen Kirche, München 2002, 393) könne. Wie stets werde auch im II. Vaticanum »die katholische Kirche und nur die katholische Kirche als Kirche Christi bezeichnet« (a. a. O., 198). Sie sei »die einzige Kirche, die Christus gewollt« (a. a. O., 393) habe. An der Richtigkeit dieses Grundsatzes hätten die Konzilsväter nie auch nur den geringsten Zweifel gehegt, was u. a. die Tatsache belege, dass die später so intensiv geführte Debatte um die Bedeutung der Wendung auf dem Konzil »kaum« (a. a. O., 392) geführt worden sei und ihre Einfügung in LG 8 »wahrscheinlich nicht einmal eine Minute« (ebd.) gedauert habe. Summa summarum: Das »est« bleibt auch unter »subsis­tit«-Bedingungen uneingeschränkt in Geltung. Lumen Gentium problematisiere die unmittelbare Gleichsetzung der römisch-katholischen Kirche mit der einen Kirche Jesu Christi in ihrer Einzigkeit nicht nur nicht, sondern affirmiere sie, und zwar in Bestätigung des ekklesiologischen Selbstverständnisses der katholischen Kirche, wie es, weil im ureigenen Willen Jesu Christi selbst begründet, von Anfang an bestanden habe und stets bestehen werde.
Die Anhänger der Deutung Teuffenbachs, von deren eigenwilliger Charakteristik der Reformationskirchen hier nicht zu handeln ist (a. a. O., 143: »Für Luther gibt es praktisch kein äußeres Erkennungsmerkmal der Kirche, sondern nur eine geistige Verbindung unter den Gläubigen.«), sind im letzten Jahrzehnt nicht weniger geworden. H., Professor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Universität Salzburg und Obmann der Salzburger Hochschulwochen, zählt nicht zu ihnen. Er unterscheidet nicht nur zwischen dem »subsistit« von LG 8 und einem unmittelbar gleichsetzenden »est« (vgl. 134 ff.), sondern befleißigt sich insgesamt einer ekklesiologischen Differenz- bzw. Differenzierungshermeneutik, die darum weiß, dass kirchliche Identität, wenn sie Bestand haben soll, nicht auf unmittelbar selbstbezügliche Weise zu begründen ist. Die Kirche gründet nicht in sich selbst, sondern in dem Grund, der durch die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus kraft des Heiligen Geistes gelegt ist. Zwar ist ihr dieser Grund nicht äußerlich, sondern ins Innerste eingestiftet. Doch um zu sein, was sie ihrer Bestimmung als Leib Christi gemäß ist, hat die Kirche ihre faktisch gegebene Identität von ihrem konstitutiven Einheitsgrund zwar nicht zu trennen, wohl aber zu unterscheiden. Zu solch kirchlicher Selbstunterscheidung leitet H.s Lehre von der Kirche im Prinzip und in allem, was daraus folgt, in einer Weise an, die weite Horizonte und Perspektiven eröffnet, die ekklesiologisch nicht selten verschlossen bleiben, ja verschlossen werden.
Die auf elf Bände angelegte, an den klassischen dogmatischen Traktaten orientierte systematisch-theologische Reihe »Gegenwärtig Glauben Denken« beabsichtigt, ausgehend von den aktuellen Entwicklungen in Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft die zentralen Gehalte des christlichen Glaubens in ihrer Genese und Geltung argumentativ zu entfalten, wobei das biblische Zeugnis jeweils den Zielpunkt der Darstellung bildet. »Die Überlegungen schreiten der Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus, wie sie von der Heiligen Schrift bezeugt wird, entgegen.« (1) So verhält es sich auch in H.s Ekklesiologie, wie ihre Grobgliederung zeigt. Das Werk beginnt mit einer Gegenwartsanalyse, der sein erster Teil gewidmet ist, und thematisiert im zweiten die Geschichte seines Gegenstands, dessen ekklesiologische Genese rückläufig zur Darstellung gebracht wird, um dann im dritten und letzten Teil die Kirche der Heiligen Schrift und die Heilige Schrift der Kirche zur Sprache zu bringen. Dieses Verfahren hat den Vorzug, historische Aspekte von dem Gesichtspunkt verbindlicher Geltung nicht zu abstrahieren und umgekehrt.
Seiner ekklesiologischen Gegenwartsanalyse nähert sich H. durch Wahrnehmung thematischer Externbezüge, speziell dadurch, dass er »fremde Blicke« aus kulturwissenschaftlicher (Rekonstruktion kirchlicher Raumwahrnehmung), religionswissenschaftlicher (Kirche als Identitätskonstruktion), ethnologischer (Lebensform des Christentums als Kirche) und systemtheore­tischer (Funktionsformen der Kirche) Perspektive auf seinen Gegenstand wirft. Innen- und Außenwahrnehmung lassen sich so ekklesiologisch vermitteln und reflektieren, wie dies nötig ist, wenn die Kirche unter den pluralen Bedingungen eines säkularen und postsäkularen Zeitalters ihrer Aufgabe gerecht werden will. Der Pluralismus gegenwärtiger Lebensformen wird an Einzelbeispielen erhoben, wobei die Bezugnahme auf die Migrationsproblematik be­sondere Beachtung verdient. Sehr bemerkenswert ist sodann, was H. unter der Überschrift »Be­stimmungsgründe im Raum von Differenzen« über die ekklesiologischen Herausforderungen sagt, die durch Israel, durch innerkirchliche Pluralität, die globalisierte Kirche, durch andere Kirchen und kirchliche Gemeinschaften sowie durch diverse Religionsgemeinschaften und die Differenz von Staat und Kirche gesetzt sind.
Für den ekklesiologischen Begriff der Kirche Jesu Christi ist der Bezug zum biblischen Gottesvolk Israel konstitutiv, dessen bleibende Erwählung das Alte und Neue Testament bezeugen. Durch ihren Herrn Jesus Christus wissen sich die Kirchen hineingenommen in die Geschichte der Verheißungen für das Volk Israel, an denen Gott in Treue festhält. Jede Form der Judenfeindlichkeit ist zu verurteilen, die Schuld der Christenheit am Leiden des jüdischen Volkes zu bekennen. Im Hören auf Gottes Weisung und in der Hoffnung auf die kommende Gottesherrschaft, in der Gott sein Werk für Menschheit und Welt vollenden wird, bleibt die Kirche Israel für alle Zeiten verbunden. In affirmativem Bezug auf Aussagen, wie sie sich so oder so ähnlich auch in vielen Verfassungsbestimmungen evangelischer Kirchen hierzulande finden (vgl. Texte aus der VELKD 161 [2011]), macht H. deutlich, welche Relevanz Israel für das Selbstverständnis der christlichen Kirche hat. Diese existiert von Anfang an »im Modus einer doppelten Identität« (49), die ihr gesamtes Beginnen bleibend bestimmt. Der Bezug zu dem, was sie nicht unmittelbar selbst ist, ist der Kirche durch Israel konstitutiv eingezeichnet, weil ihre Herkunft aus dem erwählten Gottesvolk ekklesiologisch weit mehr bedeutet als ein historisches Datum.
Die Identität der Kirche ist von vermittelter Art. Sie ist, was sie ist, nicht in vermittlungsloser Unmittelbarkeit, sondern auf in sich differenzierte Weise. Nur so ist sie mit sich eins. Binnenkirchlich reflektiert sich dieser ekklesiologische Grundsachverhalt nach H. im spannungsvollen Zusammenhang von Universal- und Ortskirche bis hin zur Pfarrei, der der Berliner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki eine interessante Dissertation gewidmet hat. Sie reflektiert sich ferner in kultureller Pluralität innerhalb der globalisierten Kirche, und sie hat nach H. zur Anerkennung der ökumenischen Differenz von Christentum und Kirche, zu interkonfessioneller, aber auch interreligiöser Verständigung und nicht zuletzt zu einem konstruktiven Verhältnis zu den Prinzipien der Nichtidentifikation von Staat und Kirche sowie der Religions- und Ge­wissensfreiheit zu führen.
Seinem Grundsatz einer »differenztheologische(n) Bestimmung der Ekklesiologie« (15), der seine erhellenden Gegenwartsanalysen bestimmt, bleibt H. auch unter theologiehistorischen Gesichtspunkten treu. Er rekonstruiert die Geschichte der Ekklesiologie mit dem Ziel, Kirche mittels der ekklesiologischen Begriffe, in denen sich ihr jeweiliges Selbstverständnis reflektiert, als einen offenen Denkraum zu erweisen. Nach einem metaphorologischen Zu­gang, der sich dem Thema bildtheologisch nähert, nach fun­ damentaltheologischen Erwägungen zum kirchlichen Bestim­mungs­­grund sowie Ausführungen zur Kirche im Modus konziliarer Lehrpraxis bringt H. eine Vielzahl ekklesiologischer Entwürfe in kommunikativ-verständigungsorientierter Weise zur Sprache. Die postmoderne Konstellation radikalisierter Pluralität wird an den Ekklesiologien von G. Lindbeck, J. Milbank, R. Haight, H. Verweyen und H.-J. Sanders exemplifiziert. Für das 20. Jh. kommen K. Barth und K. Rahner, für das 19. Jh. F. Schleiermacher und J. A. Möhler in Betracht. Reformation und katholische Reform sind durch Luther und Calvin einerseits sowie durch Cano und Bellarmin andererseits vertreten, das Mittelalter durch Bonaventura und Thomas von Aquin, die patristische Zeit schließlich durch Tyconius und Augustin.
Als Skopus des Ganzen und als »Fluchtpunkt der gegenwartsbezogenen Analysen und der geschichtlichen Vergewisserung« (217) folgt, was in der Bibel als der normativen Urkunde der Kirche über deren Bestimmung zu lesen steht. H.s Ekklesiologie ist entschieden »konfessionell bestimmt« (15) und argumentiert erklärtermaßen »aus der Perspektive römisch-katholischer Theologie« (ebd.). Dies lässt sich an der Zuordnung von Schrift und kirchlicher Tradition unschwer erkennen, die von den Bestimmungen des einschlägigen Tridentinischen Dekrets (vgl. DH 1501 ff.) und an­- deren Prämissen römisch-katholischer Doktrin nirgends ab­weicht. Gleichwohl ge­lingt es H., und zwar nicht trotz, sondern wegen konsequenter Vertiefung seines konfessionellen Standpunkts, öku­menische Ho­rizonte von wahrhaft katholischer Weise zu eröffnen. Dies belegen u. a. seine überzeugenden Vorschläge zu kirchenpraktischen Konsequenzen interkonfessioneller Taufanerkennung. Doch auch in anderer Hinsicht kann H.s ekklesiolo­gische Differenzhermeneutik neue Perspektiven des Verstehens und der Verständigung erschließen.
In eindrucksvoller Weise werden sakramentalen Wirklichkeiten jeweils exemte Lebensorte zugeordnet, um ekklesiologisch dazu anzuleiten, exklusive Selbstabschlüsse zu problematisieren, damit die Kirche ein lebendiges Zeichen des kommenden und in Jesus Christus bereits angebrochenen Gottesreiches sei. Bezugspunkte aktuellen kirchlichen Geschehens werden thematisiert, in­dem die Taufe ökumene-, die Firmung genealogie-, die Eucharistie befreiungstheologisch, das Bußsakrament auf handlungstheore­tische, die Krankensalbung auf ästhetische, der Ordo auf feminis­tische und das Ehesakrament schließlich auf politische Theologie hin fokussiert werden. All dies ist für Theorie und Praxis der Kirche in hohem Maße relevant bis hin zur Frage kirchlichen Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen. Kurzum: Wir haben es mit einem sowohl unter theoretischen als auch unter praktischen As­pekten sehr lesenswerten Buch zu tun.