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Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

221–225

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Würger-Donitza, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Grundlegung einer negativen Anthropologie. Bd. II: Die Macht und das Böse.

Verlag:

Würzburg: Königshausen & Neumann 2010. 373 S. 23,5 x 15,5 cm. Kart. EUR 49,80. ISBN 978-3-8260-4305-5.

Rezensent:

Christoph Seibert

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Würger-Donitza, Wolfgang: Grundlegung einer negativen Anthropologie. Bd. I: Ethik. Würzburg: Königshausen & Neumann 2003. 454 S. 23,0 x 15,0 cm. Kart. EUR 49,80. ISBN 3-8260-2443-5.


Wie bereits im Titel angekündigt, handeln die beiden Bände des in Freiburg lebenden Philosophen und Heilpraktikers Wolfgang Würger-Donitza von der Grundlegung der Anthropologie. Sie tun dies allerdings unter einem bestimmten Vorzeichen. Es geht in ihnen nämlich in einem speziellen Sinn um die Grundlegung einer Negativen Anthropologie. Dabei stellt der Vf. seine Überlegungen gleich im ersten Buch in den größeren Zusammenhang der eigenen Denkentwicklung:
a) Er verweist zum einen auf die Thesen seiner Habilitationsschrift Rationalitätsmodelle und ihr Zusammenhang mit Leben und Tod. Adornos Grundlegung einer sympathetischen Vernunft (1996). Die dort vorgetragenen Überlegungen sollen in der Negativen Anthropologie sowohl weiterentwickelt als auch begründet werden (I, 18). Dieser Hinweis ist erhellend, stellt er die Arbeit doch explizit in den Kontext der klassischen Kritischen Theorie, in deren Tradition der Vf. steht. Es ist somit zu erwarten, dass in den vorliegenden Bänden der Negativen Anthropologie Einsichten der Kritischen Theorie unter anthropologischen Gesichtspunkten zur Entfaltung kommen.
b) Zum anderen wird auf Folgebücher verwiesen, die den Ge­dankengang des ersten Bandes komplettieren sollen, nämlich auf die Anthropologie der Macht, die Anthropologie des Bösen sowie die Anthropologie der Dummheit (I, 15, Anm. 25). Die beiden zuerst genannten liegen im zweiten Band vor, das zuletzt genannte Buch steht noch aus. Diese Rück- und Vorverweise zeigen an, dass es in den beiden hier zu besprechenden Büchern nicht nur um die Weiterentwicklung eines Gedankenganges geht, dessen Grundbestimmungen bereits an anderer Stelle vorgezeichnet sind, sondern dass sie ihrerseits eine Einheit bilden. Dies gibt der Vf. schließlich auch als Grund dafür an, warum er seine Überlegungen zur Macht und zum Bösen in einem Band und nicht wie angekündigt in zwei Bänden präsentiert (II, 9). Deshalb werde ich zunächst nach der organisierenden Idee der Negativen Anthropologie fragen, um da­nach Aspekte ihrer Durchführung in beiden Bänden zu erörtern.
Den zentralen Ausgangspunkt der Überlegungen bildet die ge­schichtsphilosophische Diagnose, dass das Projekt der Aufklärung unwiderruflich gescheitert sei. Nicht die »Humanisierung der Welt« (I, 10) werde seit der Philosophie Kants vorangetrieben, sondern geradezu ihr Gegenteil. Dieser Befund scheint für den Vf. eindeutig festzustehen und wird im Verweis auf die global manifes­ten Folgen von »Unfrieden, Aggression, Gewalt und Zerstörung« (I, 11) immer wieder beschworen (I, 241.404; II, 191). Die Menschheit befinde sich somit inmitten eines Prozesses fortschreitender »De­-humanisierung« (II, 9), deren Endpunkt in der Verwirklichung des »Un-Menschen« (I, 405; II, 329) nahezu erreicht sei. Dieser Vorgang wird in beiden Bänden als anthropogenetischer Prozess der Selbstauslegung der Gattung bezeichnet. Es ist somit ein Vorgang, dessen Subjekt die Menschheit selbst ist. Dieser Gattungsebene gilt in den vorliegenden Studien daher auch das Interesse. Einzelne Menschen mögen unter bestimmten Bedingungen zwar durchaus in der Lage sein, an sich selbst moralische Qualitäten auszubilden, die Menschheit habe sich aber in eine entgegengesetzte Richtung entwickelt und unterbinde die Realisierung ihrer moralischen Optionen in systematischer Weise. Von einer systematischen Weise kann deshalb geredet werden, weil der Vf. diesen Prozess nach einer eigentümlichen Logik ablaufen sieht, nämlich – im Anschluss an Adorno – nach den Verfahrensweisen instrumenteller Rationalität. Dieser Modus des Umgehens mit Wirklichkeit ist ihm zufolge das Paradigma, an dem sich die verschiedenen Bereiche des Lebens mehr oder weniger unhinterfragt und unterschwellig orientieren. Sein Proprium wird darin gesehen, dass Wirkliches nicht in seinem Eigensinn erfasst, sondern als ein zu Bemächtigendes der zweckrationalen Kontrolle unterworfen und im Zuge dessen zwangsläufig verdinglicht werde. Dabei dulde die Logik instrumenteller Ra-tionalität keine Ausnahme, sondern beziehe sowohl die außermenschliche als auch die menschliche Natur in sich ein (II, 206). Im Blick auf Letztere habe sie dann zur Ausbildung des narzisstischen Charaktertyps geführt, der als »universales anthropologisches Mo­dell« (I, 404) in Geltung stehe. Auch Philosophie und Wissenschaft können von dieser Logik freilich nicht ausgenommen werden, sondern partizipieren unweigerlich an dem Drang zur Verdinglichung der Welt des Menschen. Darin wird – ebenfalls im Anschluss an Adorno – der »Verblendungszusammenhang« (II, 212) der gegen wärtigen Lage gesehen. Im Licht dieser Sicht der Dinge muss es daher nicht wundern, wenn der Vf. das universitäre Denken wiederholt entweder polemisch (I, 17.243 f.) oder in einer ideologiekritischen Perspektive betrachtet (II, 212 f.). Und so münden die Überlegungen schließlich in der These, dass unter »der glatten Oberfläche der gut integrierten, ökonomisch saturierten, sozialstaatlich abgefederten Massengesellschaft […] die Tendenz der Selbstauslegung der Gattung in Richtung Verhinderung möglicher Humanisierung ungebrochen« (II, 27) fortwirke.
Diese Diagnose könnte freilich als Ausdruck einer misanthropischen Grundeinstellung gedeutet werden. Doch dagegen wehrt sich der Vf. ausdrücklich, da eine solche Lesart sein eigenes Projekt bereits im Kern missverstünde. Denn gerade in einer solchen scheinbar ausweglosen Lage falschen Lebens geht es ihm darum, Optionen richtigen Lebens zu benennen. Er möchte also zumindest die Möglichkeit eines anderen Ausgangs offenhalten. Allerdings stellt sich unter der Bedingung der Logik instrumenteller Vernunft die Frage, wie solche Optionen überhaupt methodisch kontrolliert aufgewiesen werden können. Die einzige Antwort darauf sieht der Vf. in einer »transzendentalen Reflexion«, also in einer Gedankenbewegung, die nicht das Faktische zum Maßstab erhebe, sondern nach den »Bedingungen der Möglichkeit von Humanität« (I, 12; II, 29) frage. Diese Reflexion dürfe sich zwar nicht gegenüber empirischen Kenntnissen abschließen, sie könne aber weder von ihnen hergeleitet noch durch sie gerechtfertigt werden (I, 208). Ihr obliege es vielmehr, den »letzte[n] normative[n] Rückzugspunkt« (II, 29) des Denkens zu bestimmen und dabei gleichzeitig zu wissen, dass dieser Bestimmung »kein Praxisbegriff« (ebd.) entsprechen könne. Die Bewegung transzendentaler Reflexion zielt somit nicht auf ein in sich selbst eindeutig bestimmtes Ergebnis, sondern auf die Bestimmung einer »Unbestimmtheit« (I, 13), die als Offenhalten einer letzten Hoffnung auf die Möglichkeit eines humanen Lebens zu verstehen ist (II, 291). Der Mensch, so die Pointe, müsse daher entgegen jeder Form von Hypostasierung als ein »Möglichkeitswesen« (ebd.) begriffen werden. Diese Einsicht führt schließlich zur Formulierung der These, dass in der anthropologischen Frage »alle Bedingungen der Möglichkeit überhaupt ihren Ort« (II, 75) hätten. Damit wird die Anthropologie als der Ort transzendentalphilosophischer Thematik ausgewiesen.
Im Rückblick zeigt sich damit auch die doppelte Bedeutung des Titels Negative Anthropologie: Zum einen bezieht sich das Prädikat »negativ« auf die im Prozess menschlicher Entwicklung »vertane[n] Möglichkeiten« (I, 12), mithin auf die »Negativität der Erfahrungen« (I, 242); zum anderen bezieht es sich darauf, dass der Mensch als Möglichkeitswesen keine abschließend bestimmbaren Eigenschaften besitzt, sondern als das Negative dieser identifizierbaren Bestimmtheiten fungiert. So gesehen zielt das Programm einer Negativen Anthropologie ebenfalls auf die Klärung jenes doppelten Themenbestandes: Zunächst zielt es darauf, die geschichtliche »Unfreiheit« (I, 33) der Gattung zur Realisierung ihrer humanen Möglichkeiten zu untersuchen. Das geschieht vor allem im Rekurs auf das Triebkonzept der Psychoanalyse, die vom Vf. als anthropologische »Grundlagendisziplin« (I, 103) profiliert wird. Sodann zielt es darauf, der Idee der Humanität Ausdruck zu verleihen, obgleich ihr kein definitiver Ort im Faktischen zugewiesen werden kann. Unter beiden Gesichtspunkten realisiert sich somit das, was im Titel als Aufgabe der Grundlegung angezeigt ist. So viel sei zu der organisierenden Idee des Ganzen gesagt. Ich komme nun zu einzelnen Aspekten ihrer Durchführung.
Der erste Band der Negativen Anthropologie widmet sich der Ethik. Dabei werden im ersten Teil Grundlagenbestimmungen entwickelt und zugleich problematisiert. Das geschieht zunächst in der Diskussion der Philosophischen Anthropologie, Historischen Anthropologie sowie der Ethnologie. Im Zuge dieser Diskussion gewinnt der Vf. einen Begriff des Menschen, der dessen Möglichkeitscharakter wahren soll, da über die spezifische Realisierung einzelner Möglichkeiten »andere [C. S.], im konkreten Kontext von Geschichte und Gesellschaft situierte und dort wirksame Kräfte entscheiden« (107). Spätestens damit ist die Vermittlungsproblematik zwischen Möglichkeit/Wirklichkeit und Gesellschaft/Individuum aufgegriffen, und zwar als Implikat des Wesensbegriffs selbst. Dieser Problematik wird im Folgenden dann in Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse intensiv nachgegangen. Diese sei gerade deshalb als Grundlagendisziplin aufzufassen, weil sie den Menschen nicht als ein faktisch »Gegebenes«, sondern unter dem Ge­sichtspunkt des Werdens, ge­nauer: des Werdens seiner »psychodynamischen Strukturen« (108) begreife. Sie liefere daher das methodische Instrumentarium, um das »Vermittlungsverhältnis von geschichtlicher Subjektivität wie Objektivität in seiner ganzen Vielschichtigkeit« (120) zu erkunden. Dazu dient dem Vf. vor allem die Triebtheorie Freuds sowie Fromms Konzept des »Gesellschafts-Charakters« (127–181). Ausgehend von diesen Überlegungen vollzieht der zweite Teil dann den »Übergang in die konkrete Negativität« (205). Ausgangspunkt ist hier zunächst ein kritischer Rundumschlag, in dem der zeitgenössischen Moralphilosophie vorgeworfen wird, sie unterstelle eine mensch­liche Möglichkeit, nämlich moralisch handeln zu wollen, schon als »anthropologische Gegebenheit« (249). Dadurch würden aber Überlegungen zu den sozioindividuellen Bedingungen des Werdens dieses Wollens in den Hintergrund gedrängt und ein abstraktes Bild des ethischen Standpunktes entworfen. Dem will der Vf. entgehen, indem er in kritischer Auseinandersetzung mit »Fundamentalmodelle[n] des ethischen Vermögens« (257) – Kant, Hume, Schopenhauer und Freud – ein »Modell der psychischen Genese des moralkompetenten Menschen« (353) entwickelt. Dabei zeichnet er die Entwicklung derjenigen elementaren Fähigkeiten nach, die bereits in der Analyse von Hume und Schopenhauer gewonnen wurden: Empathie und Sympathie. In diesem Rahmen wird schließlich ein triebtheoretisch fundiertes Modell des moralischen Handelns entworfen (363–366), dessen Bestimmtheiten allerdings im Lichte der ständig gegenwärtigen narzisstischen Störungspotentiale zugleich wieder problematisiert werden.
Der zweite Band greift den im ersten Band gesponnenen Faden wieder auf, will aber die »transzendentale Anthropologie« in die »empirische« (13) überführen. Das geschieht, indem jetzt der Me­chanismus in den Blick gerät, der den »Selbsthumanisierungsprozess der Gattung […] entscheidend behindert und […] mit großem Erfolg zum Scheitern verurteilt« (9; vgl. 146). Dies leistet die Macht, in deren Ausprägungen sich das moralisch Böse realisiert. Damit geraten die Phänomene in den Blick, an denen die Geschichtstheorie des Werkes selbst ihren Angelpunkt hat. Ihre Untersuchung ist wie folgt organisiert: Im ersten Teil des Bandes widmet sich der Vf. der Anthropologie der Macht, die er im Zuge einer Auseinandersetzung mit maßgeblichen Theoretikern entwickelt. Dabei werden zunächst die Konzeptionen von Luhmann, Foucault und Habermas untersucht, und zwar mit dem Resultat, dass alle drei erhebliche »Defizite in der anthropologischen Reflexion« (81) aufweisen: Während das handelnde Subjekt bei Luhmann und Foucault ganz ausfalle, werde es bei Habermas hingegen als etwas Gegebenes betrachtet und dadurch verdinglicht. Der Vf. will bei diesem Ergebnis freilich nicht stehen bleiben, sondern »tiefer hinein in den Schacht der Ursprünge« (86) des Phänomens eindringen. Um das zu leisten, rekurriert er auf Nietzsche, dessen Leistungsfähigkeit darin bestehe, dass dieser die psychologische Dimension des Machtphänomens aufschlüssele, mithin die »finstersten Winkel der Seele« (114) ans Licht treten lasse. Damit gerät das Macht streben in den Blick. In der dadurch vorgezeichneten Richtung folgt nun eine Analyse der Machtkonzeption Alfred Adlers und schließlich der Vorschlag des Vf.s, jenes Streben analytisch in fünf Teilelemente zu zergliedern. Dadurch werde es möglich, das Streben nach Macht als »Hauptkraft« (146) aufzuweisen, die den Humanisierungsprozess der menschlichen Gattung blockiere. Spätestens an dieser Stelle gerät daher die Beziehung zum Bösen in den Blick, deren Untersuchung im zweiten Teil des Bandes erfolgt. Hervorgehoben wird, dass für die Negative Anthropologie die Frage des Bösen die »Grundfrage des menschlichen Lebens überhaupt« (166) sei. Allerdings zeuge die zeitgenössische Diskussion von gravierenden Fehleinschätzungen, da sie entweder auf sprachkritische Aufhebungen und Hypostasierungen des Phänomens hinausliefe oder das Böse nur unzureichend in einem ethisch qualifizierten Sinn erfasse (175). Der konstruktive Umgang des Vf.s setzt dann bei Kants Begriff des radikal Bösen ein, in dem er einen tiefgreifenden »Riß« (192) der aufgeklärten Vernunft zu erkennen meint, aus dem Kant allerdings nicht den nötigen Schluss ziehe. Und so lautet die Kritik, dass der Königsberger Philosoph dennoch an den Prämissen seiner »positiven Anthropologie« (196) festhalte. Demgegenüber sei es allerdings angebracht, nicht die Vernunft als »Ursprung oder Quelle« (205) sittlicher Ansprüche anzusehen, sondern diese selbst als Spannungsfeld zwischen instrumentellen und nichtinstrumentellen Rationalitätsfiguren anzusehen, mithin ihre Einheit – wenn überhaupt – nur noch als zerbrochene zu denken.
Im letzten Kapitel stellt der Vf. schließlich die zentrale Frage nach den Be­dingungen einer gelingenden Menschwerdung. Dabei steht bereits fest, dass diese Frage nicht auf der Ebene reiner praktischer Vernunft, sondern auf der Ebene menschlicher Triebökonomie in der Vermittlung von Individuum und Gesellschaft entschieden werden müsse (269 f.). Vor diesem Hintergrund werden im Anschluss an die psychoanalytische Theoriebildung begriffliche Dis­tinktionen entwickelt, die es zu­mindest erlauben sollen, einen Begriff dieser Bedingungen zu umreißen, ohne ihm allerdings einen Ort im Faktischen zuweisen zu können. Denn um den Prozess der »Dehumanisierung« aufzuhalten, so die Schlussthese, bedürfe es »anderer Menschen« (327), mithin Menschen, die in der Primärbeziehung zwischen Mutter/Vater und Kind der Herrschaft des Instrumentellen entkommen seien. Und so lautet die von Rousseau übernommene Devise schließlich: »[F]angt bei den Müttern an, und ihr werdet über die Veränderungen staunen.« (327 f.; vgl. I, 161–165) Was die Realisierungschancen dieser Option angeht, vermag der Vf. selbst allerdings keine große Hoffnung zum Ausdruck zu bringen (322, Anm. 277).
Fazit: a) Was die Form angeht, wird in der Negativen Anthropologie eine Fülle an Material kenntnisreich und unter einer einheitlichen Fragestellung verarbeitet. Das gestaltet die Lektüre im Großen und Ganzen abwechslungsreich und informativ, aber auch vorhersehbar und stellenweise etwas redundant. Der Sprachstil ist für mich bis zuletzt gewöhnungsbedürftig geblieben, da er teils sehr idiosynkratisch ausgestaltet ist.
b) Mit Blick auf die inhaltliche Konstruktion der Arbeit fällt auf, dass der Vf. seine Prämissen lobenswerterweise gleich zu Beginn offenlegt, sie selbst aber keiner ernsthaften Diskussion mehr aussetzt. Am Totalitarismus instrumenteller Vernunft kommt somit kein Zweifel auf. So bleiben Fragen zurück, die das methodologische Gerüst des gesamten Projekts betreffen, vor allem die Verhältnisbestimmung zwischen transzendentaler Reflexion, Empirie und faktisch wirksamer »Verblendung«. Das hat damit zu tun, dass die Charakterisierung einer sozialen Situation als »verblendet« selbst schon einen Standpunkt voraussetzen muss, von dem aus die Mechanismen dieser »Verblendung« einsichtig sind. Wie dieser allerdings innerhalb einer solchen Situation generiert werden kann, ist mir bis zuletzt nicht ganz klar geworden. Denn der Verweis auf eine mögliche Leistung transzendentaler Reflexion scheint das Problem nicht zu beheben, sondern nur zu verschieben.
c) Aus theologischer Perspektive betrachtet lässt sich die vorliegende Negative Anthropologie einzelnen Sachfragen der Hamartiologie und Ethik zuordnen. Bemerkenswert ist indessen, dass in ihr die durchaus differenziert geführte religionsphilosophische und theologische Diskussion des Themas, von einigen religionskritischen Randbemerkungen einmal abgesehen, keine Rolle spielt. Ob das ein Manko ist, mag der Leser oder die Leserin selbst entscheiden.