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Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

219–221

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Riegler, Alexander, u. Stefan Weber [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Dritte Philosophie. Kritische Beiträge zu Josef Mitterers Non-Dualismus.

Verlag:

Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2010 (2. Aufl. 2011). 303 S. m. Abb. 22,2 x 14,0 cm. Lw. EUR 29,90. ISBN 978-3-938808-88-7.

Rezensent:

Johannes Corrodi Katzenstein

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Mitterer, Josef: Das Jenseits der Philosophie. Wider das dualis­tische Erkenntnisprinzip. M. e. Nachwort z. Neuausgabe 2011. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2011. 127 S. m. Abb. 21,0 x 12,5 cm. Lw. EUR 14,80. ISBN 978-3-942393-25-6.
Mitterer, Josef: Die Flucht aus der Beliebigkeit. M. e. Vorwort z. Neuausgabe 2011. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2011. 126 S. 21,0 x 12,5 cm. Lw. EUR 14,80. ISBN 978-3-942393-26-3.


Zur Zeit ihrer ersten Abfassung (1973–78) konnten die Thesen Josef Mitterers noch jeden Philosophen zum akademischen Außenseiter machen. Inzwischen sind seine Bücher veröffentlicht und neu aufgelegt, und M. hat zumindest eine außerordentliche Professur inne. Doch auch heute können die in Das Jenseits der Philosophie (JP) vertretenen Auffassungen ungewöhnlich wirken. Verglichen damit bietet der nachfolgende Band Die Flucht aus der Beliebigkeit (FB) nur wenig Neues. Hier werden die 100 Thesen von JP auf das Gebiet der Bildung/Erziehung angewendet.
Worum geht es? M. hat, kurz gesagt, ein einziges Ziel. Er will das philosophische und wissenschaftliche Streben nach objektiver Erkenntnis und Wahrheit als gegenstandslos und diskurshinderlich herausstellen. Das klingt nun nicht besonders neu oder aufregend. Interessant ist jedoch, dass der vertretene Ansatz nicht nur jeglichen Realismus, sondern auch jeden Anti-Realismus, Konstruktivismus und Relativismus überwinden will. Was diese so gegenläufigen Positionen verbindet, ist, dass sie von einer kategorialen Unterscheidung zwischen Sprache und Wirklichkeit, Beschreibung und Objekt, Me­tasprache und Objektsprache, Erkenntnis- bzw. Wahrheitsanspruch und tatsächlicher Erkenntnis bzw. Wahrheit ausgehen (JP, 37). Das ist das »Paradogma« (JP, 15; FB, 14) der Erkenntnistheorie seit Platon. Bloß wie sich die dichotomischen Glieder zueinander verhalten, ist bis heute Gegenstand erbitterter philosophischer Kontroversen. Der Realismus geht von einer sprachunabhängigen Wirklichkeit aus, der Konstruktivismus und Relativismus dagegen von einer zwar sprachlich konstituierten/konstruierten, aber zuletzt immer noch »sprachverschiedenen« Wirklichkeit (JP, 16; FB, 7), die es ad­äquat zu beschreiben gilt. Im Gegensatz zum Anspruch einer realis­tisch verstandenen Aussage oder Theorie kann eine sprachlich konstituierte Wirklichkeit freilich nicht länger mit der Wirklichkeit verglichen werden, mit dieser »übereinstimmen« oder an ihr scheitern. Korrespondenztheorien von Wahrheit werden konstruktivistischerseits deshalb durch Kohärenz- oder Konsenstheorien abgelöst.
Doch liegt allen Varianten der sich bekämpfenden Auffassungen eine gemeinsame Voraussetzung zugrunde: die kategoriale Unterscheidung zwischen Sprache und Wirklichkeit, sprachlicher Beschreibung und sprachverschiedenem Objekt, etc. (JP, 12; FB, 39). Diese Unterscheidung ist der Lebensnerv jedes dualistischen Philosophierens. Da sie den rationalen Diskurs erst ermöglichen soll (JP, 37; FB, 24), bleibt sie selber der Diskussion entzogen (JP, 16). Eine »nicht-dualisierende« Redeweise will dies ändern. Sie soll nicht aus den »rational« diskutierten Problemen der Philosophie hinaus, sondern gerade in diese hinein führen (JP, 8). Dadurch hofft sie, das genannte Paradogma als Folge einer Entscheidung zu erweisen, die mitzuvollziehen nicht rational notwendig ist (JP, 52; FB, 37).
Wie soll das geschehen? »Auch das zu Beschreibende, das Objekt der Beschreibung, ist bereits eine, nämlich die vorliegende Be­schreibung.« (JP 44, kursiv hinzugefügt) Die Beschreibung des Apfels auf dem Tisch zielt in nicht-dualisierender Redeweise eben nicht auf ein sprachverschiedenes Objekt Apfel, Tisch, etc., sondern geht vielmehr von der Beschreibung »der Apfel auf dem Tisch« aus. Es wird nicht etwas beschrieben, das vor der Angabe des zu beschreibenden Objekts schon da und so beschaffen war, wie es im besten Fall dann beschrieben oder gedeutet wird. Vielmehr nimmt jede Beschreibung eine andere, ihr vorausgehende Beschreibung auf und verändert sie. Das zu beschreibende Objekt besitzt also keine beschreibungsresistente Identität – sei es »in Wirklichkeit« oder innerhalb des gewählten Frameworks – vis-à-vis seinen verschiedenen, oft divergierenden Beschreibungen. Vielmehr erweitert jede Beschreibung ihr Objekt bzw. »führt es aus«.
Dagegen drängen sich verschiedene Einwände auf. Zum Beispiel: Der Tisch erhält seine vier Beine doch nicht etwa durch eine entsprechende Beschreibung? Da könnte man sich ja den Tischler sparen (JP, 50). Doch verkennt eine solche Reaktion den entscheidenden Punkt, dass hier nicht der Tisch das zu beschreibende Ob­jekt ist, sondern der vierbeinige Tisch. D.h. /der vierbeinige Tisch/ (in »Ausführungszeichen«, JP, 43) ist die Beschreibung »so far«, die durch eine Beschreibung from now on ausgeführt werden soll (etwa: Der vierbeinige Tisch ist rund). Wird diese Beschreibung von den Gesprächsteilnehmern übernommen, wird sie zur neuen Be­schreibung so far. Entsteht aber eine Meinungsdivergenz, bleibt es vorläufig bei der geteilten Beschreibung so far. Solange dieser Streit währt, muss die Beschreibung von den Beteiligten natürlich festgehalten werden – wobei es später immer möglich ist, hinter sie zurückzukehren, etwa auf die Beschreibung /der Tisch, der in der Ecke steht/.
Die Differenz zwischen einer dualisierenden und einer nicht-dualisierenden Redeweise wird erst dann greifbar, wenn sich voneinander abweichende Beschreibungen, Theorien etc. gegenüberstehen. Dann nämlich enthüllt die dualisierende Rede ihr »wahres«, d. h. dogmatistisches Gesicht – zumindest dem, der sie nicht teilt. Der automatische Rekurs auf eine – »unabhängige« oder frame­work-relative – geteilte Wirklichkeit W oder ein gemeinsames Sprachspiel S kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass W oder S schon so beschaffen sind, wie sie vom Kontrahenten dann ausgeführt werden. Denn jeder beschreibt mit eigenen Ausdrücken und im Licht eigener Deutungen. Somit verlieren W oder S ihren vermeintlichen Status als neutrale Bezugsbasis (JP, 56). Wenn Be­­­schreibungen nun aber mit einem Erkenntnis- oder Wahrheitsanspruch auftreten, wird ihnen implizit oder explizit eine diskursjenseitige Geltung zugesprochen, die sich auf alle diskursiv aus­getragenen Meinungs- und Glaubensverschiedenheiten er­strecken soll. Umstrittene Beschreibungen from now on werden als (regulative) Beschreibungen so far ausgegeben. Anders gesagt: »Das Jenseits des Diskurses wird eingesetzt, um die je eigenen Auffassungen und Beschreibungen als ›wahr‹ und ›adäquat‹ zu immunisieren und um jene Auffassungen und Beschreibungen, die ihnen zu­widerlaufen, als ›falsch‹ oder ›inadäquat‹ aus dem Diskurs zu eliminieren oder zumindest zu diskreditieren.« (JP, 9) Die Erziehung zur Wahrheit ist somit immer auch eine Erziehung zur Wahrheit des Erziehers (FB, 11). Das Emanzipationspathos des akademischen Langzeitaußenseiters klingt in einer Sentenz wie dieser deutlich nach und steht in eigenartiger Spannung zu dessen eigenem Wunsch nach öffentlicher Anerkennung.
Die Auseinandersetzung mit dem nicht-dualisierenden Denkansatz M.s lohnt sich. Dass sie aber nicht einfach ist, zeigen die 23 Beiträge, die in dem von Alexander Riegler und Stefan Weber herausgegebenen Sammelband zu M. Die dritte Philosophie versammelt sind. Das Spektrum der Reaktionen reicht vom perplexen Kopfschütteln des Realisten, der sich einmal mehr genötigt fühlt, »alltägliche« Beispiele einer fraglos gegebenen Wirklichkeit zu Rate zu ziehen, bis hin zur »Heimholung« des Ansatzes in bekanntere pragmatistische Gefilde. Auch ein ironischer Beitrag ist zu finden, der unterstellt, von nun an seien alle unsere Beschreibungen willkürlich und beliebig. Man fragt sich deshalb, ob die von M. kritisierte Flucht aus der Beliebigkeit »bloßer« beliefs in die erhoffte (Pseudo-)Sicherheit einer philosophisch und wissenschaftlich fundierten Erkenntnistheorie jemals zu Ende kommen kann. Trifft es aber zu, dass das Verb »to believe« mit »glauben« wie mit »lieben« verwandt ist, dann ist mit E. Voegelin zu fragen, ob die Wurzel der hier verhandelten Probleme nicht eher dort zu suchen ist, wo der amor sui des Erkenntnissubjekts den amor dei verdrängt hat. Dann nämlich kann »das Herz« nicht anders, als sich dogmatisch an eine Wahrheit zu hängen, die immer nur die eigene ist.