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Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

213–215

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schwanke, Johannes

Titel/Untertitel:

John Henry Newmans Konversion. Sein Weg zur katholischen Kirche aus protestantischer Perspektive.

Verlag:

Berlin: de Gruyter 2011. XIV, 339 S. 23,0 x 15,5 cm = Theologische Bibliothek Töpelmann, 150. Geb. EUR 89,95. ISBN 978-3-11-022894-6.

Rezensent:

Harald Seubert

Der Glaubensweg und insbesondere die Konversion von John Henry Newman sind nicht nur historisch von Interesse. Sie werfen auch systematisch grundsätzliche Fragen des Verständnisses von Glaube und Kirche auf. Kenntnisreich und differenziert rekonstruiert Johannes Schwanke in seiner Monographie, ursprünglich eine Tübinger Habilitationsschrift, aus dezidiert protestantischer Perspektive Newmans Weg, der, so seine Ausgangsthese, von der Suche nach Gewissheit und der Frage nach dem legitimen Heilsweg und der wahren Kirche Jesu Christi bestimmt war. Die Arbeit folgt fünf maßgeblichen Lebensstationen Newmans und sie zeigt, dass dabei jeweils exemplarische Positionen durchlaufen wurden. In seiner Kindheit und Jugend kam Newman mit einem dominanten Biblizismus und dem Prinzip des sola scriptura in Verbindung. Er wandte sich aber davon ab: sah er doch schon früh in der Tradition ein notwendiges Korrektiv. Das verabsolutierte sola scriptura laufe Gefahr, beliebig zu werden, und es mache den Glauben für Angriffe seitens der historischen Kritik besonders anfällig. Diese Einsicht weitete sich während Newmans Studienzeit zu einer Kritik an zentralen Loci der Theologie Luthers aus, namentlich dem sola fide und sola gratia. Mit der Kritik ging eine schwere Lebenskrise einher. Schon der junge Newman diagnostizierte in diesem Sinn eine eigene »babylonische Gefangenschaft« Luthers, die ihn hindere, die äußeren Zeichen der Zugehörigkeit zur Heils- und Gnadengemeinschaft der Kirche angemessen in den Blick zu bringen. Ethische Defizite und ›protestantische Selbstbezogenheit‹ sah Newman als latente Gefahr der reformatorischen Prinzipien.
S. legt nicht nur die Position von Newman umsichtig dar. Er zeigt auch ihre defiziente Luther-Kenntnis. Wenn eine fast kindliche Bibelfrömmigkeit in den Anfängen bestimmend war, so tritt mit der Bekehrung 1816 ein strenger Calvinismus mit einem manifesten Heiligkeitsstreben in den Vordergrund. Genaue Selbstbeobachtung und nicht weniger gründliches Studium der Gläubigkeit anderer während seiner Zeit als Fellow des Oriel-Colleges gehen zeitweise mit einem vermehrt liberalen Einfluss im Gefolge seines zeitweiligen Mentors Whately einher. Wieder setzt eine Lebenskrise, Erkrankung und der Tod seiner geliebten Schwester Mary, eine dramatische Zäsur. Newman richtet sich in der folgenden Zeit primär gegen den Liberalismus, wobei der Vorwurf liberalen Antidogmatismus’ und die Begründung auf self judgment das verbindende Glied zwischen seiner Liberalismus- und Protestantismuskritik ist. Erst später solle Newman frei von Polemik einen Schulterschluss zwischen Katholizität und gläubigem Protestantismus gegenüber den Erosionen eines säkularisierenden Liberalismus artikulieren.
Newman war indes, wie S. eindrucksvoll zeigt, auf der Suche nach dem Geheimnis des Glaubens (mystery). Eine Mittelmeerreise vom Dezember 1832 bis zum Juli 1833 bringt ihn mit der Patristik und mit den Ostkirchen in Verbindung. Die Begegnung gerät ihm zugleich zu einer Auseinandersetzung mit der primär intellektualistischen Orientierung in seiner Studienzeit. Diese er­scheint ihm nun als Grundmangel. Es sei ein geistiger und geistlicher Fehler, an einer Religion innerhalb der Grenzen des bloßen Verstandes befangen zu bleiben. Zu Recht fragt S., warum die Verbindung zur Or­thodoxie nicht weiter trug, vielleicht gar bis zu einer Konversion. Newman vermisste die Universalgestalt einer sichtbaren Kirche. In den 30er Jahren sah Newman, freilich von zunehmenden Zweifeln berührt, in der anglikanischen Kirche eine media vita zwischen Orthodoxie und Reformation. Es ist die Zeit, in der er in seinen Vorträgen und Traktaten der Oxford-Bewegung ihre namhafte Stimme gibt und als wortgewaltiger Prediger in St. Mary wirkt. Besonderes Aufsehen erregt das Traktat 90, mit der These, die Thirty-Nine Articles, der dogmatische Grundtext des Anglikanismus, könnten auch von jedem Katholiken unterschrieben werden. Die Bestreitung der Eigenständigkeit des Anglikanismus führte Newman zu einer erneuten und vertieften Beschäftigung mit dem Magnus Consensus und der Alten Kirche. Differenziert macht S. deutlich, dass Newman den Anglikanismus aber zunehmend als unsichere Kirche verstand. Er entwickelt die Konzeption eines development of truth, in deutlicher Abgrenzung gegenüber der evolution des Darwinismus. Sie macht die Stärke und Fundiertheit des römischen Katholizismus aus. Die Wahrheit entfaltet sich in der Zeit. Und dadurch kommt der biblische Text zum Sprechen; corruptions, Wildwuchs und Fehlentwicklungen in der Kirche, deren Dimensionen er keineswegs verkennt, können kanalisiert, aber auch mit einer zunehmenden Toleranz und Gelassenheit konstatiert werden, obgleich Enttäuschungen und Verkennungen auch nach der Konversion nicht ausbleiben sollten.
Die Stärke von S.s Monographie liegt nicht zuletzt darin, dass er Newmans Bild von dem sich bildenden und verändernden Strom nicht nur als Bild für die Einheit der Kirche, sondern zumindest ebenso sehr als Selbstcharakteristik von Newmans Entwicklung ernst nimmt. Er seziert die Konversion nach biographischen, systematischen und spirituellen Elementen, ohne das eine auf das andere zurückzuführen. Gefürchtet habe Newman, so die abschließende These, die Zugehörigkeit zur falschen Kirche, die den dogma­tischen und spirituellen Magnus Consensus preisgegeben habe. Er habe aber nicht – oder zu wenig – den »Verlust einer ureigenen und unveräußerlichen priesterlichen Freiheit« gefürchtet (296).