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Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

204–206

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hausammann, Susanne

Titel/Untertitel:

Das lebenschaffende Licht der unauflösbaren Dunkelheit. Eine Studie zum Verständnis von Wesen und Energien des Heiligen Geistes und der Schau des göttlichen Lichtes bei den Vätern der Orthodoxen Kirche von Origines bis Gregor Palamas.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2011. 300 S. 22,0 x 14,5 cm. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-7887-2525-9.

Rezensent:

Ovidiu Ionuț Ioan

Die emeritierte Professorin für Kirchengeschichte an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, Susanne Hausammann, wohlbekannt durch ihr monumentales fünfbändiges Standardwerk Alte Kirche, versucht in diesem Buch zwei Dimensionen zu erfassen: die orthodoxe Mystik (mit der Schau des göttlichen Lichtes als Zeichen der Vergöttlichung [theosis]) und die Pneumatologie (insbesondere die Unterscheidung zwischen dem Wesen und den Energien des Heiligen Geistes als theologische Grundlage der Mystik).
Die Studie ist durch die Beobachtung der ökumenischen Dialoge mit den orthodoxen Kirchen motiviert. Mit Verwunderung, ja sogar mit einer gewissen Irritation würden die nicht-orthodoxen Gesprächsteilnehmer der östlichen Unterscheidung zwischen dem Wesen Gottes und seinem Wirken durch die »ungeschaffenen Energien« begegnen, einem Glaubenssatz, den sie meistens als Palamismus beiseite schieben. H. überwindet diese Sicht, indem sie zwischen der Dogmatisierung dieser spezifisch orthodoxen Lehre durch Gregor Palamas im 14. Jh. und der Entwicklung dieses Lehrgebäudes, beginnend mit Origenes im 3. Jh., unterscheidet und dies als eine innere Notwendigkeit der christlichen (oder nur orthodoxen?) Theologie darstellt. Sie versteht diese Lehre als einen Klärungsversuch eines biblischen Gegensatzes: Wie kann man auf der einen Seite die Unfassbarkeit, Unbegreifbarkeit und Undenkbarkeit Gottes vertreten und auf der anderen Seite an der biblischen Verheißung der Vereinigung mit Gott durch den Heiligen Geist gleichermaßen festhalten? Zu Recht erkennt H., dass diese Problematik zu Antinomien und schließlich zu einer paradoxen Denkweise führt, die sich bestimmter Bilder, Symbole und Metaphern bedient. Sie weiß auch, dass für die Orthodoxen dies nicht bloß eine Frage der Theorie und des Denkens ist, sondern existenzielle Be­deutung und soteriologische Konsequenzen hat. Sie beweist da­durch ein tiefes Verständnis der orthodoxen Theologie, die immer ein enges Verhältnis zur Spiritualität aufweist.
H. lehnt die Methode ihrer Untersuchung an die innere Logik der orthodoxen Theologie an und bezieht sich dabei auf deren Kriterien der Wahrheitsfindung: a) den biblischen Konsens; b) die kirchlichen Synoden als Ausdruck des synchronen Prinzips der Tradition; c) den Konsens der Heiligen Väter als diachrones Prinzip der Tradition (13–14). Diese Kriterien seien immer zusammenzudenken. Dazu gehören auch die Antinomien und die Antithesen als zur orthodoxen Theologie genuin gehörende und darin tief verwurzelte Methoden, die für die Behandlung des gewählten Themenkomplexes äußerst relevant sind (263).
Der Aufbau ist übersichtlich und das Werk lässt sich sowohl als Monographie als auch als Nachschlagewerk lesen. Von Origenes bis Nikolaus Kabasilas werden die Kirchenväter bzw. kirchlichen Schriftsteller chronologisch aufgeführt. In sechs Kapiteln wird die Lehre vom Heiligen Geist dargestellt, wie sie auf Kapitel verteilt bei 1. Origenes und Athanasius von Alexandrien (mit einem Exkurs zu den Pneumatomachen); 2. Basilius dem Großen, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa; 3. Theodor von Mopsuestia und Johannes Chrysostomus; 4. Evagrius Ponticus und Diadochus von Photike; 5. Pseudo-Dionysius Areopagita, Maximus Confessor und Jo­hannes von Damaskus; 6. Symeon dem Neuen Theologen, Gregor Sinaïtes, Gregor Palamas und Nikolaus Kabasilas nachzulesen sind. Das 7. und letzte Kapitel bietet einen Rückblick und eine Zusam­menfassung in drei Teilen. Register sind nicht vorhanden; bibliographische Angaben bietet H. reichlich in den Fußnoten.
Eine Herausforderung für die orthodoxe Leserschaft stellt die Aufnahme des Origenes und des Theodor von Mopsuestia in der Untersuchung dar. H. geht vorsichtig damit um und übt Kritik an deren von der Lehre der byzantinischen Kirche abweichenden Ansichten. Wenn der Einfluss von Origenes’ Pneumatologie auf Gregor Thaumaturgos und damit auf die kappadokischen Väter deutlich gemacht und dadurch die Aufnahme des Apologeten begründet wird, dient die Darstellung der Lehre von Theodor nur als Pendant für die Vorstellung des Johannes Chrysostomus im Rahmen antiochenischer Theologie und zum Beweis, dass die Unterscheidung zwischen dem Wesen und Wirken des Heiligen Geistes auch außerhalb des theologischen »Mainstreams« gemacht wurde. H. verfolgt nicht die Weiterentwicklung der Lehre von Theodor im ostsyrischen Christentum, die ihren Höhepunkt etwa in den dogmatischen Werken von Babai dem Großen und in den mystischen Schriften von Isaak dem Syrer erreicht. Bekannterweise nahm die Mystik von Isaak durch Übersetzungen ins Griechische einen entscheidenden Einfluss auf die byzantinische Mystik. Die Auswahl zielt ausschließlich auf Kirchenväter, bei denen beide Ele mente der Untersuchung (Vergöttlichung/Lichtmetaphorik und Pneumatologie) zu finden sind. Doch dadurch entfallen der Be­trachtung wichtige Theologen der Mystik, die sich bei der Analyse späterer Autoren als unentbehrlich erweisen (z. B. Johannes Klimakos) oder bestimmte Entwicklungen erklären könnten (Isaak der Syrer).
Jeder Autor und dessen Werk werden zunächst historisch kontextualisiert. Es folgt die Besprechung der Hauptthemen mit Anschluss an die angrenzende Thematik in einer dogmenhistorischen Perspektive. Jeder Teil wird durch eine Zusammenfassung aller wichtigen Themen mit hervorgehobenen Schlüsselbegriffen und einem Akzent auf den Eigenbeitrag des jeweiligen Autors be­endet. Mittels langer Zitate versucht H. die Väter sprechen zu lassen, so dass man etwas von ihrem Duktus mitbekommen kann, und beschränkt sich dabei auf die Verortung ihrer Diskurse und auf die Erläuterung der Fachbegriffe sowie der spezifischen Termini der orthodoxen Theologie und Spiritualität. Die Erfahrung als Übersetzerin und Herausgeberin orthodoxer Kultusbücher in deutscher Sprache kommt hier zum Einsatz. Manche langen Zitate bleiben jedoch erklärungsbedürftig und werden Anfängern auf diesem Gebiet einige Schwierigkeiten bereiten.
Ziel der Untersuchung ist also die Erarbeitung der in der Lite­-ratur der orthodoxen Kirchenväter vertretenen These, dass der Mensch Anteil an Gott haben kann, allerdings nicht an seinem Wesen, sondern an seiner Gnade. Durch die kirchlichen Mysterien (Sakramente) und die Askese (als liebevolle und entschiedene Antwort auf Gottes Ruf) kann der Mensch die Gaben des Heiligen Geistes erlangen, die ihm helfen, über die natürlichen menschlichen Kräfte hinauszuwachsen und Gott als Lichterscheinung zu sehen. Dieser Zustand wird in der Mystik als Vergöttlichung angesehen, als ein Prozess der Vereinigung mit Gott, der in diesem Leben beginnt und im Jenseits vervollständigt wird. Dieser theologischen Sicht liegt die Unterscheidung zwischen dem Wesen und dem Wirken (den Energien) Gottes zugrunde. Durch die Anbindung an die Pneumatologie, bzw. dort, wo diese unterentwickelt ist, an die Christologie (Ps.-Dionysius), erfolgt auch eine Legitimierung der orthodoxen Mystik (und implizit der Praxis der Askese).