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Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

191–193

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Dingel, Irene, u. Stefan Rhein [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der späte Bugenhagen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2011. 256 S. m. Abb. 24,0 x 17,0 cm = Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, 13. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-02746-0.

Rezensent:

Anneliese Bieber-Wallmann

Zum 450. Todestag Johannes Bugenhagens im Jahre 2008 wurde sein Leben und Wirken auf drei wissenschaftlichen Tagungen gewürdigt. Im Sammelband Johannes Bugenhagen (1485–1558). Der Bischof der Reformation dokumentierten I. Garbe und H. Kröger die Tagungen in Barth und Greifswald; der vorliegende Band enthält die Beiträge der Wittenberger Tagung vom April 2008.
Am besten lässt sich der Titel Der späte Bugenhagen auf die Zeit nach Luthers Tod beziehen, als der Schmalkaldische Krieg und die darauf folgenden innerprotestantischen Streitigkeiten die Wittenberger Theologen sehr belasteten. Jedoch beschränken sich die meis­ten Beiträge des Bandes nicht auf diese späten Jahre. V. Gummelts Überblick zu Bugenhagens Kommentar- und Exegesepraxis (109–116), V. Leppins Beobachtungen zu Predigten der zwanziger Jahre (127–137) und die Untersuchungen von Th. Bergholz und H. Lück zu Bugenhagens Kirchenordnungen (139–150.177–195) ma­chen deutlich, warum der Wittenberger Stadtpfarrer und Professor bis 1546 ein hohes Ansehen genoss. Seine Predigten zeichneten sich durch eine starke »Zuwendung zur praktischen Lebensanweisung« (137) aus, und mit zahlreichen Bibelkommentaren, die aus Vorlesungen hervorgingen, war er einer der produktivsten Bibelausleger seiner Zeit (vgl. 115). In den Kirchenordnungen für norddeutsche Städte und Territorien sowie für Dänemark/Norwegen, die er zwischen 1528 und 1543 schuf, versuchte Bugenhagen Luthers Zwei-Reiche-Lehre konsequent zu verwirklichen und eine Vermischung der beiden Regimenter zu vermeiden (vgl. 145). Dabei bewies er eine enorme Kompetenz in der Heranziehung verschiedener Rechtsquellen seiner Zeit (vgl. 194 f.).
Mit den weit über seinen Tod hinausreichenden Wirkungen von Bugenhagens Kirchenordnungen beschäftigt sich T. Lorentzen in seinem instruktiven Beitrag Theologie und Ökonomie in Bugenhagens Fürsorgekonzept (151–174). An Beispielen aus Braunschweig und Stolp zeigt er, dass Bugenhagen mit Schulen sowie Einrichtungen für Arme und Kranke ein Fürsorgemodell begründete, das nicht der Sozialdisziplinierung diente (wie neuerdings behauptet wurde), sondern »stets auf die Existenz des einzelnen Menschen in Not gerichtet sein sollte, zugleich aber das Wohl des ganzen christlichen Gemeinwesens im Auge behielt« (173). Die Bearbeitung einer Kirchenordnung war nur eine der Leistungen, die Bugenhagen für das dänisch-norwegische Reich vollbrachte. M. Schwarz Lausten stellt Bugenhagens Wirken für Dänemark dar und geht auf den umfangreichen Briefwechsel mit Christian III. ein, der bis zum hohen Alter des Reformators anhielt (229–240). Damit verhielt sich der dänische König anders als viele Weggenossen des Wittenberger Stadtpfarrers, die sich wegen dessen Haltung im Interim von ihm distanzierten – so auch Georg Rörer, ehemals Diakon an der Stadtkirche. Dieser wandte sich 1553 von dem in Wittenberg gebliebenen Theologen ab, wie S. Michel in seinem Beitrag zum Verhältnis von Bugenhagen und Rörer (63–73) beschreibt.
Bugenhagen war während des Schmalkaldischen Krieges in Wittenberg bei seiner Gemeinde geblieben und hatte Moritz als den neuen Kurfürsten an Stelle von Johann Friedrich akzeptiert. Auch an der Theologenberatung in Altzella im November 1548 hatte er teilgenommen; das sog. Leipziger Interim, das über die Vereinbarungen von Altzella hinausging, wollte er jedoch nicht mittragen. Als ihm vorgeworfen wurde, er habe die lutherische Sache verraten, verteidigte er sich 1547 in einer Flugschrift. Diese versteht H.-P. Hasse in Bugenhagen und der Schmalkaldische Krieg (197–217) als eine Schrift, die der »Erhaltung von Gottesdienst, Kirche und Universität in der Stadt unter den veränderten positiven Bedingungen« dienen sollte (216 f.). In Johannes Bugenhagen und das Interim (219–227) bezeichnet A. Kohnle im Anschluss an E. Wolgast Bugenhagens Verhalten als das eines Verantwortungsethikers (220.224). Kohnle stellt zu Recht fest, dass theologisch und politisch der führende Kopf in dieser Zeit Melanchthon war. Jedoch stand ihm Bugenhagen zur Seite und versah seine verschiedenen Ämter mit großer Treue. An einem Zirkularschreiben, das im Juli 1546 an alle Superintendenten Kursachsens unter Bugenhagens Namen erging, hatte Melanchthon wahrscheinlich den entscheidenden Anteil. Hasse macht jedoch anhand eines bisher kaum bekannten Oktavdrucks klar, dass entgegen der These H. Scheibles, Melanchthon sei der alleinige Verfasser dieses Schreibens gewesen, Bugenhagen eine Mitverfasserschaft zukommt (204–206).
Bugenhagens wichtigste theologische Publikation aus der späten Zeit ist der Jonakommentar, den er nach Vorlesungen von 1547 und 1548 im Jahre 1550 veröffentlichte. In ihm versuchte er nachzuweisen, »dass man in Wittenberg zwischen römischer und evangelischer Lehre wohl zu unterscheiden wisse und dass diese Unterscheidungsfähigkeit auch durch die Zugeständnisse von Altzella nicht aufgehoben wurde« (Kohnle, 226). Die langen Exkurse polemischer und kirchenhistorischer Art sieht M. Lohrmann (117–126) in Melanchthons Loci-Methode begründet. Bugenhagens häufiger Bezug auf Luther und seine eigene Darstellung von Luthers reformatorischem Durchbruch eröffnen nach Lohrmann einen »Zu­gang zu Theologie und Selbstverständnis des frühen Luthertums nach Luther« (124).
Da Bugenhagen sich in seinen letzten Jahren weitgehend auf Wittenberg konzentrierte, sind mehrere Beiträge seinem Leben dort gewidmet. Sie betreffen die Leichenpredigt auf Luther, mit der sich U. Ludwig befasst (75–93), und Bugenhagens wirtschaftliche Verhältnisse. St. Rhein (11–34) stellt diese u.a. anhand von Quittungen, Rechnungen und Steuererlassen dar, die zum Teil erst 2008 in das Stadtkirchenarchiv Wittenberg zurückgekehrt sind. Das Schick­sal von Bugenhagens Pfarrhaus zeichnet I. Chr. Hennen bis zu den baulichen Veränderungen im 20. Jh. nach (35–61). An einem hervorragenden neulateinischen Gedicht, dessen unterschiedliche Fassungen von J. Loehr untersucht werden, lässt sich Melanchthons Hochachtung für den alten Bugenhagen ablesen (95–106).
Am Schluss des Bandes steht die Predigt des pommerschen Landesbischofs H.-J. Abromeit während der Tagung (243–250). In ihr geht es nicht mehr nur um das Leben und Wirken Bugenhagens im 16. Jh., sondern um ihn als Theologen, der die Rechtfertigungsbotschaft überall dort, wo er hinkam, vertrat, und deswegen auch »heute zeigt, was Zukunft eröffnet« (250).
Mit dem »alten Bugenhagen« hat sich die Forschung bisher sehr viel weniger befasst als mit seinen Anfängen. Der vorliegende Tagungsband schließt etliche Lücken und macht zugleich deutlich, dass weitere Arbeiten – etwa zu Bugenhagens Anteil an Gutachten der Wittenberger Theologen in den fünfziger Jahren des 16. Jh.s – folgen sollten.