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Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

183–185

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Balch, David L., and Annette Weissenrieder [Eds.]

Titel/Untertitel:

Contested Spaces. Houses and Temples in Roman Antiquity and the New Testament.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XI, 561 S. u. 1 CD-ROM m. Abb. 23,2 x 15,5 cm = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 285. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-151026-7.

Rezensent:

Stefan Krauter

Die Erkenntnis, dass sich Geschichte nicht nur in einer zeitlichen, sondern auch in einer räumlichen Ordnung abspielt, ist in den Altertumswissenschaften inzwischen fest etabliert. Auch im Be­reich der neutestamentlichen Exegese findet sie langsam mehr Beachtung. Wer Texte der Antike verstehen will, muss sich (auch) die Frage stellen, in welchen Räumen ihre Autoren und Leser lebten und wo sich das in diesen Texten geschilderte oder diskutierte Geschehen abspielte. Das ist allerdings nur im interdisziplinären Austausch zwischen Exegese und anderen Altertumswissenschaften möglich. Der Band ist von daher hochwillkommen. Er bietet 20 Beiträge aus verschiedenen Disziplinen: Archäologie, Kunstgeschichte, Alte Geschichte, Exegese.
Alle Beiträge sind ins Englische übersetzt, was in diesem Fall sehr zu loben ist, weil dadurch mehrere sonst wegen der Sprachbarriere leider kaum beachtete italienische Forschungsbeiträge leicht zugänglich werden. Eine Besonderheit des Bandes ist die beiliegende CD-Rom mit Abbildungen. Sie bewahrt das Buch davor, noch dicker (und dadurch noch teurer) zu sein, ist technisch leicht bedienbar und bietet eine Fülle von Material.
Die Beiträge sind in einführende allgemeine Aufsätze (Inter­pretive Issues), solche zu verschiedenen Wohnbauten (Domestic Spaces: domus, villae, insulae) und solche zu Sakralbauten (Sacred Spaces) unterteilt. In diesem Rahmen sollen nur einige von ihnen herausgegriffen werden.
John R. Clarke eröffnet den Band mit »Representations of Wor­-ship at Rome, Pompeii, Herculaneum, and Ostia in the Imperial Period. A Model of Production and Consumption«. Er legt einleuchtend dar, dass Bilder von Kulthandlungen niemals naiv als Dokumentation kultischer Praxis ausgewertet werden dürfen. Ihre Deutung sollte vielmehr von den Fragen geleitet werden, wer sie beauftragt hat, welche Aussage er mit ihnen machen wollte und wie die damaligen Konsumenten sie von ihren Voraussetzungen aus verstehen konnten.
Einen sehr interessanten Versuch zur Verortung der Ausführungen im 1. Korintherbrief zum Thema Tod unternimmt Laura Salah Nasrallah mit »Grief in Corinth«. Sie zeigt, dass das Thema Trauer und Tod in der Stadt Korinth in verschiedener Form (Er­in­ne­rungsorte, Sakralbauten, Inschriften, Bildwerke) und in verschie­denen Dimensionen (Mythos, Stadtgeschichte, individuelle Biographie der Einwohner) präsent war, und macht plausibel, dass Paulus darauf eingeht.
Ein herausragendes Beispiel für den methodologisch scharfsinnigen Umgang mit Ergebnissen archäologischer Grabungen einerseits und textlichen Beschreibungen von Bauten andererseits ist Monika Bernetts »Space and Interaction. Narrative and Representation of Power under the Herodians«. Sie analysiert, wie Herodes und seine Nachfolger mittels Palastarchitektur ihre Machtansprüche in einem sehr komplexen Umfeld (römische Oberhoheit einerseits, jüdische Erwartungen andererseits) darstellten.
Die Herausgeber Annette Weissenrieder und David L. Balch sind mit je zwei Beiträgen vertreten. »Contested Spaces in 1 Corinthians 11:17–33 and 14:30« von Weissenrieder und »The Church Sitting in a Garden« von Balch bilden thematisch ein Paar, diskutieren auch teilweise dieselben archäologischen Funde und Bilder, sind aber überraschenderweise unterschiedlichen Abschnitten des Buches zugewiesen und nehmen keinerlei Bezug aufeinander. Beide widmen sich der Frage, in welcher Körperhaltung die Christen in Korinth das Herrenmahl aßen. Balch schließt recht direkt von der Erwähnung eines Essens im Sitzen auf Tavernen oder Gärten als Versammlungsorte, weil dort – anders als in triclinia – in der Regel im Sitzen gegessen wurde. Weissenrieder thematisiert eher die soziale Bedeutung der Körperhaltung beim Essen, ohne allerdings zu einem klaren Ergebnis hinsichtlich des Korintherbriefes zu kommen. Balchs zweiter Beitrag »Cult Statues of Augustus’ Temple of Apollo on the Palatine in Rome, Artemis’/Diana’s Birthday in Ephesus, and Revelation 12:1–5a« greift die These von Adela Yarbro Collins auf, dass die schwangere Frau in Apk 12 auf Leto und Isis hindeute. Er will durch Heranziehung von Bildwerken (und nicht nur Texten) diese These bestätigen und vertiefen, insbesondere ihre politischen Implikationen herausarbeiten. Der zweite Beitrag von Weissenrieder, »Do you not know that you are God’s temple«, will das Bild vom Tempel in 1Kor 3,16 von antiken Architekturtheorien her neu deuten.
Trotz aller Würdigung des Bandes ist auch Kritisches über ihn zu sagen: Ein tragendes Konzept, eine verbindende Methodologie ist nicht zu erkennen. Einzelne Aufsätze leisten dies (wie oben erwähnt) je für sich, andere sind in dieser Hinsicht enttäuschend (etwa die Ausführungen von Balch zu »Supplementary Methodo­logy« [205 f.], die wenig mehr bieten, als dass man Texte liest und dazu Fotos anschaut), das im nur vierseitigen Vorwort dazu Gesagte bleibt skizzenhaft. Auch ein thematisches Band fehlt: So lesenswert die meisten Beiträge sind – in einen interdisziplinären Dialog, der dem Exegeten klarmacht, was Archäologen ihm zu sagen haben, und dem Althistoriker, was ihm Exegeten bieten, treten sie nicht ein. Dennoch ist der Band ein wichtiger Schritt auf einem innerhalb der neutestamentlichen Exegese noch nicht sehr prominenten Gebiet, und es ist zu wünschen, dass von ihm viele Anregungen für weitere Forschungen ausgehen.