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Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

182–183

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ahearne-Kroll, Stephen P., Holloway, Paul A., and James A. Kelhoffer[Eds.]

Titel/Untertitel:

Women and Gender in Ancient Religions. Interdisciplinary Approaches.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XI, 507 S. 23,2 x 15,5 cm = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 263. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-150579-9.

Rezensent:

Christl M. Maier

Die 21 Beiträge des Bandes bilden eine eindrucksvolle Würdigung von Adela Yarbro Collins, Professorin für Neues Testament an der Yale Divinity School. Die Mehrzahl entstand aus Vorträgen einer Konferenz zu ihren Ehren, veranstaltet im März 2009 von der Methodist Theological School und der Ohio State University in Ohio; einige weitere auf Einladung der Herausgeber. Die weitgefächerte Thematik von Geschlechterfragen in antiken Religionen spiegelt Collins’ breites Interesse und die Überzeugung, dass das Neue Testament und die frühchristliche Literatur ein Kontinuum bilden und im Kontext des römischen Weltreichs zu deuten sind. Aufgrund der Fülle des Materials können im Folgenden nur ausgewählte Aufsätze kurz besprochen, andere lediglich thematisch aufgeführt werden. Die Beiträge wenden verschiedene methodische Zugänge an und sind unter drei Überschriften gefasst.
Teil I mit dem Titel »Narrative« versammelt zehn Studien zu Frauen- bzw. Geschlechterrollen in antiken griechischen Erzählungen (Loveday Alexander zu Charitons Chareas und Callirhoe; Patricia D. Ahearne-Kroll zu Joseph und Aseneth; Jan Willem van Henten zu Josephus Altertümer 15.23–231; Robert Doran zum Griechischen Ägypterevangelium) sowie zu neutestamentlichen und früh­christlichen Erzählungen (Candida R. Moss zur Passion der Perpetua und Felicitas; Jeremy F. Hultin zum Protevangelium des Jakobus).
Unter dem Titel »Roman Imperial Family Values and the Gospel of Mark« stellt Mary Rose D’Angelo die Perikope Mk 10,2–12 in den Kontext der römischen Gesetzgebung und Ethik mit dem Ergebnis, dass die Betonung der Unauflöslichkeit der Ehe einerseits der Ideologie der julianischen Ehegesetze entspreche und sich andererseits gegen ein zu radikales Verständnis des Rufs in die Nachfolge in Mk 10,17–21 wende. Die Autoren des Markusevangeliums vertraten nach D’Angelo eine im Vergleich mit zeitgenössischer jüdischer Rechts­praxis und römischem Recht radikalere Position, um die frühe christliche Bewegung in moralischer Hinsicht unangreifbar zu machen und zugleich eine strengere Praxis göttlich zu legitimieren.
James A. Kelhoffer vertritt in »A Tale of Two Markan Characterizations« die These, dass im Markusevangelium sowohl Männer als auch Frauen aus dem Jüngerkreis ambivalent dargestellt werden. Er interpretiert die namenlose Frau, die Jesus salbt (Mk 14,3–9) als exemplarische, nachahmenswerte Jüngerin und Gegenbild zum verräterischen Judas. Anders als viele feministische Exegetinnen versteht er die Frauen am Grab (Mk 16,1–8) als ängstliche, fehlbare Nachfolgerinnen Jesu, die das sich seit Mk 6,30 steigernde Unverständnis der männlichen Jünger fortsetzen.
Die Studien »Motherhood and the Making of Fathers in Antiquity« von Turid Karlsen Seim und »Embryology, Plant Biology, and Divine Generation in the Fourth Gospel« von Clare K. Rothschild kontextualisieren die Aussagen zum Vater-Sohn-Verhältnis und zur Geburtsmetaphorik im Johannesevangelium vor dem Hintergrund des antiken philosophisch-medizinischen Diskurses um den Beitrag des Mannes zur Entstehung des Embryos (Hippokrates, Aristoteles, Galen). Seim zufolge ist die Zeugung (griech. γεννάω) des Sohnes durch den Vater nicht als weibliche Gottesmetaphorik, sondern als Epigenesis nach dem Modell des Aristoteles zu erklären. Sowohl die Charakterisierung Jesu als Einziggeborenen vom Vater (ὡς μονογενοῦς παρὰ πατρός, Joh 1,14), die Geburt aus Wasser und Geist (Joh 3,5) als auch Jesu Anhauchen der Jünger, die zu Kindern Gottes werden (Joh 20,22), seien diesem Modell verpflichtet und dokumentierten die herausragende Rolle des Vaters, die auch in römischen Ritualen der Annahme des Kindes und der Namengebung durch den pater familias belegt sind. Rothschild widerspricht der Deutung aristotelischer Texte durch Seim (und Adele Reinhartz) und versteht Joh 1,14 als Parthenogenese des weiblichen Elements im Sinne der antiken Theorie der spontanen, monogeschlechtlichen Vermehrung der Pflanzen. Ihr zufolge sind auch die Aussagen zu Gottes Pneuma (als Wind Joh 3,8) und Jesu Kommen aus dem Vater (Joh 4,41 f.) sowie der Spruch vom Weizenkorn (Joh 12,24) vor dem Hintergrund des Parthenogenese-Modells zu erklären, dessen Spuren sie auch in einigen Nag Hammadi Texten findet.
Unter dem Stichwort »Ritual« bietet Teil II vier Aufsätze zu antiken Magievorstellungen (Fritz Graf und Radcliffe G. Edmonds III. zum Vorwurf von Hexerei bei frühzeitigem Tod in griechischen und lateinischen Grabinschriften, Zauber- und Fluchsprüchen; Stephen J. Da­vis und Matt Jackson-McCabe mit kontroversen Deutungen der Be­schreibung des weiblichen Körpers in den Papyri Graecae Magicae). Hinzu kommt ein Beitrag von Carin M. C. Green zur Rekonstruktion des kaum bekannten Fests der Dienerinnen (Feria Ancillarum) zum Schutz der Stadtgrenzen Roms, das sie analog der von Adela Collins für Apk 12 vertretenen Auslegung als »combat myth« deutet.
Der mit »Logos« überschriebene Teil III enthält sechs Studien zur Verbindung von Gender und Religion bei antiken paganen und christlichen Schriftstellern (Paul A. Holloway zu Geschlecht und Trauer in Senecas Ad Marciam und Ad Helviam matrem; Anette Bourland Huizenga zur σωφροσύνη für Frauen in pythagoräischen Texten; Judith L. Kovacs zum philosophischen Leben von Frauen bei Clemens von Alexandria; Susan E. Myers zur weiblichen Darstellung des Geistes in syrischen Texten und den Thomasakten).
Christopher N. Mount kritisiert in »Religious Experience, the Religion of Paul, and Women in Pauline Churches« die Verwendung des seines Erachtens ungenauen Begriffs der religiösen Erfahrung bei J. L. Martyn, L. T. Johnson und L. Hurtado und plädiert dafür, ganz darauf zu verzichten. Nach Mount verweisen die paulinische Aussagen zum Geistbesitz (1Kor 12,1–3; Röm 8,12–39; Gal 4,1–7) auf einen frühen Christuskult, der mit dem Glauben an die Errettung aus kosmischen und sozialen Unterdrückungsstrukturen einherging. Deshalb hält Mount die geschlechterhierarchische Unterordnung der geistbesitzenden Frauen in 1Kor 11,3–16; 14,33b–36 für spätere Zusätze.
Unter dem Titel »The Example of Thecla and the Example[s] of Paul« untersucht Outi Lehtipuu den Diskurs um die Rolle von Frauen, wie er im zweiten christlichen Jahrhundert mit Rekurs auf Paulus geführt wurde. Anders als Mount hält sie die Unterordnung der Frauen in 1Kor 11,3–16; 14,33b–36 für paulinisch. In einem Überblick über feministische Auslegungen der Paulus- und Thekla-Akten warnt sie davor, die Askese einlinig als Freiheit von einer Geschlechterhierarchie und als für Frauen aller Schichten mögliche Lebensweise zu verstehen. Anhand verschiedener Stimmen zu Ehe und Frauen in Leitungspositionen in Schriften des 2. Jh.s zeigt sie die variantenreiche Rezeption der paulinischen Tradition auf.
Die in ihrem Ertrag für die Genderforschung unterschiedlichen Beiträge zeigen, in welcher Weise die biblischen Texte an einem breiten Strom traditioneller Geschlechterzuschreibungen sowie zeitgenössischer Auseinandersetzungen um das Geschlechterverhältnis partizipieren. Letzteres erscheint keineswegs als festgeschrieben, sondern durchaus ambivalent und abhängig von der hermeneutischen Perspektive auf den Gegenstand. Der Band macht deutlich, dass die von feministischen Exegetinnen und Historikerinnen angestoßenen Fragen nach Rollen und Bedeutung von Frauen in der jeweiligen Religion, nach dem Geschlechterverhältnis in literarischen Quellen und sozialgeschichtlichen Rekonstruktionen im sog. Mainstream der Forschung zu antiken Religionen angelangt sind. Diese Fragen und ihre bisherigen Antworten werden zum Teil kritisch betrachtet, meist jedoch als wertvolle Impulse anerkannt und weiterentwickelt.