Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

180–181

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Vrolijk, Paul D.

Titel/Untertitel:

Jacob’s Wealth. An Examination into the Nature and Role of Material Possessions in the Jacob-Cycle (Gen 25:19–35:29).

Verlag:

Leiden/Boston: Brill 2011. XIV, 363 S. 24,0 x 16,0 cm = Supplements to Vetus Testamentum, 146. Lw. EUR 128,00. ISBN 978-90-04-20329-7.

Rezensent:

Renate Klein

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Anderson, John E.: Jacob and the Divine Trickster. A Theology of Deception and YHWH’s Fidelity to the Ancestral Promise in the Jacob Cycle. Winona Lake: Eisenbrauns 2011. XIV, 210 S. 23,0 x 15,0 cm = Siphrut, 5. Geb. US$ 37,50. ISBN 978-1-57506-219-8.


Bei beiden im Jahr 2011 erschienenen Werken handelt es sich um Dissertationen. Paul D. Vrolijks Arbeit, unter der Anleitung von Ernest Lucas und Gordon Wenham erarbeitet, wurde 2008 vom Trini­ty College Bristol angenommen, die von John E. Andersons entstand unter der Begleitung von W. H. Bellinger Jr. und wurde 2010 an der Baylor University als Dissertation eingereicht. Beide Autoren beschäftigen sich mit der gleichen biblischen Textgrundlage, setzen ihren Schwerpunkt aber auf je unterschiedliche Aspekte des Jakobszyklus (Gen 25–35) und gelangen zu interessanten Schlussfolgerungen.
Entsprechend der zunehmenden Tendenz in der Bibelwissenschaft wird von beiden Autoren der Text synchron, also in seiner Endgestalt, analysiert, wobei Ergebnisse historisch-kritischer Forschung rezipiert werden, soweit sie für die thematische Entfaltung relevant sind. Da die Themenstellung Vrolijks, nämlich Jakobs Reichtum, sich von jener Andersons, Jakob und der göttliche Betrüger, grundlegend unterscheidet, sollen die beiden Bücher im Folgenden kurz einzeln dargestellt werden.
Vrolijks »Jacob’s Wealth« gliedert sich in fünf Kapitel. Im ersten bietet er einen Forschungsüberblick zum Thema Vermögen in den Jakobserzählungen, aus dem sich ergibt, dass eine eigene Entfaltung dieser Thematik noch fehlt. Diese Lücke zu schließen, nimmt sich Vrolijk vor. Er betrachtet dabei die Texte unter dem Aspekt eines Dialogs zwischen der Welt des Lesers und der Welt des Textes, der mit Informationen aus der Welt des Autors gespeist wird (30). Die Kapitel 2 bis 4 sind den größeren Abschnitten der Jakobserzählungen gewidmet: Jakob in Kanaan I (Gen 25–28), Jakob außerhalb Kanaans (Gen 29–31) und Jakob in Kanaan II (Gen 32–35), wobei das Hauptaugenmerk jeweils auf das Vorhanden- bzw. Nichtvorhandensein von materiellem Besitz und dessen Bedeutung für das Verhältnis zwischen den Figuren des Textes gerichtet wird.
Das letzte Kapitel fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen. Zu diesen gehört die durchgehend gemachte Beobachtung, dass materieller Besitz der Auslöser von Konflikten sein kann. So führt z. B. in Gen 26 Isaaks Reichtum zum Neid der Philister und letztlich zu seiner Ausweisung; Jakobs Sorge um Erstgeburtsrecht und Vatersegen in Gen 25 bzw. 27 führt zum Betrug an dem Bruder und dem Vater, zu Jakobs Flucht und allen weiteren sich daraus ergebenden Schwierigkeiten; im Streit zwischen Laban und Jakob in Gen 30 f. geht es um die Änderung des Lohnes Jakobs; und auch in dem Konflikt der Jakobssippe mit den Bewohnern von Sichem in Gen 34 spielt Besitz eine wesentliche Rolle. Vrolijk identifiziert Besitz aber auch als integrierenden Be­standteil von Konfliktlösungsversuchen, z. B. in Gen 31, wo Jakob durch Geschenke seinen vor Jahren betrogenen Bruder zu besänftigen versucht.
Spannende Einblicke in das Thema gestatten die leider nur als Nachträge gestalteten Abschnitte, in denen eine Auflistung der Substantive und Verben zu finden ist, die in den Vätergeschichten materiellen Besitz bezeichnen (Appendix A), bzw. Ausführungen enthalten, die das Verhältnis zwischen Segen und Besitz in den Erzelternerzählungen beleuchten (Appendix B). Es wird eine göttliche von einer menschlichen Perspektive des Segens unterschieden, wobei bei letzterer immer die sichtbare Komponente des Se­gens, also der materielle Besitz, im Vordergrund steht, während die göttliche Perspektive über den Segen je unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund schiebt, je nachdem, wie die mit dem Segen Be­dachten darauf reagieren.
Ein ausführliches Literaturverzeichnis, ein Autoren- und ein Bibelstellenregister runden das durchwegs interessant zu lesende, wenn auch in den Zitaten aus deutschsprachiger Literatur manche Druckfehler aufweisende Buch ab.
Andersons Studie »Jacob and the Divine Trickster« gliedert sich ebenfalls in fünf Kapitel, von denen das erste einen Überblick über die Forschungslage zum Thema bietet sowie das Motiv des göttlichen Betrügers im gesamten Alten Testament und in der alt­-orientalischen Literatur streift. Zur Einleitung gehören noch die Definitionen von »trickster« als »one who brings about a change in a situation via trickery« (46) und »trickery« als »what a trickster employs through any of various means of distorting, withholding, or manipulating information in order to serve the trickster’s own purposes and goals« (46). Die Kapitel 2 bis 4 widmen sich dem Textstudium in der gleichen Textverteilung wie in dem Werk Vrolijks. Die Kapitelüberschriften machen deutlich, dass es um das Thema Betrug geht und um Gottes Verhältnis dazu: Kapitel 2 – »A Trickster Oracle: Reading Jacob and Esau between Beten and Bethel (Genesis 25–28)«; Kapitel 3 – »Divine Deception and Incipient Fulfillment of the Ancestral Promise (Genesis 29–31)«; Kapitel 4 – »Replaying the Fool: Esau versus YHWH and Jacob (Genesis 32–35)«.
Schon das Geburtsorakel, das Rebekka einholt (Gen 25,23), er­weist sich in der Interpretation Andersons als »trickster oracle«, weil es Uneindeutigkeiten enthält (unklare Wortbedeutung, ungewöhnliche Syntax) (63 ff.), durch welche die Betrugsgeschichten erst in Gang gesetzt werden. Nicht immer einfach nachvollziehbar sind die Schlussfolgerungen Andersons, dass Gott sich als »tricks­ter« erweist in Szenen, in denen er nicht als handelnde Figur des Textes erscheint (z. B. Gen 27) oder in denen nicht explizit von Betrug die Rede ist (z. B. Gen 28,10 ff.).
Das Schlusskapitel des Werks ist die Skizze einer Theologie des Betrugs (theology of deception) im Jakobszyklus. Die Hauptthese ist, dass Gott sich dort auf Betrug einlässt, wo es um die Erfüllung der Väterverheißung (Gen 12,1–3; 26,4 f.; 28,13–15) geht. Wenn Gott be­trügt oder sich Betrug zunutze macht, geschieht es immer zu Gunsten seines Erwählten (175). Ein Beispiel dafür wäre die Tatsache, dass Gott es zulässt, dass Laban Jakob in der Hochzeitsnacht Lea unterschiebt, denn durch ihre Fruchtbarkeit wird die Erfüllung der göttlichen Nachkommenverheißung vorangetrieben (101).
Ob ein Gott, der betrügerisch handelt oder Betrug zulässt, glaubwürdig sein kann, hat nach Ansicht Andersons damit zu tun, ob wir an die biblischen Erzählungen mit unseren heutigen ethischen Wertvorstellungen herangehen. Seines Erachtens ist die göttliche Verheißung »the ultimate good« für YHWH, der sich »for the sake of the covenant relationship« die Freiheit herausnehmen kann, Grenzen zu überschreiten (185). So gesehen steht der Betrug Gottes seiner Glaubwürdigkeit nicht entgegen, sondern ist »an extension of the thrustworthiness of YHWH and the divine word of promise« (185).
Ein bibliographisches, ein Autoren- und ein Bibelstellenregister schließen das lesenswerte Werk ab.
Die beiden Bücher, die eine sorgfältige Auseinandersetzung mit der Literatur aufweisen, sind gut lesbar geschrieben und zeigen durch die Herangehensweise an den Text und die Themenstellung, dass selbst biblische Geschichten, über die schon so viel geschrieben wurde wie über den Jakobszyklus, spannend bleiben und für immer neue und überraschende Erkenntnisse sorgen.