Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

176–178

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Miller, Geoffrey P.

Titel/Untertitel:

The Ways of a King. Legal and Political Ideas in the Bible.

Verlag:

Göttingen/Oakville: Vandenhoeck & Ruprecht 2011. 296 S. 23,2 x 15,5 cm = Journal of Ancient Judaism. Supplements, 7. Geb. EUR 89,99. ISBN 978-3-525-55034-2.

Rezensent:

Wolfgang Oswald

Der Autor Geoffrey P. Miller ist Stuyvesant P. Comfort Professor of Law an der New York University School of Law und Direktor des Center for Law, Economics and Organization dortselbst. Er ist nicht nur kein Bibelwissenschaftler, sondern auch kein Rechtshistoriker, seine Analysen beruhen nicht auf einer Rekonstruktion der alt­-orientalischen Rechtskultur. M. liest das Alte Testament vielmehr vor dem Hintergrund der Politischen Philosophie und Rechtsphilosophie der amerikanischen und europäischen Moderne. Immer wieder zieht er die frühmodernen Staatstheoretiker, die Gründerväter der amerikanischen Verfassung, aber auch neuere Autoren wie John Rawls zum Vergleich herbei. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass »the great history of Israel presented in the book of Genesis through Second Kings contains a systematic, comprehen­sive, and remarkably astute analysis of political obligation and governmental design – in short a political philosophy« (7).
Der Hauptteil des Buches folgt dem Leseablauf der Bücher Genesis bis Könige, wobei die Kapitel jedoch nach systematischen Gesichtspunkten benannt sind, denn nach M.s Ansicht behandeln die verschiedenen Abschnitte der biblischen Erzählung jeweils bestimmte Aspekte der politischen Theorie.
M. beginnt mit der Urgeschichte, die seiner Auffassung nach die Frage behandelt, warum menschliches Zusammenleben nur unter den Bedingungen von »government and law« sinnvoll möglich ist (Kapitel 2–3). Anschließend werde dieses Thema in den Vätergeschichten im Rahmen des familiären Zusammenlebens durchgespielt (Kapitel 4). Ab dem Exodusbuch stehe das Problem der »po­lit­ical authority« zur Diskussion (Kapitel 5 »Polity« und Kapitel 6 »Self-Governance«). Dabei unterscheide die biblische Erzählung vier Formen der politischen Organisation: 1. Nomadismus als politische Organisation ohne Territorium (= Wüstenwanderung), 2. Abhängigkeit als Unterwerfung unter eine andere Autorität (= Josephsgeschichte), 3. Sklaverei als unterdrückerische Fremdherrschaft (= Anfang des Exodusbuches) und 4. nationale Unabhängigkeit (= zweiter Teil des Exodusbuches).
Nach einem Exkurs über die politiktheoretische Dimension von Offenbarung (Kapitel 7) werden die Bundesschlüsse in Gen 9, Gen 15 und Ex 24 unter dem Titel »Consent« (Kapitel 8) analysiert. Das Frageraster orientiert sich an modernen Gesellschaftsvertragstheorien: Geben alle Beteiligten ihre Zustimmung? Tun sie das aus freiem Willen? Sind sie ausreichend informiert? Stehen Alternativen zur Verfügung? Ist die Zustimmung einmütig? Nach M. erfüllen alle Bundesschlüsse diese Bedingungen.
Für die Darstellung der Gesetzgebung am Sinai (Kapitel 9) un­terscheidet M. fünf Typen von rechtlichen Institutionen, die in jeder Gesellschaft und auch in der Sinaiperikope anzutreffen seien: »Basic commitment« (Ex 19,8: »Alles, was Jhwh geredet hat, wollen wir tun«); »Rule of Recognition« (All das ist gültiges Recht, was Gott dem Mose während der Wüstenwanderung gibt); »Constitutional Rules« (Dekalog); »Legislation« (Bundesbuch und alle weiteren Ge­setze); »Administrative Rules« (Richtereinsetzung Ex 18,13–26).
Das Josuabuch unter dem Titel »Sovereignty« (Kapitel 10) und das Richterbuch unter dem Titel »Confederacy« (Kapitel 11) führen schließlich zum Thema »Monarchy« (Kapitel 12). Eine Zusammenfassung sowie eine auf englischsprachige Literatur beschränkte Bibliographie und das Stellenregister beschließen das Werk.
Die konsequente Anwendung rechtsphilosophischer und politiktheoretischer Kategorien zur Beschreibung der biblischen Er­zählung eröffnet in nicht wenigen Fällen neue Perspektiven auf die Texte. Nur bei einigen wenigen Texten, etwa bei den anthropologischen Ätiologien der Urgeschichte, hat man den Eindruck, dass politische Theorie nur einen Nebenaspekt der Texte zu erfassen vermag. Weit überwiegend ist das Gegenteil der Fall, denn inhaltlich geht es in diesen Texten um Fragen wie nationale Un­abhängigkeit und Gesetzgebung, um Institutionen wie Richter und Priester oder um Herrschaftslegitimation – alles Fragen, die in der Moderne Gegenstand der Staats- und Rechtsphilosophie sind. Die theoretische Qualität der biblischen Darstellung besteht nach M. eben darin, dass nicht einfach Geschichten erzählt werden, sondern die Erzählung den Rahmen bereitstellt, in dem alle theoretisch relevanten Aspekte abgehandelt und gegebenenfalls auch Alternativen diskutiert würden. Typisch für die Arbeitsweise M.s sind immer wiederkehrende Folgen von Listenabsätzen, in denen er die politiktheoretischen Sachfragen systematisch abarbeitet.
Viele der Auslegungen M.s erwecken den Eindruck, als seien die biblischen Texte in erster Linie dazu verfasst worden, die politiktheoretischen Positionen ihres Autors zum Ausdruck zu bringen. Als Beispiel sei aus seiner Einleitung zu den Samuel- und Königebüchern zitiert: »The narrative of the creation of kingship in ancient Israel provides a setup for the author to examine monarchy as a form of government. In typically systematic fashion, he considers the following questions: (a) the need for monarchy; (b) the problems associated with monarchy; and (c) the means available to achieve the benefits while minimizing the problems so identified.« (226)
Die Alternative zu dieser Sichtweise ist natürlich nicht die, dass die Erzählung kontingente Ereignisse der Vergangenheit reportiere. Zu erwägen ist aber, ob nicht die politische Theorie in den Texten eine dienende Funktion hat und dazu eingesetzt wird, bestimmte historische Konstellationen zu deuten und zu bestimmen. So ist die Einrichtung der Monarchie und damit auch alle mit ihr verbundenen Legitimationsfragen eingebunden in den Konflikt zwischen Juda und Benjamin. Die Frage »Saul oder David?« bestimmt, welche herrschaftstheoretischen Aspekte abgehandelt werden. Im Königebuch ist es der Konflikt zwischen Nordreich und Südreich. Im Pentateuch sind zu nennen die Frage nach der Gültigkeit der Gesetze: »Bundesbuch oder Deuteronomium?« oder etwa die Kontroverse »Deuteronomistische versus priesterliche Texte«. Diese Ebene zwischen der Ab­straktion der politischen Theorie und der konkreten Erzählfiktion kommt in M.s Darstellung zu kurz.
Dies hängt auch mit der Grundentscheidung M.s zusammen, auf diachrone Differenzierungen – in Kenntnis und Anerkenntnis der literaturhistorischen Forschung am Alten Testament – zu verzichten. Das Neben- und Gegeneinander von Texten etwa, die Saul positiv, und solchen, die Saul negativ darstellen, ist daher nicht die Folge von Fortschreibung aus anderer Perspektive, sondern die systematische Abwägung von Pros und Contras zur Monarchie. Diese Haltung führt in der Konsequenz etwa auch zu der Behauptung, es gebe keine antimonarchischen Texte im Alten Testament, insbesondere 1Sam 8 sei kein solcher. Dieser Nachweis dürfte M. trotz aller Akribie, die er hier aufbietet (244 ff.), nicht gelungen sein.
Einerseits kann man M. angesichts der Forschungslage verstehen, sich nicht mit diachronen Hypothesen zu belasten. Andrerseits hat M. mit der politischen Theorie den Schlüssel zur textgemäßen Literarkritik selbst in der Hand. Denn die verschiedenen Schichten und Kompositionen in Gen bis Kön lassen sich in erster Linie anhand ihrer politischen Positionen und ihrer politiktheoretischen Implikationen unterscheiden. Er hätte diesen Schlüssel nur zu benutzen brauchen. Aber auch wenn dieser Schritt nicht getan wurde, so bietet M.s Studie doch eine Fülle von Einsichten, die sich für jede exegetische Arbeit an den Texten auswerten lassen, nicht nur für solche, die politischen Fragen nachgeht.