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Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

174–176

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lux, Rüdiger

Titel/Untertitel:

Hiob. Im Räderwerk des Bösen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012. 320 S. m. 11 Abb. 19,0 x 12,0 cm = Biblische Gestalten, 25. Kart. EUR 18,80. ISBN 978-3-374-02878-8.

Rezensent:

Markus Witte

In einer Reihe, die biblischen Figuren in ihren literarischen Kontexten gewidmet ist, darf der leidende Gerechte aus dem Land Uz, der zwecks Überprüfung der satanischen These, die Gottesfurcht hänge vom persönlichen Wohlergehen ab, alles verliert, nicht fehlen. R. Lux, emeritierter Professor für Altes Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig und seit vielen Jahren mit der alttestamentlichen Weisheitsliteratur befasst, bietet mit der hier anzuzeigenden Studie eine flüssig geschriebene Einführung in das biblische Hiobbuch. Narrativ und meditativ erläuternd, zeichnet L. die im Hiobbuch geführten Diskussionen über Gott, Welt, Mensch, Frömmigkeit, Gerechtigkeit und Leid nach.
Eine intensive Auseinandersetzung mit der exegetischen Fachliteratur kann gemäß dem Profil der Reihe nicht geführt werden. Hingegen kommt die literarische Wirkungsgeschichte ausführlich zu Wort. So werden die Leser schon in der Einführung (9–28) mit Hiobdeutungen und Thematisierungen der Gerechtigkeit Gottes bei D. Bonhoeffer, G. Büchner, O. Marquard, G. W. Leibniz und I. Kant (in dieser Reihenfolge) bekannt gemacht. Im abschließenden Kapitel zur Wirkungsgeschichte (283–312) werden als vier Stimmen zur Hiobthematik aus der Neuzeit S. Kierkegaard, R. Otto, C. G. Jung und E. Bloch vorgestellt. Zwischen diesen Kapiteln behandelt L. zunächst klassische Einleitungsfragen (28–65), um sich dann der eigentlichen Darstellung des Hiobbuchs zu widmen (66–282).
Als altorientalische Beispiele für die literarische Auseinandersetzung mit als ungerecht empfundenen und als Verlassensein vom eigenen Schutzgott gedeuteten Leiden stellt L. die akkadische Theodizeedichtung ludlul bēl nēmeqi / »Preisen will ich den Herrn der Weisheit« (12. Jh. v. Chr.) und die ägyptische Dialogdichtung »Das Gespräch eines Lebensmüden mit seinem BA« (zwischen 2000/1800 v. Chr.) vor. In literarhistorischer Hinsicht geht L. von einem dreistufigen Wachstumsprozess aus, den das hebräische Hiobbuch im Lauf der nachexilischen Zeit durchlaufen habe, bevor es mit seiner Kanonisierung (»wohl kaum vor dem 2. Jh. v. Chr.«) seine heutige Gestalt gefunden habe (58). Mit einer Reihe neuerer redaktionsgeschichtlicher Studien zum Hiobbuch betrachtet L. überzeugend die Dichtung (Hi 3,1–27,23; 29,1–31,30; 38,1–42,6) als älteste und zunächst für sich tradierte Stufe des Hiobbuchs, um die in einem zweiten Schritt der prosaische Rahmen (Hi 1,1–2,13; 42,7–17) herum geschrieben worden sei. Die mit den klassischen Argumenten als Zusatz betrachteten Reden des Elihu (Hi 32–37) – eigene Einführung des Protagonisten, Zitationen aus vorange­gangenen Reden, Aramaismen, eigentümliche Angelologie und Lei­denspädagogik, Prolepse der Gottesreden, Unterbrechung des Zu­sam­menhangs von Hi 31 und 38, monologische Struktur ohne Hiobantworten – stellten »einen der frühesten ›Kommentare‹ zur Dialogdichtung [dar], der später mit Hilfe einer eigenen Einleitung (Hi 32,1–5) in das Buch als zusätzlicher Redegang aufgenommen« worden sei (212 f.). Wie sich diese Einfügung redaktionsgeschichtlich zur Verbindung der Dichtung mit der Rahmenerzählung verhält, bleibt allerdings unklar. Jedenfalls vermutet L. grundsätzlich einen dreistufigen Entstehungsprozess, wenn er den Einbau der Elihureden und des unter Vorbehalt auf denselben Verfasserkreis zurückgeführten Weisheitslieds in Hi 28 als die dritte literarische Schicht bezeichnet (64).
Zutreffend weist L. auf die Vernetzung des Hiobbuchs in allen seinen literarischen Schichten mit weiteren Schriften des späteren Kanons der Hebräischen Bibel hin, sei es, dass er – wie viele vor ihm– Hi 7,17 als Reaktion auf Ps 8,5 liest, Hi 3 als Weiterführung von Jer 20,14–18 anspricht oder (kaum überzeugend) mit seinem Schüler Raik Heckl 1Sam 1–4 als einen literarischen Hintergrund des Hiobbuchs ansieht. Punktuell weist L. auf kritische Bezugnahmen des Hiobbuchs auf die Tora hin. Insgesamt vermag er gut zu zeigen, dass das Hiobbuch das Ergebnis eines vielstimmigen »Er­fahrungs- und Debattenprozesses« darstellt und dass es trotz seiner literarischen und theologischen Besonderheit tief in den verschiedenen israelitisch-jüdischen Traditionen verwurzelt ist.
Aus der eigentlichen Auslegung können hier nur ein paar Punkte herausgegriffen werden. So deutet L. den Satan als Zwietrachtsäer, der »die Minen zwischen Gott und Mensch« lege (91) und der nach der zweiten Bewährung Hiobs (Hi 2,8–10) deshalb nicht mehr erwähnt zu werden brauche, weil er gemäß Dtn 19,18 f. selbst den Fluch empfange, den er Hiob im Blick auf Gott zugedacht habe. In der Deutung der Frau Hiobs schreibt L. die Tradition ihrer negativen Wertung fort. So bestehe ihre Torheit darin, die Hoffnung auf den Gott des Lebens aufgegeben zu haben. L. bietet zwar die ausführliche Rede der Frau Hiobs in der Septuaginta, geht aber leider nicht auf deren Profilierung im Testament Hiobs und auf einschlägige neuere Untersuchungen ein. Bei der Auslegung der einzelnen Redegänge (Hi 4–28) stellt L. die Reden eines Freundes mit den entsprechenden Hiobantworten je für sich dar. Dies hat seine Berechtigung darin, dass der Dichter den einzelnen Freunden ein bestimmtes Profil gegeben hat, nivelliert aber etwas den literarischen Duktus des Dialogs. Insgesamt werden die Freunde – ganz traditionell – als Vertreter einer dogmatisierten Weisheit verstanden, die nicht die spezifische Situation Hiobs beachteten, aber gerade dadurch den Leidenden in die Arme Gottes trieben. Auch in der Deutung der Elihureden bewegt sich L. in herkömmlichen Bahnen, wenn er Elihu als »Prahlhans« bezeichnet, der »die Weisheit mit Löffeln gefressen« habe (226): Die theologisch an sich richtigen Argumente Elihus würden dadurch falsch, dass sie nicht den konkreten Fall Hiobs berücksichtigten. Die Gottesreden (Hi 38,1–41,26), die dem Nachweis der Fürsorge Gottes für die Schöpfung (Hi 38 f.) und der Wahrung von Recht und Macht Gottes (Hi 40,1–41,26) dienten, stellten, wie Hi 42,1–6 zeige, eine echte Antwort an Hiob dar. So könne Hiob letztlich widerrufen und getröstet sein, weil Gott zu ihm geredet und er, Hiob, den deus revelatus als absconditus erkannt habe. Der Epilog (Hi 42,7–17) wird als Bestätigung der Position Hiobs gelesen, der mittels seiner Fürbitte für die Freunde nicht nur zeige, was rechte Seelsorge sei, sondern mit der Gewährung des Erbrechts für seine Töchter bewusst Gebote der Tora (vgl. Num 27,1–8; 36,5–9; Jos 17,3–6) überschreite. Die Wendung, dass Gott Hiobs Schicksal umkehrte (Hi 42,10), versteht L. vor dem Hintergrund von Jer 30,3.18 als Hinweis auf ein kollektives Verständnis der Figur Hiobs, in der sich das Schicksal Israels spiegele, womit er sich in die Reihe jüdischer und christlicher Auslegungen von Rabbi Eliezer b. Elijah Ashkenazi (1513–1586) und Johann David Michaelis (1717–1791) bis zu Margarete Susman (1872–1966) (vgl. 283) einreiht. Das redaktionsgeschichtlich als jüngsten Zusatz be­stimmte Weisheitsgedicht in Hi 28 deutet L. – der Überschrift in Hi 27,1 gemäß – richtig als Rede Hiobs, in welcher der aus Prov 8 bekannten sapientia revelata die sapientia abscondita zur Seite gestellt und mit deren Schlusssatz zur Ausgangscharakterisierung Hiobs in 1,1 zurückgekehrt werde.
Beigegeben sind dem Werk, dessen Fließtext mit einer Predigt schließt, die L. 2009 im Dom zu Meißen über Hi 30,24–31 gehalten hat, und das dementsprechend mit dem Wort »Amen« endet, vier Exkurse: erstens zu Hiobs Frau (s. o.), zweitens zur Herkunft des Bösen, drittens zur wirkungsgeschichtlich vielleicht berühmtesten Passage des Hiobbuchs in Hi 19,25 f. (»Ich weiß, dass mein Löser lebt«) und viertens zum Verhältnis von göttlicher Macht und All macht. Hinzu kommen, über das Buch verteilt insgesamt elf schwarz-weiß Abbildungen (u. a. Darstellungen des Totengerichts im ägyptischen Totenbuch, des Herrn der Tiere auf altvorderorientalischen Rollsiegeln, der Behistun-Inschrift des Perserkönigs Darius I. oder mittelalterlicher Altarbilder, die den von Krankheit gezeichneten Hiob als Patron der Musikanten zeigen) sowie ein knappes Literaturverzeichnis.