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Ausgabe:

April/1996

Spalte:

339–341

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Brox, Norbert]

Titel/Untertitel:

Philophronesis. Für Norbert Brox. Hrsg. von J. B. Bauer.

Verlag:

Graz: Institut für Ökumenische Theologie und Patrologie an der Universität Graz 1995. VII, 227 S. gr. 8o = Grazer Theologische Studien, 19. ISBN 3-900797-19-6.

Rezensent:

Wolfgang A. Bienert

Diese "Freundesgabe" zum 60. Geburtstag des Regensburger Patrologen Norbert Brox enthält sechs wissenschaftlich anspruchsvolle und anregende Beiträge aus dem Bereich der Patristik, die zwar nicht einem gemeinsamen Thema zugeordnet sind, sich aber untereinander berühren und immer wieder auf Forschungsarbeiten des Jubilars beziehen. So entsteht trotz aller Unterschiede bei den einzelnen Themen ein relativ einheitliches Bild von Untersuchungen, die sich durch methodische Klarheit, wissenschaftliche Strenge sowie durch ein gewisses Maß an selbstkritischer Nüchternheit auszeichnen, was sie untereinander, aber auch mit dem von ihnen geehrten Kollegen und Lehrer verbindet.

Der Band wird eröffnet mit einem Beitrag des Hg.s, Johannes B. Bauer, Eine anonyme Parabelerklärung (1-19), über eine schwer zu datierende, zuvor noch nicht vollständig publizierte Sammlung von insgesamt 29 kurzen allegorischen Parabelerklärungen nach Art der Erotapokriseis aus Cod.Paris. Bibl. Nat. gr. 2316, 310v-313v, einer Papierhandschrift aus dem 15. Jh. Teile daraus berühren sich mit einer Auslegung des Origenes zu Lk 10,29-37 (vgl. Nr. 1 mit GCS Origenes, Bd. 9, 12 f.; mit deutscher Übersetzung von H. J. Sieben, Origeneshomilien zum Lukasevangelium FC 4/2, 1992, 338 f.), vor allem aber (Nr. 1-19) mit Ps.-Chrysostomos, in einem Stück, das früher fälschlich dem Athanasius (PG 28, 712-716) zugeschrieben wurde (vgl. M. Geerard, CPG 2, 1974, Nr. 2260 und 4855). A. Jacoby hatte zuerst auf diesen Kodex hingewiesen (ZNW 13, 1912, 161-164), aber nur einen Abschnitt daraus veröffentlicht. Bauer hat nun den gesamten Text erstmals ediert (1-5) und mit einem kurzen Kommentar versehen, der dazu anregen soll, sich genauer damit zu beschäftigen. Das würde sich in der Tat lohnen. Denn der Text bietet reiches (Anschauungs-)Material zur altkirchlichen Bibelauslegung, vor allem zur allegorischen Auslegung von Gleichnissen und Bildworten, aber auch zur Überlieferung der entsprechenden biblischen Texte.

Die beiden folgenden Aufsätze sind Problemen aus dem Bereich der Apostolischen Väter gewidmet. Horacio E. Lona, Zur religionsgeschichtlichen Frage in 1 Clem 20 (21-54), bietet eine detaillierte traditionsgeschichtliche Untersuchung zu dem genannten Kapitel (abgesehen von V. 7, dem Zitat aus Hiob 38, 11), um zu zeigen, daß diesem offensichtlich stoisch beeinflußten Text, der die Macht Gottes in der Schöpfung eindrucksvoll beschreibt, weder eine liturgische noch eine philosophische Quelle zugrunde liegt, sondern daß er im hellenistischen Judentum ­ vor allem in der Tradition Philos ­ verwurzelt ist. Durch Philo, darauf weist der Vf. in kritischer Auseinandersetzung mit dem Kommentar von R. Knopf (1920) u. a. hin, ist der stoische Einfluß ganz offensichtlich vermittelt (vgl. auch: J. P. Martín, Prima Clementis: estoicismo o filonismo, in: Salmanticensis 41, 1994, 5-36). Dem Alexandriner gebührt in diesem Zusammenhang zweifellos besondere Aufmerksamkeit. ­ Auch in dem Beitrag von Ferdinand R. Prostmeier, Unterscheidendes Handeln (55-75), geht es um die Frage nach der Bedeutung jüdischer Traditionen für das frühe Christentum ­ hier im Zusammenhang von "Fasten und Taufen gemäß Did 7,4 und 8,1". Deutlich ist in Did 8,1 die Abgrenzung gegenüber den hypokritai, den Juden (vgl. 63 f. mit Anm. 37 und 38). Die Praxis des Fastens wird dabei zum deutlichen Unterscheidungsmerkmal zwischen Juden und Christen. "Wenn Christen fasten, dann (fasten sie) mittwochs und freitags, keinesfalls montags und donnerstags" (65). Was folgt daraus für die Bestimmung des Tauftags, wenn es in Did 7,4b heißt, daß Täuflinge (und einige andere) ein oder zwei Tage vorher fasten sollen? "Aus organisatorischen wie aus pastoralen Gründen, und weniger aus theologischen Erwägungen, wird dann die Wahl auf den Herrentag und nicht auf einen anderen terminlich möglichen Wochen- oder Jahrestag gefallen sein" (69). Diese Begründung wirkt zwar etwas hypothetisch, entspricht aber ohne Zweifel der Tendenz der Didache, die Trennung von Christen und Juden durch unterscheidendes Handeln sichtbar zu machen (z.B. auch im täglichen Gebet). Wird der Herrentag zum Tauftag, folgt daraus, daß der Sabbat für Christen auch zum Fasttag werden kann, was die Trennung vom Judentum durch eine weitere "signifikante christliche Transformation des jüdischen Gutes" (71) vertieft.

Franz Dünzl, Spuren theologischer ’Aufklärung’ bei Irenäus von Lyon (77-117), versucht in Anknüpfung an Arbeiten von N. Brox "Positionen irenäischer Theologie zu erhellen, ihre Bedeutung zu würdigen und ihre Schwächen offenzulegen" (77) im Sinne einer "historischen ’Fallstudie’", um "Möglichkeiten und Grenzen theologischer Aufklärung (auch in unserer Zeit) zu reflektieren" (79). Der Vf. setzt den Begriff "Aufklärung" in Anführungszeichen. Er ist sich auch bewußt, daß Irenäus aus einer bestimmten geschichtlichen Situation heraus gegen die "fälschlich sogenannte Gnosis" schreibt und dabei von der Überlegenheit seiner eigenen Erkenntnis überzeugt ist. Bei einer "Fallstudie" besteht jedoch die Gefahr, daß das Vorgehen des Irenäus zu sehr aus der geschichtlichen Distanz und von einer ’höheren Warte’ aus betrachtet und beurteilt wird und dabei die geschichtlichen Bedingtheiten seines Vorgehens verkürzt werden. Daß es bei der Auseinandersetzung zwischen Irenäus und der Gnosis im Zusammenhang mit der ’Kirchwerdung’ des Christentums um Grundprobleme christlicher Identität überhaupt ging, kommt in dem Beitrag dann auch zu wenig in den Blick. Immerhin wird deutlich, auf welche Weise es Irenäus, dessen theologische Bedeutung für die frühe Kirche in der Forschung oft zu unrecht unterschätzt wird, gelang, die Überlegenheit des kirchlichen Christentums gegenüber dem gnostischen herauszustellen. Es gelingt ihm, indem er a) die Geheimlehren der Gnostiker an die Öffentlichkeit bringt, b) durch rationale Argumente gnostische (Zahlen-)Spekulationen infragestellt, c) dem gnostischen (Christus-)Mythos das historische Argument entgegensetzt und d) dieses auch auf die Exegese anwendet und gegen gnostische Willkür im Umgang mit Bibeltexten auf die Integrität der ganzen Bibel verweist. Die Argumentation des Irenäus ist dabei keineswegs frei von Widersprüchen. Darauf weist der Vf. mit Recht immer wieder hin. Aber er zeigt auch, wie sehr die Daseinsorientierung die Argumentation auf beiden Seiten bestimmt. Und so ist es letztlich die "bejahende Einstellung zu Welt und Weltverantwortung", die die Überlegenheit des Irenäus gegenüber der "Weltverneinung der Gnostiker" begründet (117).

Die beiden letzten Beiträge der Festschrift sind der Augustinforschung gewidmet: Alfons Fürst, Zur Vielfalt altkirchlicher Soteriologie. Augustins Berufung auf Hieronymus im pelagianischen Streit (119-185), untersucht die Unterschiede des soteriologischen Ansatzes bei Hieronymus und Augustin, und Josef Lößl SJ, Auf den Spuren des intellectus gratiae. 300 Jahre Erforschung von Augustins Römerbriefexegese (187-227), bietet einen umfangreichen forschungsgeschichtlichen Überblick zum Thema. ­ A. Fürst weist gleich zu Beginn darauf hin, daß "es nie ausdrücklich zur Festschreibung eines im engeren Sinn ’soteriologischen Dogmas’ kam", sondern daß es stets eine "Vielzahl soteriologischer Bilder, Ideen und Denkmodelle" auf den unterschiedlichsten Ebenen gab, um das Heil in Christus auszudrücken (119; auf die Frage der Pneumatologie geht der Vf. in diesem Zusammenhang leider nicht ein!). Von da aus fragt er nach dem Verhältnis von Sünde, Gnade und menschlicher Freiheit bei Augustin, Pelagius und Hieronymus. Dabei zeigt sich, daß sich Augustin in seiner Auseinandersetzung mit Pelagius zwar auf Hieronymus beruft und dieser die Position des Pelagius auch ausdrücklich verwirft, ihm aber letztlich näher steht als Augustin (vgl. 144). Denn Hieronymus versucht stets, gratia und liberum arbitrium zusammenzudenken, ohne auf einen logischen Ausgleich zu achten. Am deutlichsten zeigt sich der Unterschied zwischen Augustin und Hieronymus in der Frage nach der Sünde von Kindern und Säuglingen. Hieronymus war stets davon überzeugt, daß Menschen nur dann sündigen können, wenn sie für ihr Handeln verantwortlich sind. "Ein peccatum originale im Sinne Augustins mit dessen soteriologischen Konsequenzen auch für Kinder und Säuglinge läßt sich bei Hieronymus weder terminologisch noch in der Sache nachweisen" (182). Zwar tritt auch Hieronymus für die Säuglingstaufe ein. Aber diese dient in seinen Augen nicht dem Heil des Kindes, sondern dem der Mutter (vgl. 153). So zeigen sich zwischen Augustin und Hieronymus trotz der oft ­ auch von ihnen selbst ­ betonten Gemeinsamkeiten nicht nur deutliche Unterschiede, sondern sogar unvereinbare Gegensätze, die von der Tradition nur mit Mühe überdeckt werden. Dieses Nebeneinander unterschiedlicher soteriologischer Ansätze macht zugleich verständlich, warum sich Augustins Ansatz im Abendland auch nur teilweise durchsetzen konnte. ­ Der abschließende Beitrag von J. Lößl zur Römerbriefexegese Augustins behandelt die Geschichte der Erforschung des Themas bis in die Gegenwart hinein. Er rundet mit seiner Frage nach der Verbindung von Exegese und Dogmatik bei Augustin und ihrer Wirkungsgeschichte einen bemerkenswerten Band mit anregenden und weiterführenden Studien zu wichtigen Problemfeldern der Patristik ab.