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Ausgabe:

Februar/2013

Spalte:

169–170

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Liverani, Paolo, and Giandomenico Spinola [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Vatican Necropoles. Rome’s City of the Dead. With a Contribution by P. Zander. Introduction by F. Buranelli. Transl. from the Italian by S. Stevens and V. Noel-Johnson.

Verlag:

Turnhout: Brepols 2010. 352 S. m. zahlr. Abb. 31,0 x 24,0 cm. Geb. EUR 95,00. ISBN 978-2-503-53578-4.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Unzählige Gräber säumten einst die Ausfallstraßen der Stadt Rom, deren Bevölkerung nach manchen Schätzungen in der hohen Kaiserzeit die Millionengrenze überschritten hat. Im Unterschied zu weitaus kleineren Städten wie Ostia oder Pompeii ist von den stadtrö­mischen Nekropolen aufgrund des rapiden Wachstums der modernen Hauptstadt jedoch praktisch nichts mehr in situ erhalten – eine Lücke, die auch die spärlichen Textquellen zu Bestattungen nicht füllen können. Einen besonderen Glücksfall stellen daher die Gräber dar, die an mehreren Orten auf dem Gebiet des Vatikan gefunden, sorgfältig untersucht, zum allergrößten Teil konserviert und für Besucher zugänglich gemacht wurden. Besonders bekannt und aufgrund der frühchristlichen Memorialstätte »Grabhof P« (dazu 47–55 und 139) noch stets heftig diskutiert sind die Gräber unter der Petersbasilika. Diese gehörten zu einer ausgedehnten Nekropole, die sich entlang der Via Cornelia stadtauswärts erstreckte; 22 Grabmonumente wurden während des Pontifikats Pius’ XII. zwischen 1940–1947 und 1953–1957 ausgegraben. Hinzu kommen Hunderte weiterer Gräber an der benachbarten Via Triumphalis (Galea-Areal, Autoparco, Santa Rosa-Areal), deren Ausgrabung zum Teil erst vor wenigen Jahren abgeschlossen wurde. Da die wissenschaftliche Endpublikation dieser Nekropolen bisher noch nicht vollständig vorliegt und die Mehrheit der Publikationen sich mit den Problemen der Petrusmemoria befasst, schließt der vorliegende Band eine schmerzliche Lücke. Der Libreria Editrice Vaticana und Brepols ist es daher sehr zu danken, dass der 2010 zunächst in italienischer Sprache vorgelegte Band nun auch auf Englisch greifbar ist.
Das prachtvoll ausgestattete Buch umfasst fünf Kapitel. Nach der Einleitung (7–9) zeichnet das erste Kapitel (»Topographical Setting«, 11–21) die Nekropolen in die allgemeine Stadtentwicklung auf dem Vatikanhügel seit der späten Republik ein, inklusive des Circus des Nero, Gärten der Elite und eines Heiligtums der Magna Mater (Phrygianum). Die Errichtung der konstantinischen Petersbasilika änderte das bis dahin recht vielfältige Gesicht des Vaticanus drastisch. Die Grabanlagen entlang der Via Triumphalis wurden meterhoch zugeschüttet (und sind vor allem deswegen so gut erhalten), die Umgebung umgestaltet. Die Lokaltradition des Petrusgrabs scheint jedoch bereits seit dem frühen 3. Jh. christliche Bestattungen angezogen zu haben (20).
Sowohl der hervorragende Erhaltungszustand der vatikanischen Grabanlagen als auch die Größe der untersuchten Fläche eröffnen die Möglichkeit, den ganzen Reichtum an Funden und Befunden zu detaillierten kultur- und religionswissenschaftlichen Analysen einzusetzen. Kapitel 2 (»The Rituals: Anthropological and Religious Aspects«, 22–39) widmet sich diesem breiten Feld und zieht aus der Vielfalt von Begräbnispraktiken und Grabformen eine Fülle weltanschaulicher, sozialer und kulturhistorischer Konklusionen. So tritt die soziale und religiöse Welt des kaiserzeitlichen Rom als Kontext frühchristlichen Lebens dem Leser eindrucksvoll vor Augen. Im folgenden Kapitel 3 (»The Necropolis under St. Peter’s Basilica«, 40–139) spielt natürlich das Petrusgrab (»Grabhof P«, dazu 47–55 und 139) eine besondere Rolle. Die Autoren schließen sich zwar – m. E. zu Recht – der Mehrheitsmeinung an, wonach Grabhof P mit dem bei Eusebius genannten »Tropaion des Gaius« aus der Zeit um 200 gleichzusetzen ist, sind freilich – mit nicht weniger guten Gründen – zurückhaltend bei weitergehenden Fragen wie der Identifikation der Knochenreste oder der Lesung der berühmten »Petrus war hier«-Graffiti. Mindes­tens ebenso beeindruckend ist jedoch die detaillierte Dokumentation und Diskussion der übrigen Grabmonumente in all ihrer archi tektonischen und dekorativen Vielfalt. So ermöglicht es der Band, die frühchristliche Memorialstätte nun erstmals im Kontext der Ge­samtnekropole wahrzunehmen, die zur Zeit des Tropaion den ar­chi­­tektonischen Kontext der Petruserinnerung abgegeben hat. Immer wieder diskutiert wurde auch das berühmte Mosaik eines Wagenlenkers mit Quadriga und Strahlenkranz im Grab der Iulii (Grabanlage M, 114–119), eigentlich das Deckenmotiv zu einem Mosaikprogramm aus dem 3. Jh., das an den Wänden auch Jona, einen »Schafträger« und einen Fischer zeigt. Vor allem die Kombination mit den nun gereinigten und viel besser interpretierbaren Wandmosaiken legt nahe, dass es sich bei dem Helios doch um eine Christusdarstellung handelt.
Gegenstand des vierten Kapitels ist »The Vatican Necropolis on the Via Triumphalis« (140–285), die im Laufe der Jahrhunderte an mehreren Stellen angeschnitten wurde (Galea-Areal, Autoparco, Santa Ro-sa-Areal) und insgesamt mehrere Hundert Gräber des 1. bis 4. Jh.s umfasst, die ähnlich wie die unter St. Peter der stadtrömischen Mittelschicht zuzuweisen sind. In Kapitel 5 berichtet Pietro Zander schließlich über »The Necropolis underneath St. Peter’s Basilica. Conservation and Restoration« (286–330).
Anmerkungen (331–345), ein knappes Literaturverzeichnis (346) sowie ein Namen-, Orts- und Stichwortregister (347–350) schließen diesen grundlegenden und gut dokumentierten, für Historiker wie Exegeten gleichermaßen wichtigen Band ab, dessen Lektüre aufgrund der zahlreichen großformatigen Farbfotos nicht zuletzt auch ein ästhetischer Genuss ist.