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Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

121–123

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Hayes, Patrick J.

Titel/Untertitel:

A Catholic Brain Trust. The History of the Catholic Commission on Intellectual and Cultural Affairs, 1945–1965.

Verlag:

Notre Dame: University of Notre Dame Press 2011. VII, 432 S. 22,7 x 15,0 cm. Geb. US$ 75,00. ISBN 978-0-268-03109-1.

Rezensent:

Andreas Henkelmann

Die Diskussionen um das katholische Bildungsdefizit sind keine deutsche Besonderheit, sondern spielten auch in den USA eine große Rolle. Einen – wenn nicht gar den – entscheidenden Anstoß dazu gab John Tracy Ellis (1905–1992), renommierter Kirchenhistoriker an der Catholic University of America in Washington, in einem in St. Louis am 14. Mai 1955 gehaltenen Vortrag. Einige Monate später erschien er als Aufsatz unter dem Titel »American Catholics and the Intellectual Life« auch in gedruckter Form. Die Kernthese lautete, dass die Katholiken kaum zum intellektuellen Leben in den USA beitragen würden. Selbstkritisch verwies der Kirchenhistoriker u. a. auf eine ausgeprägte innerkatholische Gleichgültigkeit gegenüber akademischen Fragen und eine immer noch weit verbreitete Ghettomentalität mit einem entsprechenden Desinteresse, an öf­fentlichen Diskursen zu partizipieren. Auch wenn Ellis es nicht erwartet hatte, lösten der Vortrag und seine Veröffentlichung eine heftige und kontroverse Diskussion aus.
Die Rede gehört bis heute für den Katholizismus in den USA zum festen Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses; etwas anders sieht es mit der Organisation aus, auf dessen Veranstaltung der Kirchenhistoriker seinen Vortrag hielt – dabei handelt es sich um die 2007 aufgelöste Catholic Commission on Intellectual and Cultural Affairs (CCICA). Dies mag sich mit der vorliegenden Studie von Patrick J. Hayes ändern; der Historiker liefert jedenfalls gute Gründe dafür, sich mit ihrer bemerkenswerten Geschichte intensiver als bisher geschehen zu beschäftigen. Dabei geht es ihm nicht primär um Struktur und Organisation der CCICA, sondern er sieht sie primär als Sonde, um der Frage nachzugehen, was einen katholischen Intellektuellen auszeichnet (2): »If we observe the ways in which well-educated and culturally persuasive individuals have contributed both to the dialogue within the Church and outside in the public square, not only will the issues they engaged become clearer, but also the role of the Catholic intellectual will become more understandable.«
Zeitlich konzentriert sich die Studie auf die Phase von der Gründung 1946 bis zum Ende des Zweiten Vatikanums; also dem Zeit­raum, in dem die CCICA ihre größte Wirksamkeit entfaltete. Nach einer kurzen Einführung schildert H. ausführlich die komplizierte Vorgeschichte, die eng mit der Entstehung der UNESCO zusam­menhängt. Nach ihrer Konstituierung am 16.11.1945 begannen im US-amerikanischen Katholizismus – vor allem die National Catholic Educational Association spielte eine wichtige Rolle – Überlegungen, eine Organisation zur Teilnahme an der nationalen UNESCO-Konferenz zu bilden. Hintergrund für das katholische Interesse an der UNESCO war die ausgeprägte Hoffnung, nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg über internationale Organisationen eine neue Friedensordnung aufzubauen; die CCIA kooperierte in den Anfangsjahren daher auch intensiv mit der internationalen katholischen Friedensorganisation Pax Romana.
Ihre Gründung erfolgte am 23. Juni 1946 auf dem Campus der Catholic University of America in Washington, D. C. 38 katholische Akademiker, die meisten Professoren, hatten sich dort versammelt, um die Catholic Commission on Intellectual and Cultural Affairs ins Leben zu rufen. Die CCICA verstand sich nicht als Massenorganisation mit möglichst großen Mitgliederzahlen, finanziell lebte sie daher nicht primär von den Beiträgen, sondern vor allem von der Unterstützung einzelner Diözesen. Vielmehr ging es darum, eine kleine, handverlesene Elite zu sammeln, um auf diese Weise Einfluss zu nehmen – 1955 gehörten ihr so ›nur‹ 255 Personen an, darunter 24 Frauen. Eine solche Einflussnahme erfolgte erstmals, als der Gründungsdirektor der UNESCO, Julian Huxley (1887–1975) seine Vision der neuen Organisation 1946 in einem Buch vorstellte. Die CCICA sah die Schrift als antireligiös und szientistisch an. Ein Jahr später veröffentlichte sie daher eine Gegendarstellung.
In den 1950er Jahren sollten dann andere, nationale Themenfelder die CCICA dominieren. Eines davon, das katholische Bildungsdefizit, wurde bereits angesprochen. Die erwähnte Veranstaltung im Mai 1955 in St. Louis mit dem wegweisenden Referat von Ellis stellt nur einen kleinen, wenn auch sehr prominenten Ausschnitt aus der Arbeit dar. So unterstützte die CCICA auch Forschungen, um das genaue Problemausmaß wissenschaftlich untersuchen zu lassen – H. geht vor allem auf die Studie des Soziologen John Donovan The Academic Man in the Catholic College aus dem Jahr 1964 ein.
Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld der 1950er Jahre stellten Anfeindungen gegen die katholische Kirche dar, die in den USA eine lange Tradition haben. Der wohl bekannteste Kritiker in der un­mittelbaren Nachkriegszeit und den 1950er Jahren war der Publizist Paul Blanshard (1892–1980). Blanshard, der am Union Theological Seminar in New York seinen Abschluss gemacht hatte, veröffentlichte 1949 ein erstes antikatholisches Pamphlet mit dem Titel American Freedom and Catholic Power. Blanshard griff dabei vor allem auf die bekannte These zurück, dass die katholische Kirche nicht mit einer Demokratie kompatibel sei und die Trennung von Staat und Kirche nicht akzeptiert. Die CCICA reagierte schnell und veröffentlichte verschiedene Memoranden gegen Blanshard und andere Kritiker. Entscheidend daran beteiligt war der Jesuit John Courtney Murray (1904–1967), der bekanntermaßen später auf dem Zweiten Vatikanum maßgeblich an der Entstehung von Dignitatis Humanae beteiligt war. H. arbeitet sorgfältig heraus, dass allerdings die CCIA und Murray auch innerkatholische Kritik von konservativer Seite für ihre Positionen zum Staat-Kirche-Verhältnis einstecken mussten. Die CCIA zeichnete sich aber nicht nur durch ihre Stellungnahmen und die damit verbundene Forschungsförderung – ein weiteres Projekt, auf das H. ausführlich eingeht, war der Einsatz für die Herausgabe einer neuen Catholic Encyclopedia – aus, sondern bemühte sich auch um die religiöse Schulung vor allem junger katholischer Akademiker. Im Mittelpunkt der nach dem Sponsor benannten Kerby Seminars stand vor allem die Diskussion aktueller theologischer und philosophischer Schriften.
Im abschließenden Kapitel »Epilogue« skizziert H. die weitere Entwicklung der Organisation nach 1965 bis zu ihrer Auflösung, die er im Zeichen eines Bedeutungsverlustes sieht, und geht auf seine Ausgangsfrage nach den Charakteristika eines katholischen Intellektuellen ein. Dabei hebt er vor allem den public character (289) der CCIA hervor und bezeichnet sie als brain trust (290) der Kirche. Gleichzeitig hebt er die Kirchlichkeit und die Religiosität ihrer Mitglieder hervor (290): »For the Catholic intellectual toiling for the public good is a measure of one’s love for God.«
Die auf eine beeindruckend breite Quellenlage aufbauende Studie liefert ein genaues Profil eines der wichtigsten Intellektuellenzirkel des liberal Catholicism ab. In zentralen Punkten – etwa in der Frage der Religionsfreiheit oder der Öffnung der Kirche für die Welt und dem Aufbruch aus dem selbstgewählten Ghetto – werden Positionen entwickelt, die dann im Zweiten Vatikanum offizielle kirchliche Lehre werden. Umso erstaunlicher ist es, dass das Konzil keine besondere Rolle auf den Jahrestreffen des CCIA eingenommen hat, wobei zu bedauern ist, dass H. nur sehr kurz darauf eingeht. Mit Blick auf die Frage nach den Charakteristika katholischer In­-tellektueller hätte es ihr allerdings gutgetan, die zeitlichen Grenzen weiter zu ziehen. Wenn H. beispielsweise die These vertritt, in den 1920er und 1930er Jahren habe es noch keine katholische intellectual class (285) gegeben, wirkt dies wenig überzeugend, auch weil mögliche Verbindungslinien zur Zeit nach 1945 kaum in den Blick genommen werden.
Trotz dieser Anfragen handelt es sich um einen wichtigen Beitrag zum Katholizismus in den USA während der Umbruchszeit zwischen Kriegsende und Konzil. Es ist zu hoffen, dass er auch in Deutschland seine Leser findet und zu komparativen Forschungen anregt, was nicht nur mit Blick auf das Bildungsdefizit für die Katholizismusforschung auf beiden Seiten des Atlantiks weiterführend sein dürfte.