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Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

113–115

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schröder, Bernd

Titel/Untertitel:

Religionspädagogik.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XVI, 733 S. 23,2 x 15,4 cm = Neue Theologische Grundrisse. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-16-150979-7.

Rezensent:

Michael Meyer-Blanck

Mit diesem zweiten Band aus der neuen Reihe theologischer Grundrisse im Verlag Mohr Siebeck liegt das umfangreichste und umfassendste religionspädagogische Lehrbuch vor, das bisher in deutscher Sprache erschien. Man kann Bernd Schröder nur Respekt zollen, wie es ihm gelingt, die in sich hochdifferenzierten Diskurse von schulischer Religionspädagogik und Gemeindepädagogik in einem Band zu behandeln und auf neuestem Forschungs- und Diskussionsstand miteinander zu verbinden. Drei weitere wichtige Aspekte kommen hinzu, die als rote Fäden das anspruchsvolle Werk durchziehen. Dies sind 1. eine interreligiös wie international vergleichende Religionspädagogik mit besonderem Interesse für die Entwicklungen in Judentum und Islam, 2. der Bezug auf den religiösen Lernort Familie und 3. die Berücksichtigung der neuen elektronischen Medien sowie der gesellschaftlichen Öffentlichkeit bei der Theorie der religiösen Erziehung.
Das Buch ist perspektivisch gegliedert, so dass die Gegenstände weder induktiv noch deduktiv entwickelt werden müssen, sondern unter einander ergänzenden Argumentationslogiken Kontur gewinnen. Nach dem historischen Kapitel (17–165, §§ 2–9) folgen das systematische (167–279, §§ 10–16), das empirische (284–361, §§ 17–22) und das vergleichende Kapitel (363–423, §§ 23–26), bevor das um­fangreichste fünfte Kapitel (»Religionspädagogik in handlungsorientierter Perspektive«, 425–703, §§ 27–52) die Linien zu­sammenführt. Hier werden die Lernorte Familie, Gemeinde, Schule (mit gut 150 Seiten am ausführlichsten) und Medien behandelt. Es folgen die ausführlichen Register (707–733).
Konzeptionell verbindet S. die Definition Praktischer Theologie von Dietrich Rössler mit Christian Grethleins (von Ernst Lange übernommener) Formel der »Kommunikation des Evangeliums«. Damit gelingt es S., die humanwissenschaftliche Weite der Wahrnehmung und die inhaltliche Bestimmung durch die dem konfessionellen Religionsunterricht und allen Formen des Lernens im evangelischen Christentum zugrunde liegende Tradition aufeinander zu beziehen, wie das der Theorie der kategorialen Bildung entspricht. Entsprechend kommt es zu der folgenden Definition S.s: Die Religionspädagogik ist zu entwerfen als »Verbindung von empirischen, historischen und vergleichenden Einsichten mit Grundsätzen der christlichen Überlieferung zu einer Theorie der Kommunikation des Evangeliums im Medium von Lernprozessen, die sowohl die Bildungs(mit)verantwortung der Kirche als auch das professionelle Handeln von Lehrenden christlicher Religion und die Bildung einzelner Getaufter zu orientieren vermag.« (172, dort kursiv) Religionspädagogik ist demnach keine kirchliche, aber eine auch kirchenbezogene Disziplin; die Taufe steht nicht im Zentrum, stellt aber gleichwohl eine Reflexionsperspektive evangelischer Bildung dar. An dieser Stelle zeigt sich das Fruchtbare einer Theorie, die die Lernorte Familie und Gemeinde im religionsdidaktischen Zusammenhang mitbedenkt. Hingewiesen wird auch auf die schlichte Tatsache, dass das Handlungsfeld Bildung und Lernen die anderen praktisch-theologischen Handlungsfelder, jedenfalls was die Adressaten angeht, bei weitem übertrifft (176).
Auch wenn mich die Formel »Kommunikation des Evangeliums« (wegen der technischen Konnotationen und der Abgenutztheit des Kommunikationsbegriffes) nicht völlig überzeugt, muss festgestellt werden, dass damit Subjektivität und Objektivität von Religion, Prozess und Inhalt der traditio des Evangeliums, treffend bezeichnet sind. Die bloße ständige Wiederholung des »Subjektbezuges« in der gegenwärtigen Religionspädagogik ist jedenfalls vielfach redundant und unterkomplex, während S. zu Recht kompliziertere Akzente setzt. Der erste Satz des Buches (1) spricht sogar von der »Weitergabe des christlichen Glaubens an Menschen, die bisher (k)einer anderen Religionsgemeinschaft angehörten, oder an die nachwachsende Generation« – und überzieht hier die Spannung zwischen aktueller Rekonstruktion und dem ihr Vorausliegenden sogar in die Richtung des Objektiven. Doch das Buch hält sich generell von allen Einseitigkeiten frei und unterscheidet das religionspädagogisch Erreichbare vom Unverfügbaren (209–213; vgl. dort das geschickt umformulierte berühmte Barth-Zitat zur Notwendigkeit und Unmöglichkeit der Vermittlung des Glaubens). Betont wird dabei die theologische Kontur des Bildungsbegriffs, die in der gegenwärtigen Erziehungswissenschaft eher ausgeblendet wird: »Theologisches und religionspädagogisches Denken bestehen auf der religiösen, genau genommen: jüdischen und christlichen Ligatur dieses Menschen- und Weltbildes, führen dieses also wesentlich auf ein Gottesbild […] zurück, während im pädagogischen Sprachgebrauch und in pädagogischen Bildungstheorien genau dieser Rückbezug in der Regel – allerdings nicht immer – in Abrede gestellt wird.« (230) Ein wenig steil heißt es später im gemeindepädagogischen Kapitel sogar: »Bildung heißt: gebildet werden zum Bild Gottes.« (485) Die Konfessionalität des RU entspricht dabei aber gerade keinem Überlegenheitsgestus. Konfessionalität ist für S. vielmehr die Bedingung der Möglichkeit selbstkritischer »Prüfung der eigenen Religiosität am theologischen Referenzrahmen« (240).
Im Rahmen dieser Besprechung kann ich nur noch auf wenige Einzelheiten hinweisen. Treffend ist im historischen Teil die un­terscheidende Darstellung der Konzepte von G. Bohne und M. Rang von der späteren Rezeption H. Kittels (139–141.203f.). – Gewisse Vorbehalte werden gegenüber der Rezeption der kognitionspsychologischen Denkmodelle formuliert, weil z. B. mit der Aufklärung über die Genese von »faith« noch nicht gesagt sei, wie ein pädagogisch adäquates Verständnis christlicher Religion ermöglicht werden kann (326). – Vorbildlich ist die durchgehende Einbeziehung internationaler und islamischer Religionspädagogik, die über das eigentliche vierte Kapitel (s. o.) deutlich hinausgeht, während für die vergleichende Darstellung katholischer Ansätze kein Raum blieb. – Der entwicklungspsychologische Verweis auf die für theologische Argumentationen nötige Meta-Reflexion führt zu einer gewissen Skepsis gegenüber dem Begriff der »Kindertheologie« (244). – Einschlägig ist der Hinweis darauf, dass sich die familiäre Erziehung in fast allen Bereichen immer mehr verbessert hat, während dies auf die religiöse Erziehung gerade nicht zutrifft (432).
Der Band ist sehr sorgfältig korrigiert und enthält so gut wie keine Fehler. Leider gibt es Zusammenfassungen am Schluss der einzelnen Paragraphen nur in den ersten beiden Kapiteln (§§ 1–16); häufiger zitiert das Buch Aussprüche oder geprägte Wendungen im Text ohne Zitatnachweis, z. B. 132: »›Lernen, was es heißt als Christ in unserer Zeit zu leben‹ (Weert Flemmig) […]« oder 240: »Für diesen ›Transformationsprozess‹ (Heinz Schmidt) […]«. Gewiss sind solche Anspielungen für den kundigen Leser interessant, doch für Anfänger im Fachdiskurs könnten sie etwas rätselhaft bleiben.
Insgesamt liegt ein wahrhaftes Kompendium vor, das ein klares theologisches und pädagogisches Profil zeigt und kaum eine Frage ungestellt lässt. Dass Fachdidaktik und Methodik demnach nur ein sehr kleiner Teil der Religionspädagogik sind, wird bei der sich gegenwärtig durchsetzenden praxisorientierten Ausrichtung der Lehramtsausbildung allzu leicht vergessen. Dieses Buch macht dagegen eindrücklich deutlich: Religionspädagogik ist mehr als Religionsdidaktik (427), und eine gute didaktische Praxis setzt eine umfassende Beschäftigung mit religionspädagogischer Theorie voraus. Der von S. vorgelegte Grundriss hat jedenfalls dem Lernenden Einsichten in die elementaren Fragestellungen und Zusam­menhänge zu bieten und gibt dem Kundigen reichlich Stoff zur Auseinandersetzung, wie man das von einem guten Lehrbuch erwartet.