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Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

106–108

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Gerth, Julia

Titel/Untertitel:

Der Heilige Geist – Das ist mehr so ein Engel, der hilft Gott. Der Heilige Geist im Religionsunterricht der Grundschule und der Sekundarstufe 1.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2011. 466 S. m. Tab. 24,0 x 15,5 cm = Arbeiten zur Religionspädagogik, 47. Geb. EUR 61,90. ISBN 978-3-89971-824-9.

Rezensent:

Mirjam Zimmermann

Das Thema »Heiliger Geist« kann in Schule und Religionspädagogik eher als Stiefkind religiöser Vermittlung gesehen werden. Die zu besprechende Dissertationsschrift von Julia Gerth, die am Lehrstuhl Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Technischen Universität Braunschweig bei Gottfried Orth entstanden ist, bearbeitet dieses Thema in drei großen Fragekomplexen: der Heilige Geist erstens in der systematischen und biblischen Fachwissenschaft, zweitens in Lehrplänen und Unterrichtsmedien und drittens in kinder- und jugendtheologischer Perspektive, also in den Deutungen von Schülern und Schülerinnen.
Im Rahmen einer Sachanalyse stellt G., selbst angehende Lehrerin für Grund-, Haupt- und Realschulen, im ersten Teil (33–80) in Auswertung einschlägiger, ausschließlich deutscher Werke der Systematik und Exegese dar, wie in der wissenschaftlichen Theologie vom Heiligen Geist gesprochen wird. Die Ergebnisse will G. dann daraufhin befragen, wie sich diese Zugänge nutzen lassen, um Schülern »theologisch verantwortete Sprachmöglichkeiten zu eröffnen, diesen vielschichtigen Begriff mit Inhalt zu füllen« (18). Strukturell unterscheidet sie dabei zwischen a) der Rede vom Heiligen Geist in Bildern und Metaphern, b) der Rede vom Heiligen Geist in seinen Wirkungen, c) der Rede vom Heiligen Geist im Kontext der Trinität.
In einem zweiten Teil (81–159) werden rechtliche Vorgaben für den Religionsunterricht und Unterrichtsmedien daraufhin untersucht, wie in ihnen das Thema kontextualisiert und umgesetzt wird. Aus der Art und Weise, wie hier über den Heiligen Geist gesprochen wird, stellt G. erste Vermutungen an, welche Vorstellungen bei den unterschiedlichen Altersstufen vorhanden sein könnten. Dies wird dann mit den Ergebnissen der empirischen Untersuchung im dritten Hauptteil verglichen. Wie in der gesamten Arbeit wird auch hier das methodische Vorgehen differenziert dargestellt und begründet. Die einzelnen Arbeitsschritte werden umfassend dokumentiert, und die Einzelergebnisse sind in vorbildlicher Art und Weise über den Text der vorliegenden Arbeit hinaus über die Homepage des Verlages einsehbar (z. B. Tabelle mit Einzelauswertungen der Schulbücher gemäß des vorgestellten Analyserasters und Transkriptionen der Interviews). Mit Hilfe von Vergleichstabellen, in denen Aspekte wie biblische Anknüpfungspunkte, Kontexte der Rede vom Heiligen Geist (Feste, Taufe), Bezüge zu den Rahmenrichtlinien, Art der Rede vom Heiligen Geist, didaktisch-methodische Ausrichtung, Lernziele u. a. aufgeführt werden, kann G. die knapp 140 katholischen und evangelischen Schulbücher gemäß der genannten Aspekte vergleichen und so zum Teil quantitativ, was nur in Ansätzen getan wird, und zum Teil qualitativ auswerten. Zusammenfassend wird festgehalten, dass »die Rahmenrichtlinien den Heiligen Geist kaum thematisieren« (153), die katholischen noch etwas häufiger als die evange­lischen. Auch bei der Durchsicht der Schulbücher werden nur we­nige pneumatologische Inhalte festgestellt, die sich häufig auf formelhafte Wendungen beschränken. Nur katholische Lehrwerke weisen eigene Kapitel zum Heiligen Geist auf, während evange­lische meist den Kontext Pfingsten/Feste bemühen. Bei den Textvorlagen der Pfingstgeschichte werden durch freie Übertragungen eher in evangelischen Lehrwerken auch theologisch neue Metaphern verwendet. Bezüge zur Trinität und zur Weiblichkeit Gottes werden in katholischen Lehrwerken häufiger als in evangelischen hergestellt, bei der überwiegenden Anzahl kann aber wie auch in den Rahmenrichtlinien »die Beschränkung auf zwei »Personen« der Trinität (Gott-Vater und Jesus Christus)« konstatiert werden (156). Das zu erwartende Defizit wird so deutlich benannt und belegt.
Im dritten Teil (159–335) werden nun die Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen vom Heiligen Geist erhoben. Dafür wird zuerst die empirische Ausgangslage erschlossen, indem vorliegende Untersuchungen auf diesen Aspekt hin befragt werden, bevor der eigene methodologische Zugang im Rahmen der qualitativen Sozialforschung dargelegt wird: Die Probandengruppe wird im Sinne der Varianzmaximierung bestimmt, ein Interviewleitfaden für das problemzentrierte Interview nach Witzel erstellt (vier Themenkomplexe: Gemeinschaftserfahrungen/Wirkungen Gottes; allgemeine Fragen zum Heiligen Geist; Pfingstgeschichte; Wirken und Erfahrbarkeit des Heiligen Geistes; 186), die Durchführung und Organisation der Interviews wird umfassend beschrieben und die fallbezogene Kodierung der problemzentrierten In­terviews im Rahmen des subsumtionslogischen Verfahrens wird erklärt.
G. möchte so erschließen, wie die Schüler und Schülerinnen sich den Heiligen Geist, sein Handeln und seine Erfahrbarkeit vorstellen, wo sie in Kontakt mit pneumatologischen Inhalten gekommen sind und wie sie theologische Geistvorstellungen deuten. Die Auswertung erfolgt dann anhand von 24 Schülerporträts, je zwölf aus Grundschulen und der Sekundarstufe I unterschiedlicher Schulformen. Anschließend werden die Ergebnisse fallübergreifend zu den Aspekten »Vorstellungen zum Heiligen Geist«, »zur Pfingstge schichte«, »Überlegungen zur Trinität« vorgestellt. Hier wird auf anfängliche Sprachprobleme und Unsicherheiten (276 ff.) der Schüler verwiesen und der Kontext der Verwendung (Gottesdienst und Ge­bet) dargestellt; es werden die gottesähnlichen Vorstellungen festgehalten und es wird der enge Bezug der Geistvorstellungen zu Engel/Gespensterbildern beschrieben. Als Eigenschaften des Heiligen Geistes benennen die Kinder und Jugendlichen: Unsichtbarkeit, Freundlichkeit, Heiligkeit und halten als Wirkweisen fest, (Gott) zu helfen, Mut zu machen, Gemeinschaft zu wirken und Bote zu sein.
In ihrer Zusammenschau im letzten Teil (337–444) werden dann die Ergebnisse der drei Komplexe miteinander in Beziehung ge­setzt und daraus religionspädagogische Perspektiven gewonnen. Hier hält G. berechtigterweise fest, dass die Vorstellungen der Schüler und Schülerinnen »nur einen sehr beschränkten Ausschnitt dessen wieder(geben), was dem Heiligen Geist theologisch zugeschrieben wird« (392). Außerdem benennen nur kirchlich stark sozialisierte Kinder Aspekte, die über das Hilfe- und Schutzhandeln hinausgehen. Letzteres hingegen ist nicht Gegenstand der Schulbücher, ebenso wenig wie Gespenster- und Engelvorstellungen, was deshalb als »didaktische Leerstelle« (393) identifiziert wird. Dass die mangelnde Kreativität und Vielfalt vielleicht auch an der eher abfragegeleiteten Interviewform liegt, gälte es zu überprüfen.
G. folgert, dass die Schulbücher und Rahmenvorgaben das Wissensdefizit bei den Schülern bearbeiten müssen (408), um die notwendige Sprachfähigkeit zu fördern, damit der Heilige Geist als konstitutives Element der Systematik in der Praxis nicht gänzlich aufgegeben wird. Dafür müsste der lebensweltliche Kontext der Rede vom Heiligen Geist erschlossen und unterrichtlich nutzbar gemacht werden, indem der Heilige Geist als »schöpferische Kraft der Motivation« (418), als »motivierende Kraft der Erneuerung« (420) und als »verbindende Kraft der Gemeinschaft« (424) stark gemacht wird.
Die Arbeit kann das Thema »Heiliger Geist« im Religionsunterricht umfangreich aufarbeiten und durch die reflektierte Methodik und Dokumentation vergleichbaren Dissertationsvorhaben als hilfreiches Beispiel dienen.