Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

104–106

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wustmans, Hildegard

Titel/Untertitel:

Balancieren statt ausschließen. Eine Ortsbestimmung von Frauenritualen in der Religions- und Pastoralgemeinschaft der Kirche.

Verlag:

Würzburg: Echter 2011. 334 S. 23,2 x 15,3 cm = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 83. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-429-03379-8.

Rezensent:

Brigitte Enzner-Probst

Hildegard Wustmans ist Professorin für Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz. Das zu rezensierende Buch wurde 2006 als Habilitationsschrift an der Karl-Franzens-Universität Graz eingereicht. Ziel der Untersuchung ist es, die Balance zwischen Religions- und Pastoralgemeinschaft, zwischen institutionalisierter Religion und Gemeinschaft der Glaubenden an der Basis ekklesiologisch zu begründen. Frauen in Frauenliturgiegruppen und der römisch-katholischen Amtskirche soll damit eine Möglichkeit aufgezeigt werden, sich konstruktiv aufeinander zu beziehen.
Den Hauptteil der Untersuchung nimmt die Beschreibung und Auswertung einer qualitativen Befragung von Frauen ein, die Frauenliturgien gestalten und feiern. Von den Befragten stammen mehr als die Hälfte aus dem Kontext der römisch-katholischen Kirche in Österreich, die übrigen aus dem gleichen konfessionellen Kontext in Brasilien. Fünf Interviews werden ausführlicher dargestellt und anhand von Kategorien (Biografischer Überblick, Frauenliturgie-Praxis, Ritualbegriff, Spiritualität und Religiosität, Weibliche Spiritualität, Gottesbild, Kirchenbild, Unausgesprochenes) interpretiert. Die inhaltliche Diskussion der Interview-Ergebnisse erfolgt in Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Ge­sprächspartnerInnen (Nelle Morton, Michel Foucault, Victor Turner). Diese Ansätze interpretiert W. abschließend durch Bezug auf eine semiotisch begründete Ekklesiologie (Hans-Joachim Sander). Das ekklesiologische Konzept der »Zweiheit« eröffnet den Raum, statt Ausschluss oder Auszug ein balanciertes Miteinander von Pastoral- und Religionsgemeinschaft zu ermöglichen. Die Ergebnisse werden abschließend an weiteren Beispielen (Weltjugendtage, Basisgemeinden Brasiliens, Jugendkirchen) diskutiert.
Die Monographie stellt die immer noch kaum wahrgenommene Frauenliturgiebewegung als eine kritische Reformbewegung einer breiteren Öffentlichkeit vor. Dies ist uneingeschränkt zu begrüßen. Liturgiegruppen sind »heterotope« Pastoralgemeinschaften, die die Religionsgemeinschaft kritisch befragen. Nur wenige Jahre nach Erscheinen der Habilitationsschrift der Rezensentin zum gleichen Thema wird damit diese Reformbewegung erneut thematisiert, diesmal mit pastoraltheologischem und ekklesiologischem Fokus. Die Architektur der Untersuchungs- und Denkschritte ist klar angelegt. Die Interviews zeigen, wie wichtig »oral theology« für das Ganze einer Religionsgemeinschaft ist. Mithilfe des ekklesiologischen Modells der »Zweiheit« wird die Heterotopie der Frauen auf die Religionsgemeinschaft der rö­misch-katholischen Kirche bezogen und als ekklesiologisch unverzichtbares, erneuerndes Element interpretiert. Beide, die Pastoralgemeinschaft an der Basis, wie auch die institutionalisierte Kirche, in diesem Fall die römisch-katholische Religionsgemeinschaft, sind im Modell einer Balance aufeinander zu beziehen. Doch genau hier liegen die Anfragen – aus protestantischer Sichtweise formuliert, aber auch vom Untersuchungsgegenstand her zu begründen.
Wird mit dem Modell der »Zweiheit« das kritische Potential der Frauenliturgiegruppen genügend gesehen? Geht es den Frauenliturgiegruppen nur um ein Gesehen- und Gehörtwerden von Seiten der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder wäre es nicht an der Zeit, über diese Ansätze eines neuen Miteinanders von Basis und Hierarchie hinaus, so notwendig diese auch sind, die Mitgestaltung von Theologie und Kirche durch Frauen auf allen Ebenen und in allen Bereichen zu fordern? Mit Nelle Morton wird zwar eine feministische Theologin der ersten Stunde zitiert, weitere Konzepte des Widerstands und Protests aus feministischer Theologie fehlen jedoch. In den Interviews der befragten Frauen selbst wird jedenfalls das Leiden an institutionalisierter Religion deutlich ausgesprochen.
Eine weitere Anfrage: Mit den Interviews aus dem brasilianischen Kontext wird zwar der interkulturelle Horizont aufgespannt, dann aber konfessionell wieder auf den römisch-katho­lischen Kontext eingeengt. Obschon anfangs in der Beschreibung der Geschichte der Frauenliturgiebewegung die Pluralität der konfessionellen Zuordnung aufgezeigt wird, wird in der inhaltlichen Diskussion nur von der römisch-katholischen Kirche als Religionsgemeinschaft ausgegangen. Diese Eingrenzung ist auch von der Kontextualität der Frauenliturgiebewegung her zumindest begründungsbedürftig. Teresa Berger hat in »Dissident Daughters« (Feminist Liturgies in Global Context, 2001) die Vielfalt von Frauenliturgiegruppen eindrücklich beschrieben. Sicher kamen die entscheidenden Impulse für Frauenliturgiegruppen zunächst aus dem Bereich der römisch-katholischen Kirche (vgl. etwa die großen Frauenkonferenzen in den USA in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts mit Rosemary Radford Ruether, Elisabeth Schüssler Fiorenza an der Spitze, ebenso die Gruppe WATER in der Nähe von Wa­shington, D. C.). Allerdings ist diese Bewegung rasch in den protestan­tischen Kirchen der Niederlande, der Schweiz und Deutschlands aufgenommen worden. Die Frauenliturgiebewegung ist deshalb auf die Breite gesehen ökumenisch zu interpretieren. Der Verweis auf den Weltgebetstag (38) macht dies deutlich. In manchen Fällen geht die sich darin manifestierende Spiritualität sogar über die Grenzen christlicher Tradition hinaus (36). Genau diese Überschreitung macht es schwierig, sie innerhalb einer einzelnen, konfessionell strukturierten Religionsgemeinschaft zu verorten. Eine rein konfessionelle Analyse der Frauenliturgiebewegung hätte zumindest begründet werden müssen.
Auch das ekklesiologische Bezugskonzept der »Zweiheit« ist zu befragen. Es ermöglicht zwar, die beiden Vergemeinschaftungsformen (Pastoral- und Religionsgemeinschaft) als aufeinander bezogen darzustellen. Die Frage ist jedoch, ob nicht von einer dreistelligen Semiotik aus die Hoffnung auf ein Drittes, theologisch gesprochen, auf die Sphäre des Heiligen Geistes genannt werden müsste. Ohne diesen Ausblick, diese offene Stelle auf Zukunft hin, wird »Zweiheit« leicht zu einer bloßen Befriedung, statt zu einem wirklichen Gespräch, zu einer dynamischen Fortentwicklung zu führen. Das Protestpotential, das in der liturgischen Praxis der Frauenliturgiegruppen sichtbar wird, regt an, hier ekklesiologisch weiterzudenken.
Kleinere Anmerkungen ergeben sich zum textlichen Bestand der Untersuchung. So wäre es wichtig gewesen, die Frage zu klären, ob die Namen der befragten Frauen verschlüsselt wurden (81-85). Die sehr kleine Schrift erschwert ein flüssiges Lesen. Die Anmerkungen lassen eher zur Lupe greifen. Manche Tippfehler finden sich. Gravierender sind die sich häufenden Fehler in der Zitation. So fällt es mir als Rezensentin natürlich auf, wenn der eigene Name falsch (Enzer-Probst, LV 319) zitiert wird. Ungeschickt ist es schließlich, wenn auch der Titel meiner Habilitationsschrift zum gleichen Thema nicht korrekt angegeben wird.
Insgesamt jedoch liegt eine anregende, die liturgische Praxis von Frauen innerhalb der römisch-katholischen Kirche sichtbar machende Arbeit vor, die es wert ist, in einem größeren ökumenischen Kontext gelesen zu werden.