Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

102–104

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Grethlein, Christian

Titel/Untertitel:

Pfarrer – ein theologischer Beruf!

Verlag:

Frankfurt a. M.: Hansisches Druck- und Verlagshaus 2009. 136 S. gr.8° = Edition Chrismon. Kart. EUR 15,40. ISBN 978-3-938704-98-1.

Rezensent:

Christian Albrecht

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Wagner-Rau, Ulrike: Auf der Schwelle. Das Pfarramt im Prozess kirchlichen Wandels. Stuttgart: Kohlhammer 2009. 144 S. 23,2 x 15,4 cm. Kart. EUR 18,00. ISBN 978-3-17-019703-9.


Die Kirchenreformdebatten der vergangenen Jahre haben sich der Notwendigkeit gestellt, unter den Bedingungen knapper werdender Ressourcen, religiöser Pluralität und gesellschaftlicher Differenzierung Perspektiven für die Zukunft der Kirchen zu formulieren. Die Reformvorschläge betrafen insbesondere kirchliche und gemeindliche Organisationsstrukturen. Zahlreiche praktisch-theologische Beiträge zu diesen Debatten wiesen darauf hin, dass damit auch das Verständnis von den Aufgaben und Schwerpunkten des Pfarrberufs sich wandeln werde (so z. B. Beckmann 2007, Karle 2009, Karle 2010, Haese/Pohl-Patalong 2010, Fechtner 2010). Es wird vermutet, dass Pfarrer langfristig ihre predigenden, liturgischen, seelsorgerlichen und unterrichtenden Tätigkeiten nicht mehr wie bisher allein und flächendeckend werden ausüben können, sondern dass ihre Aufgabe mehr und mehr in der Disposition, Leitung und Koordination von ehren- und nebenamtlich aktiven Gemeindegliedern liegen wird, die diese Tätigkeiten teilweise übernehmen.
Es ist konsequent, dass diese Hinweise aus den Kirchenreformdebatten in eigenständige Überlegungen überführt und in den Kontext pastoraltheologischer Überlegungen gestellt wurden. Zwei nahezu zeitgleich erschienene, annähernd gleich schmale und vergleichbar gehaltvolle Bände widmen sich diesem Ziel.
Ulrike Wagner-Rau legt den Schwerpunkt auf Beschreibungen der vielfältigen Wandlungsprozesse des Pfarramtes. Sie geht davon aus, dass die traditionellen Kernaufgaben des Pfarrers in Gottesdienst, Seelsorge und Unterricht sich kaum wandeln werden, umso mehr dafür die Strukturen, Ziele, Adressaten, Kommunikationsformen und Kontexte dieser traditionellen Aufgaben. Darum liegt ein Schwerpunkt ihrer Überlegungen darin, zentrale Konfliktlagen der kirchlichen und religiösen Situation der Gegenwart mit dem Fokus auf die Zukunft des Pfarrberufs zu beschreiben. Wesentlich scheinen ihr hier die ökonomischen Verhältnisse der Spätmoderne, das Spannungsverhältnis zwischen dem wachsenden Interesse an Religion und dem abnehmenden Interesse an der Kirchlichkeit, die Spannung zwischen kirchlicher Präsenz in der Fläche und überregionaler Konzentration, die Bedeutung sozialwissenschaftlicher Analysen für die Kirchenleitung und die heterogenen Erwartungen an die Kirchenleitung. Diskutiert wird auch die Frage, ob an die Stelle der Erwartung kirchlichen Wachstums nicht vielmehr die Erwartung kirchlicher Offenheit und Dialogfähigkeit treten müss­te. Das Programm zur Bewältigung dieser Aufgaben und der in ihnen enthaltenen Spannungen sieht Wagner-Rau in der Fähigkeit des Pfarrers zu vielfältigen Vermittlungsleistungen: zur Vermittlung zwischen Innen- und Außenperspektive des Glaubens, zwischen dem Symbolbestand des Christentums und der gegenwärtigen Lebenswelt, zwischen Näher- und Fernerstehenden, zwischen Aktivität und Passivität in Leitungsfunktionen, zwischen Selbständigkeit und Vernetztheit, zwischen geistlichem Geben und Nehmen. Dieses Vermittlungsprogramm wird freilich nicht unter ebendiesem Begriff ausgeführt, sondern unter breiter Inanspruchnahme des titelgebenden Bildes von der Schwelle und ihrer Umgebungsmetaphorik: Pfarrer gehen durch Türen, die sich schließen und öffnen, sie schauen vorwärts und zurück, sie lassen Dinge hinter sich, ohne zu wissen, was sie erwartet usw.
Christian Grethlein ist hingegen stärker befasst mit der Frage nach den berufsvorbereitenden und berufsermöglichenden Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit Pfarrer die neuen Anforderungen bewältigen. Sein professionstheoretisch bestimmter Blick auf den Pfarrer konzentriert sich darum stark auf die Frage nach der angemessenen Gestalt der Theologie als einer notwendigen Vorbereitung und Begleitung des Pfarrberufs. Er entwirft ein Programm der »Rückgewinnung der Theologie als Berufswissenschaft für die Pfarrer« (132). Dazu unterscheidet er zunächst die verschiedenen Funktionslogiken der Theologie in der Kirche und an der Universität, unterstreicht die Funktion der Theologischen Fakultäten als Ausbildungsstätten für Pfarrer und skizziert an­schließend das Verständnis einer Theologie, die ihre grundlegende Orientierungsfunktion für den Pfarrer auch unter den Bedingungen der Wandlungen des Pfarrberufs behält, weil sie sich an den veränderten Bedingungen der Glaubensvermittlung orientiert.
Insofern ergänzen sich die beiden Bände komplementär. Während Wagner-Rau die zukünftigen Herausforderungen des Pfarrberufs skizziert, fragt Grethlein nach den notwendigen Wandlungen der institutionellen Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit jene Herausforderungen gemeistert werden können. Beiden Autoren gemeinsam ist dabei vor allem, dass sie die Identität des Pfarrers weniger aus einem Verständnis des kirchlichen Amtes oder einem Ideal authentischen Personseins, sondern aus dem Paradigma des theologischen Berufes ableiten.