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Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

91–93

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Põder, Johann-Christian

Titel/Untertitel:

Evidenz des Ethischen. Die Fundamentalethik Knud E. Løgstrups.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XIII, 362 S. 23,2 x 15,5 cm = Religion in Philosophie and Theology, 62. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-150946-9.

Rezensent:

Rebekka Klein

Johann-Christian Põder wurde 2010 mit dieser Arbeit an der Theologischen Fakultät in Göttingen promoviert. Seine Untersuchung behandelt die Ethik des dänischen Philosophen und Theologen Knud Ejler Løgstrup. Dieser hat die Normativität ethischer Forderungen ausgehend von einer Ontologie begründet, die das Ethische »zur apriorischen Struktur der Seinsverfassung des Daseins« (13) erklärt. Der ontologische Begriff des Ethischen markiert damit eine Abgrenzung zu Konzeptionen, welche Ethik allein als eine Frage der Reflexion auf das richtige Handeln oder als Entscheidung zum Guten begreifen wollen.
Das Ziel der Untersuchung, den »fundamentalethischen Standpunkt Løgstrups in […] verschiedenen Bezügen und Charakteris­tika zu explizieren« (327), setzt P. variantenreich und umfassend um. Seine Sprache ist dabei verständlich und ansprechend; zudem bündelt er Gedankengänge durch kurze Zusammenfassungen. Inhaltlich geht er systematisch-genetisch vor und arbeitet durch begriffliche Systematisierungen und vergleichende Abgrenzungen das Profil einer ontologischen Ethik heraus. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt der werkgeschichtlichen Verortung der Gedanken. Das Buch gliedert sich in drei Teile: Nach einer ausführlichen Analyse des Gesamtwerks wird das (problematische) Verhältnis von Ontologie und Begründung der Ethik näher beleuchtet; abschließend erfolgt eine schöpfungstheologische Profilierung von Løgstrups Ontologie.
Der erste Teil des Buches setzt mit der These ein, dass Løgstrups Werk insgesamt eine innere Einheit bildet, die vom Schöpfungsgedanken sowie von der Kritik an der Transzendentalphilosophie getragen sei. Diese These wird später durch das Eingeständnis zahlreicher Verschiebungen in Løgstrups Denken relativiert. Chronologisch rekonstruiert P. ausgehend von der Habilitationsschrift (1942) und der Auseinandersetzung mit Kierkegaard (1968) über das Hauptwerk Die ethische Forderung (1956) bis zur Spätschrift Metaphysik (1976–84) vier Phasen von Løgstrups Denken: (i) den ethischen Personalismus, (ii) die existential-hermeneutische Fundierung ethischer Unbedingtheit, (iii) die Ontologie der Spontaneität und (iv) die xenologische Naturethik. P. zeigt auf, wie Løgstrup seine sündentheologischen Vorbehalte gegen eine allgemeine Er­kenntnis des Ethischen allmählich aufgibt. Dies spiegelt sich in der Kritik am transzendentalphilosophischen Subjektbegriff und an der negativen Bewertung des Endlichen bei Kierkegaard wider. Ausschlaggebend ist allerdings die Entwicklung seines eigenen Konzepts der souveränen Daseinsäußerungen. Løgstrup findet damit zu einem schöpfungstheologisch begründeten Intuitionis­mus, indem die ethische Forderung nicht in Prinzipien, Normen oder Maximen, sondern in einem unmittelbaren Vollzug (Spontaneität) fundiert wird.
Im zweiten Teil verlässt P. die Perspektive einer immanenten Rekonstruktion und deutet Løgstrups Ethik in Abgrenzung zu bedeutenden Entwürfen (Berkeley, Kant, Heidegger, Hume, Scheler, Apel u.a.) und im Horizont klassischer Fragestellungen der modernen Ethik (Sein-Sollens-Fehlschluss, Münchhausentrilemma). Mit der Kritik am Kantischen Formalismus und der Korrektur an Heideggers Verhaftung im monologischen Subjekt-Objekt-Denken vollzieht Løgstrup eine »Wende zum Inhaltlichen«. Er gelangt zu einem dialogischen Personalismus, der die »Erkennbarkeit des Anderen in eigener Würde« (96) in der sprachlichen Bedeutsamkeit der interpersonalen Begegnung verortet. Doch ist diese Vorgehensweise nicht durch einen Sein-Sollens-Fehlschluss ge­kennzeichnet? Obwohl Løgstrup dieses Problem selbst nicht erörtert, markiert P. plausibel gedankliche Parallelen zu Searle, MacIntyre und Rentsch. Løgstrup habe die spontanen Daseinsäußerungen als ›ethisch deskriptive Phänomene‹ bezeichnet und damit eine Gleichursprünglichkeit von Faktizität und Normativität angedacht. Höhepunkt der Darstellung ist P.s Vergleich mit Schelers und Apels Arbeiten. Wie in Schelers Einsichtsethik sind die spontanen Daseinsäußerungen sowohl Erkenntnis- als auch Motivationsinstanz. Damit überwindet Løgstrup die ethische Neutralität der Daseinsanalytik Heideggers und behauptet dennoch ein ontologisches Apriori der Spontaneität. Zudem wird die Transzenden­talpragmatik Apels herangezogen. Løgstrup geht wie Apel von der Existenz paradigmatischer Evidenzen aus, die innerhalb des exis­tentialen Sprachspiels nicht ohne einen Selbstwiderspruch hinterfragt werden können. Damit begründet er die Ethik in Form eines existenzreflexiven Verbindlichkeitsnachweises.
Im letzten Teil wird Løgstrups schöpfungstheologische Wende zur Fundamentalontologie und seine Kritik an der Existenztheologie Kierkegaards rekonstruiert. Aufgrund des übergroßen Anmerkungsteils und des Verzichts auf Zusammenfassungen büßt der Text hier leider an Lesbarkeit ein. Einerseits beschreibt P. Løgstrups Theologie im Gegensatz zu Barth als nicht-christologisch und nicht-trinitarisch, andererseits macht er Løgstrups Annahme einer irreduziblen Verschiedenheit des Handelns Gottes im Sinne der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre stark. Anders als Ebeling rechnet Løgstrup jedoch auch coram mundo mit der transzendentalen Unbedingtheit des göttlichen Handelns. Dies rückt ihn in die Nähe zu den Schöpfungsordnungstheologien. Løgstrup sichert die Universalität des Ethischen jedoch gegen eine falsch verstandene Vergöttlichung der menschlichen Ordnungswirklichkeit ab, indem er sie dialektisch durch eine Verantwortungsrelation des Menschen vermittelt.
Die Stärke von P.s Untersuchung liegt in ihrer systematisch ge­schlossenen Entfaltung und detailgenauen Profilierung des Ansatzes von Løgstrup, die ihn in Bezug auf viele aktuelle Debatten der neueren Moralphilosophie anschlussfähig hält. Der Akzent liegt auf der Begründungsleistung von Løgstrups transzendental-ontologischem Universalismus und der These, dass er »der Scheler des Protestantismus« (247) sei. Auffällig ist, dass P. sein eigenes Argumentieren ganz in den Dienst Løgstrups stellt. Beispielsweise korrigiert er dessen Vorurteile gegen Kierkegaard und Heidegger nicht, sondern verweist lediglich in Fußnoten auf Gegenstimmen. Durch den Verzicht auf eine offene Auseinandersetzung mit diesen Autoren vergibt P. jedoch die Möglichkeit, den Løgstrupschen An­satz durch eine erneuerte Kierkegaard- und Heideggerlektüre, die nicht mehr das Dogma von der ethisch-politischen Unbrauchbarkeit oder gar Neutralität ihrer Denkfiguren reproduziert, zu korrigieren.
Neben der Rechtfertigung Løgstrups kommt auch die Diskussion der grundsätzlichen Richtungsentscheidungen der Arbeit etwas zu kurz. P. präsentiert Løgstrups Ethik als »eine phänomenologisch sensible Einladung, die nicht-reduzierbare Fremdheit und Evidenz der ethischen Erfahrung ernstzunehmen« (332). Inwiefern ist diese Einladung aber nicht nur plausibel durchgeführt, sondern auch extern überzeugend? P. zeigt lediglich auf, wie eine ontologische Begründung der Ethik nach Løgstrup sinnvoll möglich ist. Doch wozu brauchen wir diese überhaupt? Ist sie tatsächlich für jede Ethik »unumgänglich« (Stemmer 2008, 11) oder angesichts der Dominanz materialethischer Fragen in der Gegenwart eher verzichtbar? Hier hätte P. nicht nur den Autor, sondern vor allem dessen Thema weitaus stärker würdigen sollen.