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Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

78–80

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Müller, Klaus

Titel/Untertitel:

In der Endlosschleife von Vernunft und Glaube. Einmal mehr Athen versus Jerusalem (via Jena und Oxford).

Verlag:

Berlin/Münster: LIT 2012. XI, 264 S. 21,0 x 14,6 cm = Pontes, 50. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-643-11449-5.

Rezensent:

Klaus von Stosch

Der Münsteraner Theologe und Philosoph Klaus Müller wendet sich in diesem gewohnt pointiert-polemischen Debattenbeitrag gegen die Entgegensetzung von Jerusalem und Athen, wie sie Theo­logen wie J. B. Metz behaupten, indem er mit Habermas darauf aufmerksam macht, dass auch die europäische Philosophie – benannt mit der Chiffre Athen – von jüdisch-christlichen Traditionssträngen (Jerusalem) geprägt ist (2 f.). Selbst postmoderne Traditionsstränge sieht der Vf. noch einmal mit einer jüdischen (Derrida, Lyotard und Levinas) oder katholischen Konturierung auftreten, wobei er als Beleg für diesen katholischen Beitrag allerdings nur auf Gianni Vattimo verweist (4). Die Chiffre »Jena« steht im Titel mit Blick auf dort lehrende Protagonisten wie Fichte und Schelling für die in den Augen M.s alle danach folgenden Zeiten überragende Phase des Frühidealismus im letzten Jahrzehnt des 18. Jh.s (5 f.). Von den Einsichten dieser »Sattelzeit« (R. Kosselleck) ausgehend entwickelt M. seine eigene Versöhnung von Vernunft und Glaube, die sich wieder einmal eng an die Subjektphilosophie Dieter Henrichs anlehnt (149–172) und damit auch die Entwicklungen der analytischen Philosophie in Teilen einbezieht (Oxford).
Deutlicher als bisher tritt in M.s Ausführungen hervor, wie stark er sich in seinem eigenen Ansatz inzwischen auf einen von Spinoza inspirierten Monismus zubewegt und »aus der Intuition einer Einheit alles Wirklichen« schreibt (54). Er bemüht sich deshalb um eine Spurensuche in Spinozarezeptionen in der katho­-lischen Theologiegeschichte (71–88) und kommt zu der steilen These einer »systematischen Konvergenz bestimmter Züge an Spinoza mit der katholischen Denkform« (74). Zudem meint er gerade in der katholischen Tradition einen monistischen Tiefenstrom ausmachen zu können (81), den er an Denkern wie Friedrich Rohmer, Friedrich Schlegel, Franz von Baader und Xavier Tilliette festmacht (73). M. geht dabei davon aus, dass gerade die christlich-katholische Denkform mit ihrer Tendenz des »et – et« (188) geradezu dazu prädestiniert ist, Monotheismus und All-Einheitsdenken zusammenzubringen (164).
Sein zentraler Gedanke in diesem Zusammenhang lautet folgendermaßen: Da ein Endliches neben oder außer dem Unendlichen das Unendliche begrenzen würde, »kann das, was es an Endlichem gibt, zwangsläufig nur inneres Moment des einen Unendlichen sein« (78). Oder vom Unendlichen her gedacht: »Wenn also Absolutes und noch etwas sein soll, dann kann dieses andere (a) nur Äußerung des einen Absoluten sein, also aus diesem selbst hervorgehen, und muss es (b) […] Bild des Absoluten sein […], das radikal nichts für sich ist, sondern darin aufgeht, für das andere seiner selbst – eben das Absolute – da zu sein.« (43) Dabei werden das Unendliche und die Welt nicht pantheistisch identifiziert, sondern die Welt wird panentheistisch in Gott gedacht (100).
Tatsächlich kann man eine solche panentheistische Rede durchaus auch trinitätstheologisch interpretieren und mit vielen gegenwärtigen theologischen Entwürfen in Einklang bringen. M. verbindet sie allerdings mit einer Attacke gegen den Schöpfungsgedanken als Grundirrtum aller Gotteslehre (104 unter Berufung auf Fichte), so dass er sich in seinem Monismus doch recht weit von den herkömmlichen Interpretationen des Christentums löst. Seine Ablehnung des traditionellen Schöpfungsgedankens korrespondiert mit einer offenkundigen Wertschätzung des Satzes vom zureichenden Grund, die etwa deutlich wird, wenn er behauptet, dass sich das selbstbewusste Subjekt »dadurch, dass es sich weder selbst ins Dasein gebracht hat noch in diesem von selbst einfach fortbesteht, auf einen es freisetzenden und tragenden Grund verwiesen« erfährt (229). Auch wenn M. ausdrücklich klarmacht, dass er nicht etwa das kosmologische Argument wiederbeleben möchte, fragt man sich schon, ob sich solche Argumente nach dem Aufweis der Antinomien zum Kausalitätsgedanken in der Kritik der reinen Vernunft aufrechterhalten lassen und wieso die mit dem All-Ein heitsdenken gegebene These von der Ewigkeit der Welt wirklich konsistenter als der Schöpfungsgedanke sein soll – zumindest dann, wenn man das Ziel einer rationalen Erhellung des christlichen Glaubens verfolgt. Auch die Grenzen zwischen Pantheismus und Panentheismus werden so in M.s Konzeption fließend, so dass es fragwürdig ist, wie gut sie mit einer christlichen Weltdeutung zu­sammenpassen.
Dennoch könnten auch solch ungewöhnliche Interpretationswege sicher als interessanter Neuaufbruch gewürdigt werden, wenn M. sie nicht mit einem geradezu verwegenen Absolutheitsanspruch verbinden würde: »Moderne Theologie ist in gewissem Sinne idealistisch – oder sie ist nicht Theologie.« (113) Ein solcher Anspruch stört umso mehr, als weder der eigene Gedanke konsequent entfaltet noch eine gründliche Auseinandersetzung mit alternativen Denkansätzen etwa auf der Denklinie von Kant zu Wittgenstein gesucht wird.
Trotz derartiger Einseitigkeiten bietet M.s Buch viele anregende Überlegungen, beispielsweise seine Auseinandersetzung mit dem Papst. Nicht zum ersten Mal kritisiert M. dessen pessimis­tische Lesart der Moderne (30) und sieht in ihr sogar »die verborgene Ursache von Benedikts Aufgeschlossenheit für die Stimmen am rechten Rand der Kirche« (35). Auf der anderen Seite teilt er mit dem Papst das Anliegen der Zusammengehörigkeit von Gott und der Vernunft (25) und die Ansicht, dass »im Christentum Aufklärung Religion geworden sei« (69; vgl. 32). Die Art der Begründung dieses Anliegens bei Benedikt rückt nah an M.s eigene idealistisch geprägte Überlegungen heran, so dass er zu der interessanten, aber wohl doch etwas unterkomplexen These kommt, dass der Papst ein viel positiveres Bild der Moderne und ein entsprechend kritischeres Bild der Piusbrüder hätte, wenn er nur die Idealisten genauer gelesen und besser verstanden hätte. Denn in den Augen von M. ist der Idealismus »vom Gehalt her gesehen christlicher imprägniert als die Scholastik« (98). Als Beleg verweist M. auf den »christologischen Glutkern in der neuzeitlichen Philosophie und damit ein Nachdenken über das zentral Christliche als Subtext der Moderne« (99). Bei aller Wertschätzung der Moderne stößt es dem Rezensenten doch auf, wie sehr hier eine monistische und damit lediglich in einem Nebenstrom modernen Denkens entwickelte Interpretation als Lösungsperspektive aller Probleme aufgemacht und auch noch konfessionell vereinnahmt wird.
Dennoch stellt das Buch eine lesenswerte Aufsatzsammlung dar, die eine streitbare und im Kern auch diskussionswürdige These entfaltet. Die Aufsätze sind gut miteinander verzahnt und um einige noch unveröffentlichte Beiträge ergänzt, so dass Wiederholungen und Redundanzen relativ selten sind und man das Buch gut am Stück lesen kann. Nur gelegentlich ärgert man sich, dass die Aufsätze nicht auf den neuesten Stand gebracht worden sind (z. B. 181 Mitte; 230, Anm. 30). Einige interessante Spurensuchen zu verschütteten katholischen Wegen in die moderne Theologie – etwa bei Georg Hermes (115–148) – laden zu Neuentdeckungen ein, auch wenn die katholische Profilierung des eigenen Denkansatzes theologiegeschichtlich und systematisch mehr als fragwürdig bleibt.