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Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

51–53

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Knaeble, Susanne, Wagner, Silvan, u. Viola Wittmann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gott und Tod. Tod und Sterben in der höfischen Kultur des Mittelalters.

Verlag:

Berlin/Münster: LIT 2011. 346 S. m. Abb. 21,0 x 14,7 cm = Bayreuther Forum Transit, 10. Kart. EUR 49,90. ISBN 978-3-643-10868-5.

Rezensent:

Julia Weitbrecht

Der Tod, so eröffnen die Herausgeberinnen Susanne Knaeble, Silvan Wagner und Viola Wittmann den zu besprechenden Sammelband, ist zwar anthropologisch konstant, seine Bewältigung, seine Verhandlung und seine Repräsentationen aber sind sozial und kulturell variabel. Um dem gerecht zu werden, sei es deshalb sinnvoll, nach den jeweiligen kulturellen und medialen Verfahren zu fragen, über die nicht der Tod, wohl aber der Umgang mit ihm historisch beobachtbar wird. So rückt insbesondere das Sterben – als Prozessierung und als Übergangsphänomen – in den Blick, über das der Tod überhaupt erst narrativ erfass- und beschreibbar wird. Die Herausgeberinnen setzen sich damit zum Ziel, zum einen gegen­-über der These Philippe Ariès’ vom im Kollektiv aufgehobenen, »gezähmten« Tod im Mittelalter zu einer differenzierteren Be­schreibung der Vielfalt an Umgangsweisen zu kommen, zum anderen die produktive Verhandlung religiöser Problemstellungen in der höfischen Kultur des Mittelalters zu analysieren.
Der Band enthält die Beiträge zu einer im Jahr 2009 an der Universität Bayreuth abgehaltenen Tagung. Zu den teilnehmenden Disziplinen zählen Theologie, Religionswissenschaft, Geschichte und Kunstgeschichte, am prominentesten aber ist die germanistische Mediävistik vertreten. In ihrer Einleitung geben die Herausgeberinnen einen Überblick über die bisherige theologische und kulturgeschichtliche Forschung zu Tod und Sterben im Mittelalter und entwickeln dann das Paradigma einer »höfischen Laientheologie«. Dieses ist einer systemtheoretischen Perspektive auf religiöse Kommunikationsformen verpflichtet und operiert mit der hierfür grundlegenden Differenzierung von Immanenz und Transzendenz sowie mit einer Unterscheidung von theologischen und höfischen Kommunikationsformen, die allerdings weder sozial- noch literarhistorisch begründet wird. Das Ziel ist es, sich von einem reinen »Einflussparadigma« (23) abzugrenzen, welches das Dogma absolut setze und seine Diffusion in andere Lebensbereiche analysiere. Vielmehr soll die Vielfalt religiöser Kommunikationsformen in der mittelalterlichen Kultur als Referenz für den höfischen Diskurs dienen. Diese Vielfalt beschäftigt bekanntlich auch zahlreiche andere aktuelle Forschungsprojekte, die Fragen der Ritualität, Medialität und emotionalen Kodierung religiöser Denk- und Handlungsweisen in den Vordergrund stellen. Die jüngeren Arbeiten insbesondere aus der mediävistischen Germanistik konzentrieren sich dabei mit Gewinn eher auf die medialen Inszenierungen von Religiosität oder religiösem Sprechen als auf eine klare Zuordnung in die geistliche oder weltliche bzw. höfische Sphäre.
Diese Unterscheidung wird im vorliegenden Band dagegen vorausgesetzt und nicht zuletzt an der Auswahl des Materials sichtbar, da die germanistischen Beiträge sich mit der Chronistik, der Heldenepik und höfischen Romanliteratur sowie der Märenliteratur beschäftigen. Es ist methodisch umsichtig, dass die Beiträger und Beiträgerinnen das »religiöse Sprechen des mittelalterlichen Hofes« (27) induktiv an den Texten erarbeiten wollen. Das aber schließt ja die religiöse Sphäre oder eine Teilhabe am Diskurs über Religion weder institutionell noch personell aus (man denke an Konrad von Würzburg). So drängt sich die Frage nach den Überschneidungen, den Mischformen, den Übergangsphänomenen nicht nur in Bezug auf den Prozess des Sterbens, sondern insbesondere auch auf seine medialen Repräsentationen immer wieder auf. Für eine umfassende Behandlung des Themas wären deshalb die sehr aufschlussreichen Beobachtungen zu den Funktionsweisen von Sterben und Tod in der mittelalterlichen Literatur in Beziehung zu solchen Medien zu setzen, die das Verhältnis von Immanenz und Transzendenz nicht zuletzt in der zeitweiligen oder ewig währenden Suspendierung des Todes immer wieder neu verhandeln, wie Visionen und Legenden, aber auch die dramatischen Traditionen.
Produktiv gemacht wird dieses Problem im Beitrag von Ralf Schlechtweg-Jahn, der sich mit Räumen des Dritten beschäftigt, die in den ausführlichen Schlachtenszenen im Rolandslied be­stimmte Freiräume innerhalb der Binarität von Immanenz und Transzendenz darstellen. Solche Zonen der »Verflüssigung« dichotomer Ordnungen sind mittlerweile vielleicht auch schon differenzierter ausgearbeitet worden als bei dem hier angeführten Homi K. Bhabha. Ein solches »Arbeiten an den Paradoxien, Widersprüchen und Inkompatibilitäten« (199) aber verspricht Ergebnisse, die insbesondere die Liminalisierungen und Kippfiguren im Verhältnis von Immanenz und Transzendenz herauszuarbeiten vermögen.
Den Herausgeberinnen scheint indes »das« Höfische letztlich näher als »das« Religiöse zu stehen, und im Bemühen, die Eigengesetzlichkeit der höfischen literarischen Entwürfe herauszuarbeiten, wird die Pluralität der religiösen Formen mitunter reduziert. Das wird auch daran sichtbar, dass sich die theologischen und religionswissenschaftlichen Beiträge, die vielleicht nicht die direkte Referenz, aber wohl doch die Folie bilden, vor denen sich eine solche Eigengesetzlichkeit festmachen ließe, als Block am Ende des Bandes stehen. Sie bringen aber ebenjene innertheologische Pluralität zur Darstellung, die ihnen in der Einleitung zwar diskursiv zugesprochen, in den dezidiert »laientheologischen« Beiträgen und in der Anlage des Bandes aber strukturell nicht immer zuerkannt wird.
Es ist wohl auch aus der konsequent höfischen Perspektive auf Phänomene des Religiösen heraus erklärlich, dass hin und wieder Befunde in Bezug auf die »laientheologische« Eigenleistung stark zugespitzt werden. Was eingangs als Forschungsproblem thematisiert wird (ein Einflussparadigma, das »der mittelalterlichen Kirchentheologie einerseits Einheitlichkeit und andererseits einen starken, hierarchischen Einfluss auch etwa auf die laikale Literatur des Mittelalters unterstellt«, 23), wird somit unter umgekehrten Vorzeichen reproduziert, wenn die »laikalen Texte« als »religiöse Zeugnisse« behandelt werden, insofern sie einen »spezifischen religiösen Diskurs«, sogar eine systematische Theologie ausbilden (24). Die Beispiele von Minnetod im Märe ( Silvan Wagner) und euhemeristischem Umgang mit den paganen Göttern im Eneasroman (Sonja Feldmann) zeigen meines Erachtens eher, dass die höfische Literatur Anteil an den religiösen Wissensbeständen der Zeit hat und diese auf unterschiedliche Weise medial oder erzählerisch produktiv macht. Sie können dabei transformiert und, im Unterschied etwa zur mystischen oder visionären Rede, die dieses Problem diskursiv zu überspielen versucht, immer auch profaniert werden. Wie vielschichtig diese Prozesse auf sprachlicher und medialer Ebene sind und dass sie sich in Bezug auf den Tod etwa in wirkmächtigen Trauergesten übermitteln, zeigt Susanne Knaeble an der Stilisierung Sigunes als Pietà im Parsival und noch vor der Ausbildung einer entsprechenden Bildtradition (98).
In verdienstvollen Einzelstudien stellen die Beiträger den vielleicht am stärksten umkämpften Bereich der mittelalterlichen Kultur in den Mittelpunkt. Der Band löst somit den Anspruch ein, gegen die Projektion eines homogenen und durchgehend gültigen Verständnisses von »Gott und Tod« im Mittelalter anzuschreiben, hätte aber im methodischen Ansatz von einer Öffnung der Fragestellung auf nicht oder nicht ausschließlich Höfisches profitiert.