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Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

49–51

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Frank, Thomas, u. Norbert Winkler [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Renovatio et unitas– Nikolaus von Kues als Reformer. Theorie und Praxis der reformatio im 15. Jahrhundert.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2012. 253 S. 24,0 x 15,8 cm = Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung, 13. Geb. EUR 39,90. ISBN 978-3-89971-962-8.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Je fünf Philosophen und Historiker legen ihre Referate vor, die sie im Rahmen eines Workshops 2011 vorgetragen haben (ein Beitrag kam später hinzu). Das Gespräch zwischen ihnen sollte Anknüpfungspunkte dafür geben, Differenzen zwischen den Disziplinen zu klären. Unverständlich bleibt, warum Theologen nicht einbezogen wurden, ist doch das Thema bei Nikolaus von Kues gerade auch theologisch besetzt.
Dass Nikolaus wohl der interessanteste unter den Reformern ist, die sich Anfang des 15. Jh.s der Verbesserung der Zustände in Kirche und Welt verschrieben haben, ist unbestritten. Zuerst hat er die Themen reformatio und unitas stärker pragmatisch behandelt, später sie philosophisch (und theologisch) reflektiert. Wie die anderen Reformvorschläge auch sind die des Nikolaus »janusköpfig«, dem Alten und dem Neuen zugewandt. Zunehmend schreckt er aber vor radikalen Reformen zurück, er entscheidet sich für Reformen »auf der Ebene rechtsförmigen institutionellen Wandels« (16).
Hans-Gerhard Senger widmet sich der Auseinandersetzung mit den Böhmen, die Nikolaus über drei Jahrzehnte hinweg geführt hat. Ihm ist vor allem wichtig, die Einheit zu erhalten, sie sei »essentiell für die Kirche«. So sehr er sich auch bemüht, die Argumente der Böhmen zu verstehen, ist er überzeugt, dass ihre Forderung nach der communio sub utraque die Kirche zerreiße; die wahre Kirche sei dort, wo sie mit dem Papst und der weltweiten Kirche vereint sei (23 f.). Es sei verdammenswert, wenn sie einen als gut anzuerkennenden Ritus zur Spaltung missbrauchten. Dann würde die renovatio zum Rückschritt. Später betonte er vor allem die Pflicht zum Gehorsam.
Isabelle Mandrella untersucht sein Verhältnis zwischen Re­formhandeln und spekulativem Denken. Der Mensch sei zu schöpferischem Handeln fähig (deus creatus). Cusanus blieb bis zum Schluss vom Neuen fasziniert und hat nie aufgehört, »seine Philosophie als stetige Erneuerung zu verstehen«; er macht in erkenntniskritischer Absicht deutlich, »dass das Denken offen sein muss für ein Neues, […] auf ein ›besseres Begreifen‹« (44 f.). Seine Reformbemühung stand »immer im Dienst der Konsolidierung kirchlicher Machtansprüche« (51). Von daher sollte man vorsichtig sein, wenn man seine sog. Toleranz rühmt. (Warum wurden nicht die Brixener Briefe nach der Ausgabe von Baum/Senoner zitiert?)
Norbert Winkler bedenkt die »Reform der Reform«, die »renovatio der eckartschen Denkungsart unter christologischem Vorbehalt«. Er stellt fest, dass Nikolaus »Eckarts theologisch-metaphysischen Reformansatz […] von dem bei Eckart Intendierten wieder ein ganzes Stück« weggebracht hat, wohl weil sein stark juristisch geprägtes Kirchenverständnis sich nicht mit dem Eckarts deckte (53.56). Nikolaus meint, »geistig Erfassbares ist der Vernunft infolge seiner intelligiblen Ähnlichkeit gegenwärtig. Die Vernunft ist wiederum im geistig Erfassbaren, da sie im Erkennen das Erkannte zu einem solchen macht« (71). Nach Winkler misstraut Cusanus den Möglichkeiten des Menschen, wie Eckart sie gesehen hatte, allein Christus sei der »in die vollen­dete(n) Weisheit vergeistigte homo divinus« (79).
Thomas Leinkauf untersucht – nicht leicht lesbar – »Reformation« als Möglichkeitsbegriff im Zusammenhang von Potential und Ausdruck, von unendlichem Vermögen und endlicher Realisierung. Er geht dabei dem Ternar Können-Kraft-Ausdruck nach. Nikolaus hat ja »Können« zu einem Gottesnamen gemacht. In ihm seien Sein und Können nicht verschieden. Der Mensch hat daran Anteil in einem »posse esse humanum«. Die virtus vermittelt das Können in die Tätigkeit (96 f.).
Thomas M. Izbicki behandelt die Visitation von St. Simeon in Trier und den Topos, den seine Legation in den Predigten einnimmt (105–116). Nikolaus predigt so, dass Christus »was sent as legate with ›fill power‹« (116).
Thomas Woelki geht den Seelsorgeprivilegien der Mendikantenorden nach. Nikolaus fordert, »nur geeignete und sittlich bewährte Priester seien zur Seelsorge zuzulassen«, ihr Lebenswandel sei von den Bischöfen zu überwachen (123). Beichten dürften die Mönche abnehmen, aber nicht die Kommunion austeilen.
Jürgen Dendorfer wendet sich der Reformatio generalis von 1458 zu. In ihr hat sich Nikolaus an der Debatte um eine Reform in capite et curia Romana beteiligt. Dendorfer vergleicht sie mit anderen Reformbemühungen. So sagte Domenico de’ Dominichi: »Der Zustand der ganzen Familie des Herrn wird zugrunde gerichtet, wenn das, was für den Körper gefordert wird, sich nicht im Haupt findet.« (153) Nikolaus erinnert Einzelne an ihre beim Gelübde eingegangenen Verpflichtungen.
Thomas Frank befasst sich mit der Reform der Hospitäler von Orvieto, die Nikolaus 1463 in die Wege leitete.
Gisela Naegle vergleicht die Reichsreformbemühungen des Nikolaus mit denen seiner Zeitgenossen, die im Umfeld des Basler Konzils entstanden waren (Pentalogus, Reformatio Sigismundi). Nikolaus fordert Konsens und Eintracht, dazu die »freiwillige Unterwerfung der Untertanen und Akzeptanz der kaiserlichen Herrschaft.« Seine Vorschläge haben einen stärker ausgeprägten religiösen Bezug als die anderer (185.191).
Abschließend beschäftigt sich Florian Hamann damit, »wie man Muslime vom Christentum überzeugt«. Er untersucht, ob Georg von Trapezunt Einfluss auf die cusanische Schrift De pace fidei gehabt habe. Mit Recht weist er darauf hin, dass für Nikolaus »eine grundlegende Religion, die sich hinter den unterschiedlichen Riten verbirgt, verblüffende Ähnlichkeit mit dem Christentum aufweist«; er erwartet die »Aufgabe der abweichenden Dogmen seitens der anderen Religionen«, »von Ökumene und Toleranz also kann keine Rede sein, soweit Ökumene nicht als Unterwerfung unter den katholischen Einheitsglauben gewertet wird«. Er sei auch »kein entschiedener Freund des friedvollen Dialogs mit dem Islam« gewesen (207.209.213). Georg habe seine Schrift kurz vor der des Nikolaus verfasst und Mehmed II. die Rolle zugewiesen, »die Religionen zu vereinen«. Ihre Unterschiede seien »klein und leicht zu überwinden«. Beide haben versucht, »Muslime mittels des Korans vom christlichen Glauben zu überzeugen« (219.221). Ob allerdings der Aristoteliker Georg Einfluss auf den platonisierenden Nikolaus gehabt hat, bleibt unklar.
Der Band enthält interessante Studien zum Thema. Bedauerlicherweise bleibt die Theologie – vor allem im Blick auf die Reformatio generalis – unterbelichtet, auch wenn Nikolaus’ Bemerkungen zur Rechtfertigung, so beachtlich sie sind, sich im Grunde nur auf einen Satz beschränken (»[…] nemo iustificatur nisi quem ipse in merito mortis suae iustificaverit«, n. 2). Aber die Schrift enthält noch mehr theologisch Beachtenswertes!
Störend sind einige Ausdrücke wie »logifizieren«, »kardinalizisch« oder auch »unieren«. Manche Textpassagen sind leider ausgesprochen schwer verständlich.