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Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

43–45

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Hrsg., übers. u. kommentiert v. H. G. Thümmel.

Titel/Untertitel:

Origenes’ Johanneskommentar Buch I–V.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XV, 276 S. 23,2 x 15,5 cm = Studien und Texte zu Antike und Chris­tentum, 63. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-150584-3.

Rezensent:

Cordula Bandt

In diesem Band erschließt Hans Georg Thümmel die erhaltenen Texte und Fragmente der ersten fünf Bücher des Johanneskommentars von Origenes. Nach einer kurzen Einführung zum Werk selbst und zur Theologie des Origenes präsentiert er zunächst parallel griechischen Lesetext (im Wesentlichen der Text der Edition Preuschen, Leipzig 1903) und deutsche Übersetzung, im Anschluss daran erklärt und kommentiert er den Text.
Der Johanneskommentar ist schon allein als frühester erhaltener Kommentar zu einem Buch des Neuen Testaments überaus wertvoll. Darüber hinaus formuliert Origenes hier sehr klar theologische Positionen zu Schöpfung und Erlösung, zur Natur Gottes und Möglichkeit der Gotteserkenntnis. Im Übrigen betont er sogar selbst die besondere Stellung des Werkes unter den eigenen Schriften, die sich aus dem Gegenstand seiner Untersuchung ergibt, wie er durch einen gewagten Vergleich mit den im Mosaischen Gesetz vorgeschriebenen Opfern von »Erstgeburt« ( πρωτογενές) und »Erstlingsfrucht« (ἀπαρχή) erläutert: Wenn den fünf Büchern Mose gewissermaßen als Gott geweihter Erstgeburt ein Sonderstatus unter den biblischen Büchern zukomme, so stünden die Evangelien an deren Ende und bildeten daher die Erstlingsfrucht, d. h. das Beste der Ernte. Unter den Evangelien wiederum seien die des Matthäus, Markus und Lukas gewissermaßen der Anfang. Die Krönung jedoch, die ἀπαρχή, sei das Johannesevangelium (28/29–32/33). Dementsprechend sieht Origenes seine Auslegung desselben, die er auf Bitten seines Mäzens Ambrosius diktiert, um dessen geistigen Fortschritt zu fördern, als Erstlingsfrucht des eigenen schriftstellerischen Schaffens an (26/27–28/29).
Von den ursprünglich 32 Büchern des Kommentars sind lediglich neun in direkter Tradition erhalten, hinzu treten Exzerpte in Philokalie, Kirchengeschichte des Eusebius und Katenen. Entgegen der bisher weithin anerkannten Meinung geht T. davon aus, dass die 32 Bücher nie als Gesamtwerk konzipiert waren, sondern relativ eigenständig komponiert und auch tradiert wurden (3–7). Aus diesem Grunde beschränkt er seine Untersuchung auf die Bücher I–V, d. h. im Wesentlichen auf Buch I und II, da Buch III vollständig verloren ist und von Buch IV und V nur wenige Auszüge erhalten sind. In diesen fünf Büchern habe Origenes anhand des Prologs des Johannesevangeliums (Joh 1,1–18) besonders deutlich sein »dogmatisches« bzw. »theologisch-kosmologisches System« herausgearbeitet (7). Wenngleich T.s Argumentation gut nachvollziehbar ist, müssen doch Zweifel angemeldet werden, spricht doch schon allein die überlieferte fortlaufende Nummerierung der Bücher in gewissem Maße gegen seine Einzelwerk-These.
Auch der umfangreiche Prolog, mit dem Buch I einsetzt (24/25–50/51), scheint eher als Einleitung zum Gesamtwerk konzipiert und nicht als das zu einem einzelnen Band. Ausführlich erläutert Origenes zunächst den Begriff »Evangelium«, wobei er, wie bereits erwähnt, die Sonderstellung des Johannesevangeliums postuliert, aber auch an die eigene Auslegung den Anspruch stellt, »das sinnliche Evangelium in das geistliche zu verwandeln« (39), also seinen verborgenen, mystischen Sinn zu eröffnen. Danach spricht er Themen an, die er später eingehender behandeln wird.
Die zweite Hälfte von Buch I (50/51–106/107) ist allein dem ersten Halbvers des Johannesevangeliums gewidmet: ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος. Zunächst wird das erste Kernwort des Verses ἀρχή analysiert, sowohl was den allgemeinen Sprachgebrauch, als auch was den der Bibel angeht. Dann wendet sich Origenes dem Begriff λόγος zu und kommt auf die verschiedenen (Selbst-)Bezeichnungen für Christus – Licht, Auferstehung, Weg, Wahrheit, Leben, Tür, Hirte etc. – zu sprechen. Diese Namen des Heilands, so Origenes, würden viel zu selten betrachtet, stattdessen würde man sich auf den Begriff »Logos« be­schränken, obgleich man auch von diesem nicht gänzlich verstanden hätte, was er bedeute. Daher geht er selbst zuerst auf die anderen Namen ein, wobei er immer wieder die für ihn typischen, weit hergeholten und darin überraschenden Auslegungen anbringt, kommt aber schließlich auf den Logos zurück und untersucht, was in der Heiligen Schrift über diesen ausgesagt wird.
Buch II (106/107–184/185) behandelt die nächsten Verse des Jo­hannesevangeliums (Joh 1,1–7). Nun geht es um das Verhältnis zwischen Gottvater, Logos und Schöpfung, um verschiedene Grade der Teilhabe am Logos, dessen Wirken unter den Menschen und um die innertrinitarische Hierarchie. Wie ist es zu verstehen, dass durch den Logos alles geworden ist (vgl. Joh 1,3), und: »wenn es wahr ist, dass ›alles durch ihn wurde‹, ist […] zu untersuchen, ob auch der Heilige Geist durch ihn wurde« (129). Sorgsam Zitate aus den Evangelien und vor allem den Paulusbriefen abwägend, erörtert Origenes seine Ansicht zu Stellung und Funktion des Heiligen Geistes. In einem längeren Exkurs setzt er sich dann mit den Schöpfungsvorstellungen des Herakleon auseinander, eines Vertreters der valentinianischen Gnosis. Der letzte Teil des Buches widmet sich der Person des Johannes und seiner Bedeutung.
Der kurze Auszug aus Buch IV (184/185–186/187) lässt nicht erkennen, auf welchen Vers er sich bezieht. Hier verteidigt Origenes die »schlichte und von den Griechen für unbedeutend gehaltene Redeweise der ›heiligen‹ Schriften« (185), indem er gerade diese sprachliche Schlichtheit zum Beweis der göttlichen Inspiration erhebt. Da in den Schriften nämlich große, wahre Dinge verkündet seien, dürften sie gar nicht rhetorisch elegant formuliert sein, da sonst vielleicht die Schönheit der Sprache und nicht deren Inhalt die Menschen zum Glauben gebracht hätte.
Auch die erhaltenen Auszüge aus Buch V (186/187–196/197) bieten keine Auslegung einzelner Verse des Johannesevangeliums, geben jedoch Einblick in das Selbstverständnis des Autors Origenes, der seinem Auftraggeber Ambrosius eine Rüge erteilt. Während Ambrosius von ihm ausführliche Kommentare fordere, gebiete die Schrift: »hüte dich davor, viele Bücher zu machen« (Eccl. 12,12, 187). Daher möchte Origenes beinahe das Diktieren des Kommentars einstellen, findet dann jedoch einen Ausweg aus dem Dilemma, indem er die getadelte »Vielrederei« ( πολυλογία) nicht auf den Umfang seiner Bücher bezieht, sondern auf deren Aussage. Da es ihm allein um die Erklärung der Wahrheit gehe, insbesondere auch gegen die Irrlehren der Gnostiker, denen Ambrosius selbst zuvor angehangen habe, will sich Origenes »noch kühner dem Diktieren hingeben« (197), womit allerdings das letzte Exzerpt abbricht.
Im anschließenden Kommentarteil (199–265) werden Text und Übersetzung abschnittweise besprochen. In der Regel werden die Aussagen der jeweiligen Passage paraphrasiert, an einigen Stellen geht T. jedoch ausführlicher auf den Inhalt ein, verweist auf Parallelen im Werk des Origenes sowie den Werken anderer Autoren oder bespricht textkritische Entscheidungen bzw. eigene Eingriffe in den Text. Darauf folgen Register der Bibelstellen, antiker Autoren und Personen sowie moderner Autoren (267–276).
Der Band richtet sich an alle am frühen christlichen Denken Interessierten. Dahingehend ist vor allem die große Genauigkeit und Textnähe der Übersetzung T.s hervorzuheben, die sich gänzlich an Satzbau und Struktur der Vorlage ausrichtet und es dem Leser auch bei geringerer Vertrautheit mit Origenes’ Sprachgebrauch ermöglicht, den Text im griechischen Original gut nachzuvollziehen. Wenn auch manches an dieser Übersetzung zunächst gewöhnungsbedürftig erscheint – etwa der unkommentierte Ge­brauch des im Deutschen mit gänzlich anderer Bedeutung belegten (und darin nicht einmal etymologisch dem Griechischen verwandten) Wortes »Arche« für ἀρχή –, so bildet doch der an­schließende Kommentar ein gutes Hilfsmittel zur Erleichterung der Lektüre und zum tieferen Einstieg in die Gedankenwelt des Origenes.