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Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

33–35

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Chaaya, Dolly

Titel/Untertitel:

Becoming a Fool for Christ. Dispositio and Message of 2 Cor 10–13.

Verlag:

Kaslik: Pusek 2010. X, 380 S. gr.8° = Bibliothèque de l’université Saint-Esprit de Kaslik, 56. Kart. ISBN 978-9953-491-89-9.

Rezensent:

Robert Vorholt

»Becoming a Fool for Christ. Dispositio and Message of 2 Cor 10–13« ist der programmatische Titel der im Frühjahr 2010 in englischer Sprache publizierten, zur Drucklegung leicht überarbeiteten rö­-mischen Dissertationsschrift der libanesischen Ordensschwester Dolly Chaaya. Die Arbeit widmet sich den rhetorischen Argumentationsstrategien des Apostels Paulus, wie sie sich beispielhaft in 2Kor 10–13 abzeichnen. C. weiß um das exegetische Minenfeld, auf das sie sich begibt. Nicht ohne Grund charakterisiert sie die Schluss kapitel des 2. Korintherbriefes gleich zu Beginn ihrer Analyse als einen Schatz, den es zu heben gelte, weil dorniges Gestrüpp ihn verborgen halte. Die Fülle theologischer, literarischer, rhetorischer und hermeneutischer Schwierigkeiten, die sich für die Exegese mit diesen Kapiteln verbinden, lasse den »Tränenbrief« des Apostels für seine Leserinnen und Lesern zu einem umfassenden Frustdokument geraten. Entsprechend vehement fielen auch die exegetischen Debatten aus, die um diese Kapitel in Geschichte und Gegenwart in hypothetischer Dichte ausgetragen worden seien. In be­wusster Ab­grenzung wählt C. einen anderen Weg des exegetischen Zugangs. Redaktions- und literarkritische Analysen klammert sie aus, um sich stattdessen den von Paulus übernommenen klassischen rhetorischen Techniken zu widmen, die ihrer Einschätzung nach ein besseres Verständnis der paulinischen Texte ermöglichen und einen Ausweg aus den vielen exegetischen Sackgassen aufzeigen.
Paulus habe ein hohes rhetorisches Potential entfaltet, indem er immer wieder auf Paradoxien, Ironien und sogar Parodien zurück-gegriffen habe. C. will daher im Anschluss an die rhetorischen Un­tersuchungen von A. Pitta nachweisen, dass die paulinischen Themen aus sich heraus die Wahl bestimmter rhetorischer Mittel begründeten und dass diese umgekehrt die Grundlinien und Um­risse der gesamten Argumentationsstrategie des Paulus veranschaulichen könnten. Zwar gelange man auf diesem Wege keineswegs zu einer detaillierten und angemessenen exegetischen Analyse von 2Kor 10–13, gleichwohl würden durch die Freilegung der rheto­rischen Dispositio des Tränenbriefes die Voraussetzungen für ein theologisches Interpretament allererst geschaffen. Es gehe eben darum, zunächst das »Wie« der paulinischen Argumentation offenzulegen, um so das »Was« zu erschließen.
Die Anlage des Buches ist klar und stringent. Im ersten Kapitel wird der der Analyse zugrunde liegende biblische Text als zusam­menhängende Sinn-Einheit begründet und entsprechend in seiner kontextuellen Einbettung und Abgrenzung beschrieben. Der klassischen exegetischen Suche nach spezifischem Vokabular, das vorsichtige Rückschlüsse auf mögliche literarische Einheitlichkeit bzw. Uneinheitlichkeit eines Textes erlaubt, erteilt C. nach umfassender Untersuchung eine freundliche, aber klare Absage. Die Stichhaltigkeit der Argumente sei am Ende nicht hinreichend. Sie könnten allenfalls unterstützend herangezogen werden, um die rhetorischen Argumentationslinien des Apostels zutage treten zu lassen. Im zweiten Kapitel werden neuere Ansätze exegetischer Autoren vorgestellt, die 2Kor 10–13 auf rhetorische und literarische Strukturen hin untersucht haben. Nach kritischer Einordnung der Modelle entschließt sich C., dem rhetorischen Argumentationsansatz Antonio Pittas (2006) zu folgen und 2Kor 11, 5–6 als argumentatives Zentrum des gesamten Textvolumens 2Kor 10–13 zu markieren. Das dritte Kapitel soll zeigen, dass und inwiefern die rhetorische Grundlegung von 2Kor 10–13 helfen kann, zu verstehen, wie tief die Argumentation im intellektuellen Back-ground des Apostels verwurzelt ist. Nur so könne die Ursprünglichkeit des paulinischen Gedankengangs erwiesen werden. Das vierte Kapitel will darauf aufbauen: Nachdem das rhetorische Genre des »Tränenbriefes« elaboriert wurde, soll der literarische Topos bestimmt werden, der die Argumentation des Apostels unterfüttere. Kapitel 5 bietet eine Analyse der Sprache des Apostels und ihrer argumentativen Stützkraft; Kapitel 6 beleuchtet abschließend die zentrale theologische Thematik, die die paulinische Argumentationsstruktur zu erkennen gibt: das Leben und die Berufung des Apostels als Prototyp christlicher Existenz. Am Ende des Buches steht eine Zusam­menfassung der Ergebnisse, die zeigen will, inwiefern die vorgelegte rhetorisch-theologische Analyse ihre Leserinnen und Leser zu einer neuen Lesart des gesamten 2. Korintherbriefes anleiten kann.
Die Studie C.s stellt neue exegetische Frageperspektiven am Beispiel des 2. Korintherbriefes vor und demonstriert sie in methodisch reflektierter Anwendung. Dies gelingt mit beeindruckender Stringenz und einer Fülle von Einzelbeobachtungen. Wo allerdings hergebrachte und bewährte methodische Pfade verlassen werden, stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit. C. erkennt ausdrück-lich an, dass die rhetorische Analyse eines von vielen Instrumentarien der Exegese ist, die die anderen, insbesondere die historisch-kritischen, nicht ersetzen, sondern ergänzen will. Ihre rhetorischen Untersuchungen scheinen aber ohne den hermeneutisch abgesicherten Input historisch-kritischer Methodik auskommen zu wollen, weil gerade so die Leistungsfähigkeit des sprechakttheoretischen Modells einsichtig gemacht werden kann. Dadurch zieht C. ihrer Untersuchung eine methodische Grenze, die mit Blick auf den theologischen Ertrag nicht folgenlos ist. In der Konzentration auf narratologische Strukturen liegt zugleich die Stärke dieses Buches. Es ist nicht nur ein Plädoyer für methodische Vielfalt, sondern überzeugt vor allem dort, wo es gelingt, das rhetorische Potential des Apostels Paulus aufleuchten zu lassen.