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Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

30–32

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Becker, Eve-Marie, and Anders Runesson [Eds.]

Titel/Untertitel:

Mark and Matthew I. Comparative Readings: Understanding the Earliest Gos­pels in their First-Century Settings.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. IX, 491 S. 23,0 x 15,5 cm = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 271. Lw. EUR 139,00. ISBN 978-3-16-150837-0.

Rezensent:

Matthias Konradt

Der Sammelband dokumentiert die Vorträge des ersten von zwei Symposien, die die Herausgeber des Bandes, Eve-Marie Becker (Aarhus University) und Anders Runesson (McMaster University, Canada), zunächst in Aarhus (25.–27.07.2008), dann ein Jahr später in Kanada gemeinsam veranstaltet haben. Grundlage ist ein komparativer Zugang zum Matthäus- und Markusevangelium, der nach den Ausführungen der Herausgeber in der zehnseitigen Einleitung sowohl einen Beitrag zur Diskussion über das synoptische Problem leisten als auch durch ein »analogy-contrast scheme« (1) Licht auf die einzelnen Evangelien werfen soll. In dem ersten, hier vorliegenden Band liegt der Fokus »on investigating the first Gospels in their first-century C. E. settings« (3).
Die 17 Beiträge sind sieben Rubriken zugeordnet. Die erste Ru­brik ist der Darstellung der neueren Forschungsgeschichte gewidmet, die allerdings nicht komparativ erfolgt, sondern in zwei je für sich äußerst informativen Beiträgen jeweils separat für Mk (Cilliers Breytenbach, Current Research on the Gospel according to Mark: A Report on Monographs Published from 2000–2009, 13–32) und Mt (David C. Sim, Matthew. The Current State of Research, 33–51). Die zweite Rubrik vereint textkritische und linguistische Studien un­ter der Überschrift »Reconstructing the Artifacts: Text-Critical and Linguistic Aspects of the Study of Mark and Matthew«. Die Studien von Barbara Aland (Was heißt Abschreiben? Neue Entwick­lungen in der Textkritik und ihre Konsequenzen für die Überlieferungsgeschichte der frühesten christlichen Verkündigung, 55–76) und Tom­my Wasserman (The Implications of Textual Criticism for Un­derstanding the ›Original Text‹, 77–96) bieten instruktive Auseinandersetzungen mit der in neueren Publikationen mehrfach vertretenen These, dass ein »Urtext« wegen des freien bzw. flüssigen Charakters der Textüberlieferung im 2. Jh. n. Chr. auch nicht annäherungsweise erreichbar sei, tragen allerdings nicht zu dem in der Einleitung von den Herausgebern skizzierten komparativen Zu­gang bei. Letzteres gilt ähnlich für Stanley E. Porters Beitrag »Matthew and Mark. The Contribution of Recent Linguistic Thought« (97–119), der knapp einzelne linguistische Arbeiten zu Mt und Mk referiert, um dann meaningful categories (119) eines linguistischen Zugangs zum Neuen Testament zu skizzieren, die zuweilen mit einzelnen Beispielen aus Mt oder Mk garniert werden.
Die dritte Rubrik (Date and Genre) bietet neben dem Beitrag der Herausgeberin (Eve-Marie Becker, Dating Mark and Matthew as Ancient Literature, 123–143) eine Studie von David E. Aune (Genre Theory and the Genre-Function of Mark and Matthew, 145–175), in der er das MkEv als Parodie der antiken Biographien deutet, während Matthäus, ohne sich des parodierenden Charakters seiner Vorlage bewusst zu sein, die Gattung des MkEv durch die Anfügung von für die antiken Biographien eher typischen Merkmalen (wie Genealogie und Geburtserzählung) transformiert habe.
Die größte, vier ausführliche Beiträge umfassende vierte Rubrik zur Socio-Religious Location wird durch eine Studie von Sean Freyne (Matthew and Mark: The Jewish Contexts, 179–203) eröffnet, in der Freyne – nach einführenden Bemerkungen zur Lage im südlichen Syrien vor und nach dem römisch-jüdischen Krieg – zu erkunden sucht, »how the particular exercises of myth-making that the authors of these two works engage in may become more intel­ligible by suggesting that they are addressing specific problems facing early Jewish Jesus-followers in different contexts within the gener­al region, and at slightly different historical moments« (179 f.). Morten Hørning Jensen (Conflicting Calls? Family and Discipleship in Mark & Matthew in the Light of First-Century Galilean Village Life, 205–231) stellt die Spannung zwischen familiären und seines Erachtens nicht nur afamiliären, sondern antifamiliären Aussagen in der Jesustradition heraus, wie sie von Mk und ganz ähnlich von Mt re­präsentiert wird. Das Augenmerk ist freilich nicht auf einen Detailvergleich zwischen den beiden Evangelien gerichtet, sondern darauf, diesen Befund von neueren Forschungen zum ländlichen Galiläa her zu beleuchten. Jensen geht von relativ stabilen sozialen und familiären (Macht-)Strukturen aus und erklärt von daher die Re­serven, die dem Anspruch Jesu, alles dem andringenden Gottesreich unterzuordnen, entgegengebracht worden sind und aus denen die angezeigte Spannung resultiert. Jensen hat damit allerdings eher einen Beitrag zur Jesusbewegung und ihrem gesellschaftlichen Kontext vorgelegt als einen komparativen Zugang zu Mk und Mt erprobt. Das Fehlen eines komparativen Ansatzes gilt ähnlich für die Studie von Linden Youngquist (Matthew, Mark and Q. A Literary Exploration, 233–261). Youngquist geht von einer (vermeintlichen) Anomalie aus: Mt stehe Q theologisch näher als dem MkEv, habe aber nach Meinung der meisten Exegeten literarisch das MkEv seiner Jesusgeschichte zugrunde gelegt. Demgegenüber greift Youngquist Arbeiten von J. M. Robinson und M. E. Boring auf und sucht durch weitere Beobachtungen die These zu erhärten, dass Q 3–7 die matthäische Komposition bestimme. Dass Matthäus ab 12,1 der Mk-Akoluthie folge, könne damit zu tun haben, dass Q nach Q 7 keine narrative Struktur besitze (260 f.). Wayne Baxter (Matthew, Mark, and the Shepherd Metaphor. Similarities, Differ­ences, and Implications, 263–282) schließlich sucht die unterschiedlichen Verwendungsweisen der Hirtenmetaphorik in Mt und Mk im Blick auf ihre sozio-religiöse Orientierung auszuwerten.
Unter der Überschrift Conflict and Violence sind sodann neben einem Beitrag von Warren Carter (Matthew: Empire, Synagogues, and Horizontal Violence, 285–308), der allein das MtEv behandelt und den die matthäische Jesusgeschichte prägenden Konflikt der Gemeinde mit der Synagoge mit dem von der römischen Oberherrschaft ausgeübten Druck in Beziehung setzt, Studien von Lorenzo Scornaienchi zum Thema »The Controversy Dialogues and the Po­-lemics in Mark and Matthew« (309–321) und von John Kloppenborg über »The Representation of Violence in Synoptic Parables« (323–351) subsumiert. Nach Kloppenborg bewegen sich Gewaltdarstellungen in den Gleichnissen bei Mk und Q in einem realistischen Rahmen, während Matthäus unrealistische Züge einträgt. »Matthew expands the scope and intensity of divine violence so that it is applied both to opponents and to underperforming insiders« (351).
Die sechste Rubrik ist dem Gebrauch von Texten im Zusam­menhang der Bildung von Gemeinden gewidmet (Building Community Using Text). Wie bei den eröffnenden forschungsgeschichtlichen Beiträgen stehen auch hier eine Studie zu Mk (Oda Wisch­meyer, Forming Identity Through Literature. The Impact of Mark for the Building of Christ-Believing Communities in the Second Half of the First Century C.E., 355–378) und ein Beitrag zu Mt nebeneinander. In Letzterem analysiert Anders Runesson (Building Matthean Communities. The Politics of Textualization, 379–408) – ausgehend von seiner die etablierte Matthäusforschung herausfordernden These, die matthäische Gruppe sei aus einer innerphari­säischen Abspaltung hervorgegangen (JBL 127, 2008, 95–132) – die Rolle der Abfassung des Evangeliums im Gemeindebildungsprozess. Eine knapp gehaltene Reflexion über die erste Konferenz in Aarhus von Adela Yarbro Collins (411–414) bildet die kurze siebente Rubrik. Eine ausführliche Bibliographie (415–455) sowie ein Stellen- (459–482) und ein Sachregister (483–491) runden den Band ab.
Das Fazit fällt gemischt aus: In diesem Sammelband findet sich eine ganze Reihe lesenswerter Studien; das Programm eines komparativen Zugangs zu Mt und Mk wird jedoch nur sehr bedingt eingelöst. Vor allem aber bleibt für den angekündigten zweiten Band zu hoffen, dass in diesem die bedeutenden theologischen Themen komparativ untersucht werden.