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Ausgabe:

Januar/2013

Spalte:

19–21

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Lange, Armin, Tov, Emanuel, and Matthias Weigold [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Dead Sea Scrolls in Context. Integrating the Dead Sea Scrolls in the Study of Ancient Texts, Languages, and Cultures. Ed. in association with B. H. Reynolds III. 2 Vols.

Verlag:

Leiden/Boston: Brill 2011. Vol. I: XVI, 454 S. Vol. II: XIX, S. 455–962 m. Abb. 24,0 x 16,0 cm = Supplements to Vetus Testamentum, 140/I u. 140/II. Lw. EUR 239,00. ISBN 978-90-04-18903-4 (set).

Rezensent:

G. Wilhelm Nebe

Die beiden Bände gehen zurück auf die internationale Konferenz gleichen Namens an der Wiener Universität im Februar 2008, eine Kooperation der Hebräischen Universität in Jerusalem und der Wiener Universität mit den Professoren Armin Lange, Emanuel Tov und Dipl.-Theol. Matthias Weigold.
Was die Entdeckung der Kairoer Geniza-Handschriften Ende des 19. Jh.s/Anfang des 20. Jh.s für Geschichte und Kultur des früh- und mittelalterlichen Judentums bedeutet, das bedeutet die Entdeckung der Handschriften vom Toten Meer seit 1947 für Geschichte und Kultur des Judentums Ende der Zeit des 2. Jüdischen Tempels bis zum 2. Jh. n. Chr.
Die Dead Sea Scrolls liegen heute vollständig in wissenschaftlicher Edition vor, in den Discoveries in the Judaean Desert, Band I, Oxford 1955 (dazu D. K. Falk [Ed.], Qumran Cave 1 Revisited, Leiden 2010), bis Band XL, Oxford 2009, abgesehen von Einzelbänden in anderen Editionsreihen.
Mitte und Ziel der Tagung im Februar 2008 und ihrer Veröffentlichung in zwei Bänden waren und sind »die Dead Sea Scrolls im Kontext von« und die Erkenntnis, dass diese Rollen im größeren Kontext der Zeit des 2. Tempels, des rabbinischen Judentums, des frühen Christentums und der Kulturen des östlichen Mittelmeerraumes und des antiken Nahen Ostens zu verstehen sind und dass auch die Dead Sea Scrolls umgekehrt neues Licht auf die sie umgebenden Geschichten und Kulturen werfen (II.XIX). Die beiden Bände vereinen 50 Beiträge, verteilt auf neun Themen.
Grundsätzlich und methodologisch informiert E. Tov, der Chef-Herausgeber der Discoveries in the Judaean Desert-Bänden, über Stand und Aufgaben der naturwissenschaftlichen Arbeiten an den Handschriften (die computergestützte Text-, die C14-, die DNA-Analyse und die Infrarot-Fototechnik), J. A. Loader arbeitet zur Definition von »Text«, J. S. Anderson zu soziologischen Komponenten bestimmter literarischer Gattungen und T. Ilan zur feminis­tischen Exegese von 1QSa.
Um Text und Bibel geht es bei J. Elwolde (1QH und der Psalter, Teil 2), R. Fuller (Mal 3,22–24 in 4Q76 und die primäre Reihenfolge), A. Rofe (Ri 6,7–10 und die Textauslassung in 4QRia, ein Sehfehler des Kopisten). Auf die hebräische und aramäische Sprache vom Toten Meer gehen ein: St. E. Fassberg zusammenfassend; M. Bar-Asher verweist auf zwei Beispiele, wo sich Rabbinisch- und Qumran-Hebräisch treffen; F. Zanella befasst sich mit zwei Begriffen aus dem Wortgottesdienst, E. Eshel mit der Begrifflichkeit in den Maresha-Ostraka und in astronomischen Texten vom Toten Meer. A. Koller beschäftigen die aramäischen Dialekte in und um Qumran, allerdings ohne von den Arbeiten zum Thema von K. Beyer Notiz zu nehmen, und Chr. Müller-Kessler gibt eine ausführliche Darstellung des Standard Literary Babylonian Aramaic der magischen Texte als Erbe des Qumran-Aramäischen, das sie (etwas einförmig) als »Gelehrtensprache« versteht.
Mit literarischen und theologischen Einzelfragen im Lichte der Zeit des 2. Tempels, auch des hellenistischen Judentums einschließlich des Neuen Testamentes befassen sich die Beiträge von M. Ginsburskaya (zur Vorstellung von Sünde und Reinigung in Qumran als Weiterführung biblischer Ideen), B. H. Reynolds III (zum Apokryphon Jeremiae als Aktualisierung und Korrektur von Dan 9–12), M. Segal (Gen 12 in 1QGenApokr XIX,10 ff., GenR 40 und Jub 13), H. Tervanotko (zu 4Q377 2,I 9 über Miryam). Beachtenswert ist die traditionsgeschichtliche Untersuchung zur Melkisedeq-Gestalt in 11Q13 von P. Bertalotto. Auch bei J. H. Ellens geht es um diese, allerdings traditionsgeschichtlich vermischt bis hin zu Heilsfunktionen und Heilsgestalten in einer Gestalt wie in der Christologie des Neuen Testaments, J. D. Hopkins (über die essenische Sicht der Opfer), E. Matusova (über Henoch im alexandrinischen Judentum Philos) und N. Hacham (zur Tradition der Schekina Gottes von 1QS VIII,5–9). Beachtenswert ist der Neuansatz im Verständnis der Melkisedeq-Gestalt von 11Q13 von der »Weisheit als göttlicher Hypostase« her, den U. Mittmann vornimmt.
Von L. T. Stuckenbruck stammt die einzige Begriffsuntersuchung zu qumran-hebräisch »Herz« und »Doppelherz, heuchlerisches Herz« (בלו בל bzw. aramäisch בבלו בבל).
Band II vereinigt Beiträge zu archäologischen und geschichtlichen, zu speziell-theologischen, zu kultisch-rituellen, zu traditionsgeschichtlichen und gattungsgeschichtlichen Themen und schließlich zu Parallelen in Frühchristentum und Kirche, Altem Orient und Hellenismus. Hinzuweisen ist insbesondere auf H. Eshel, leider 2010 verstorben, dass Khirbet Qumran keine Art Herberge und keine römische Villa darstellt, sondern eher die Örtlichkeit einer religiösen Gemeinschaft am Ende der 2. Tempelperiode.
Eines der wichtigsten Kapitel der Bände handelt davon, was den Dead Sea Scrolls zu Kult und Religion in der ausgehenden 2. Tempelperiode insbesondere im Verhältnis zum Rabbinischen Judentum zu entnehmen ist: Mit der »liturgical practice« beschäftigen sich E. G. Chazon, D. Stökl Ben Ezra und R. C. D. Arnold, die beiden Letzteren unter Einbezug ritualdynamischer Kategorien.
L. H. Schiffmann und G. Stemberger fragen nach der Kontinuität und Diskontinuität von Qumran und »Second Temple Literature and Rabbinic Judaism« und M. J. Bernstein sehr differenziert nach dem Verhältnis des Genesis Apokryphons zur palästinischen Targumtradition. – St. C. Reif, einer der Chefherausgeber der HSS der Kairoer Geniza, verweist auf die Bedeutung der Funde der Qumran-Rollen und der Kairoer Geniza, und auch M. Bar-Ilan lenkt den Blick auf nicht-kanonische Psalmen aus der Geniza Antonin Collection St. Petersburg B 798. In einem weiteren Kapitel geht es um die Dead Sea Scrolls und das Frühchristentum; u. a. zeigt K. P. Donfried auf, dass die Dead Sea Scrolls einen »more profound access into the structure and logic of Pauline thought« vermitteln. R. J. Pillinger eröffnet ein neues Feld der Forschung, den Themen-Vergleich Dead Sea Scrolls und (jüdische und) christliche Ikonographie. A. Siquans zeigt Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Hermeneutik der Jesaja-Kommentare in Qumran aus dem 1. Jh. v. Chr. und bei dem syrischen Kirchenvater Theodoret von Kyr0s (435/447 n. Chr.).
Es folgen Kapitel über die Schriftrollen und die antike mediterrane Welt, den Nahen Osten, insbesondere Coelesyrien, und die griechisch-römische Welt (so der Altorientalist G. J. Selz zu Henoch und Henochtraditionen). Besonders erwähnenswert ist der Beitrag von U. Schattner-Rieser, die auf eine unveröffentlichte Rekonstruktionsfassung des aramäischen Levi-Dokuments von J. T. Milik (ge­storben 2006) über die zweite Traumvision mit Himmelsreise in den dritten Himmel (nach dem Gebet) mit 48 der 432 Zeilen des aramäischen Textes (4Q213 + 1Q21) hinweist. J. Dusek beschäftigt der Schutz des Eigentums in den Kaufverträgen vom Toten Meer und den Papyrologen B. Palme der Papyrus Yadin 12 (= Papyrus Babatha 12 = 5/6ãev papExtract from Council Minutes, greek). A. Lange und Z. Pleše vergleichen die allegorischen Auslegungen in den Pescharim (1QpHab und 4QpPs37 = 4Q171 1–10,I,25–II,12) aus dem 1. Jh. v. Chr. und im allegorischen Kommentar zur Orphik des Derveni Papyrus aus dem späten 4. Jh. n. Chr.
Die meisten der 50 Beiträge zeigen den heutigen Stand der Forschung an den Dead Sea Scrolls und verweisen auf das, was in Zukunft noch der genaueren Erforschung bedarf, vor allem auch dadurch, dass der Horizont für die Interpretation der Dead Sea Scrolls erweitert wird. Leider fußen einige der Beiträge weniger auf den Dead Sea Scrolls selbst als auf der Sekundärliteratur bis hin zu etwas waghalsigen Theorien und Textmissverständnissen. Dennoch: Der Stellenwert der beiden Bände zu den »Dead Sea Scrolls im Kontext von« ist nicht hoch genug einzuschätzen.
Die beiden Bände werden abgerundet durch einen »Select Index of Ancient Sources« (935–949) und eine (nicht vollständige) Liste der Beiträger.