Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1407–1408

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Küster, Volker

Titel/Untertitel:

Einführung in die Interkulturelle Theologie.

Verlag:

Göttingen/Oakville: Vandenhoeck & Ruprecht 2011. 304 S. m. Abb. 18,5 x 12,0 cm = UTB 3465. Kart. EUR 22,90. ISBN 978-3-8252-3465-2.

Rezensent:

Werner Ustorf

Tiefgreifende Umbrüche in der Weltchristenheit haben zu verschiedenen Versuchen neuer theologischer Sprachbildung geführt. Ein neuerer Kandidat darunter ist die »interkulturelle« Perspektive. Unter den gegenwärtigen Veröffentlichungen zum Thema (R. Friedli et al. 2010, K. Hock 2010, M. Cartledge et al. 2011, H. Wrogemann 2012) ist die hier rezensierte Einführung von Volker Küster der am deutlichsten strukturierte Versuch, Theologie mithilfe eines erweiterten Kulturbegriffs neu zu beschreiben.
K. kommt aus dem Heidelberger Zirkel um Theo Sundermeier (Hermeneutik des Fremden) und ist gegenwärtig Professor für »crosskulturelle« (etwa: kulturüberschreitende) Theologie in Kampen. Er bringt eine seltene Kombination von Expertisen ins Spiel: eine internationale und ökumenische Lehr- und Forschungstätigkeit in Missionswissenschaft und neutestamentlicher Exegese sowie eine Spezialisierung im Überschneidungsfeld von Religion und christlicher Kunst. Kennzeichnend für K., und darum auch charakteristisch für die Einführung, ist das Bestreben, die theologischen Materialien nicht, wie so oft bei diesem Thema, narrativ oder assoziativ aneinanderzureihen, sondern systematisch und in be­grifflicher Klarheit zu durchdringen. Es ist daher konsequent (und wohltuend), dass K. gut 100 Seiten der Frage von »Begriffen und Methoden« widmet – ein terminologischer Grundkurs, der allerdings nicht viel übriglässt vom Begriff des »Crosskulturellen« (er macht von Homi Bhabhas »Third Space« Gebrauch, was sich ohnehin nicht mit crosskultureller Mechanik verbinden lässt).
Die Einführung offeriert »Prolog« und »Epilog«, und es ist gut, die Lektüre mit diesen beiden Texten zu beginnen, weil im ersten die Grundlegung des Projektes einer interkulturellen Theologie und im zweiten seine Abgrenzung zu alternativen Konzeptionen (von Küngs Projekt Weltethos bis hin zu den Entwürfen komparatistischer und pluralistischer Theologie) beschrieben wird. Der Prolog definiert das Problem der Theologie als Frage der Beziehung zwischen christlichem Glauben und dem (gegenwärtigen) kulturell-religiösen Pluralismus, an dem der Glaube »selbst auch Teil hat«. Damit ist das »Programm« der interkulturellen Theologie von vornherein nicht einfach eines der Kommunikation, sondern, viel grundsätzlicher, des Verstehens. K. startet also von einem der Strukturprobleme einer jeden Rede von Gott. Konkret gesprochen bedeutet dies, dass der Zugang zum Glauben über einen Weg läuft, der aus geschichtlichen Materialien besteht. Die aber sind unausweichlich kontextuell, das heißt zusammengesetzt aus den je verschiedenen religiösen, kulturellen und anderen Bedingungen von Zeit und Ort, was ebenso unausweichlich, aber durchaus abhängig vom Grad dogmatischer Kontrolle, zu einem Pluralismus von Glauben und, dann, Theologien und schließlich Christentümern führt. Die sich daraus ergebenden Chancen und Dilemmata sind das Feld der interkulturellen Theologie insbesondere. Die Be­ son­der­heit ist meines Erachtens eher eine praktische, denn die Grundfrage ist, wie wir gesehen haben, eine allgemein theolo­gische. Aber historisch waren es nun einmal drei theologische Disziplinen, die je auf ihre Weise dieser Frage nachgingen: Missionswissenschaft, Religionswissenschaft und Ökumenik. Die Einführung schlägt vor, interkulturelle Theologie als deren zeitgemäße Nachfolgedisziplin zu betrachten. Diese allgemeine Grundlegung stellt die Struktur zur Verfügung, die nun in der Studie zur Anwendung kommt.
Teil I, der oben zitierte Grundkurs in »Begriffen und Methoden«, ist kritische Wissenschaftsgeschichte und würdigt die verschiedenen theologischen Konzeptionen, mit deren Hilfe eine im Wesentlichen europäische oder westliche Christenheit die entstehenden Christentümer des Südens zu verstehen suchte. Dabei kommen insbesondere die Paradigmenwechsel in den Blick, die sich aus dem »Einbruch der Dritten Welt« in das westliche Bewusstsein speisten und dann zu den genannten neuen Ansätzen führten. Teil II (Di-­mensionen interkultureller Theologie) erkundet, was die Konjunktion »inter« eigentlich meint, wenn wir von »interrreligiös«, »in­terkulturell« und »interkonfessionell« sprechen. K.s faszinierende Beobachtung ist, dass das theologische Reflexionsniveau in diesen drei Diskursen durchaus verschieden und darum die Gelegenheit gegenseitigen Lernens gegeben ist. Eine Perle in diesem Teil ist der theologiegeschichtliche Längsschnitt durch die Produktion der »Ecumenical Association of Third World Theologians«. Teil III, den K. bescheiden untertitelt als »kleine interkulturelle Glaubenslehre«, fragt danach, was (und aus welchen Gründen) in verschiedenen Teilen der Welt geglaubt wird: Christologie, Gotteslehre, Trinität, Ekklesiologie, Anthropologie und Eschatologie. Hier wird greifbar und begreifbar, welche Vielfalt des Glaubens vorhanden ist und wie unterschiedlich der Puls der Weltchristenheit schlägt. Zugleich er-geben sich aus dieser Interpretationsvielfalt neue Möglichkeiten theologischen Verstehens, also einer Repertoire-Erweiterung – auch für die Christen des Westens, die sich vom Aufklärungsparadigma bedrängt fühlen. Die charmante Seite an K.s theologischer Rekonstruktion ist gerade, dass er selbst und für seinen Kontext, und sehr viel deutlicher als sein Gewährsmann Robert Schreiter, das Erbe der Aufklärung nicht aufgeben, sondern »zu Ende denken« möchte. Auch das ist wohltuend und gibt K. eine notwendige Position in der weltweiten Diskussion.
Die Einführung erreicht ihren Zweck bestens, weil sie Leser und Leserinnen zum Nachdenken und zu weiterführenden Fragen anregt. So wird etwa die christentumsgeschichtliche Vielfalt, die in der »kleinen interkulturellen Glaubenslehre« so deutlich zum Ausdruck kommt, in einem dogmatisch konventionell oder mediterran gerasterten Schema vermittelt. Aber es wäre eine interessante Frage, ob dieses Schema auch das ist, welches die Kimbanguisten im Kongo mit ihrer Vorstellung von Kimbangu als Inkarnation des Heiligen Geistes wählen würden, oder konfuzianisch geprägte Christen in China mit ihrer optimistischen Anthropologie, oder die aboriginalen Christen in Zentralaustralien mit ihrer Tradition bedingungsloser innerer Gottespräsenz. Diese Auflistung kritisiert keineswegs das in der Einführung vorgelegte Programm, sie zeigt vielmehr, wie fruchtbar es ist zum Verständnis der gegenwärtigen christentumsgeschichtlichen Situation und, weiter, dass auch das Programm selbst nur ein Teil des fortschreitenden religiös-kulturellen Pluralismus sein kann. K. hat einen materialreichen und dabei systematischen Entwurf interkultureller Theologie vorgelegt, der nicht nur unseren Horizont bedeutend erweitert, sondern auch Wegmarken setzt zur Organisation theologischer Wissenschaft an der Universität.