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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1405–1407

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gebhard, Dörte

Titel/Untertitel:

Glauben kommt vom Hörensagen. Studien zu den Renaissancen von Mission und Apologetik.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010. 350 S. m. 1 Abb. 23,2 x 15,5 cm = Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie, 64. Kart. EUR 64,99. ISBN 978-3-525-62442-5.

Rezensent:

Johannes Zimmermann

Die Bonner Habilitationsschrift von Dörte Gebhard geht aus von der gegenwärtigen Renaissance der Mission in Theologie und Kirche, die sie zusammen mit der gleichfalls als »Außenministerium« der Christenheit betrachteten Apologetik in den Blick nimmt.
Ziel von G. ist es, »die neuzeitliche Mission und Apologetik als Sprachwirkungsgeschichten zu rekonstruieren« (19). Ihr Scheitern wie ihr Gelingen sind sprachlich verfasst. Entsprechend befasst sich das zweite Kapitel mit Sprache und ihren Wirkungen. G. sieht hier die viel beklagte Sprachlosigkeit, aber auch »missionarisches Sprachwüten« (74). Gegen den »Ohnmachtsverdacht« der Worte hält sie fest, »dass Worte mächtiger waren und sind, als innerhalb von Praktischen Theologien häufig angenommen wurde« (97). »Mission und Apologetik geschehen durch genaue Wortwahlen statt durch wortreiche Bekundungen von Sprachlosigkeit und rohe Sprachwut« (98). Ausgehend von dieser »Hochachtung vor den Wortwirkungen« (118) strebt sie »neue Sprachversuche« (119) an. Bloße Sprachmodernisierungsversuche nützen wenig, es geht um eine Sprache, die alltäglich verständlich ist – und zugleich die Fä­higkeit hat, »eben jene Alltäglichkeit zu transzendieren« (145).
Von diesem Ziel weit entfernt sind die »sprachkriegerischen Auseinandersetzungen« (164), denen sich das dritte Kapitel zuwendet. Die Rede von »Heiden« kommt ebenso wie die von »stumpfen Ge­wohnheitschristen« (168, M. Schian) und eine Reihe weiterer »Sprachunkulturen« an den Pranger: Den anderen werden Defizite untergeschoben oder sie werden als bedrohliche Masse gesehen. »Die Mission leidet daran, dass sie die Menschen nicht anerkennt, die sie erreichen will« (185). »Sprachliche Unanständigkeiten« und mora­-lische Verleumdungen jedoch wirken kontraproduktiv bei den Be­troffenen. Dagegen spricht sich G. für Sprachspiele »zu Gunsten der Bezeichneten« aus; »neue Sprachspiele sollten die sprachlichen Verliese, die Imperialismus, Kolonialismus und Intoleranz in missionarische Sprache bis heute gebunden haben, durchbrechen« (190).
Weithin ist es die Schlechtigkeit der Welt, die zur Begründung von Mission herhalten muss – weniger hingegen die Verheißungen. G. zeigt im vierten Kapitel die Problematik der direkten Ableitung von Handlungsoptionen aus Gesellschaftsdeutungen und weist darauf hin, dass diese nicht gerade motivierend wirken. Wo sich der missionarische Veränderungswille auf Organisations- und Strukturreformen konzentriert, wird leicht deren Wirkung überschätzt.
Aber auch »Missionsdistanz« ist für G. nicht überzeugend. Sie hinterfragt das kulturhermeneutische Religions- und Weltverständnis mit seinem »ganz besonders starken« Sendungswillen (248 f.) und plädiert demgegenüber für einen komplementären Zu­gang: »Der christliche Glaube verlangt weder den totalen Kulturkontrast noch ist er mit allem Vorfindlichen so einig, dass alles bleiben sollte, wie es ist« (268).
Das fünfte Kapitel führt die schon angeschnittene Frage nach einem »beständigen enzyklopädischen Ort innerhalb der Theologie« (61) weiter: »Mission rückt die aus den Praktischen Theologien ausgeschiedenen […] Missionswissenschaften erneut ins Blickfeld« (283). Eines der Felder ist die Homiletik. Grundlegend für mis­sionarisches Predigen ist das Einstellen auf die Hörer jenseits des Zauns. Die »Wahlverwandtschaften mit der Homiletik« sind jedoch nicht mit der Absicht verbunden, »Bekehrungspredigen zu restituieren, sondern jedwede christliche Sprachbemühung zu bessern« (300). In der Verbindung von Missionswissenschaften und Exegese wird die mangelnde exegetische Fundierung der Mission durch die »sehr schmalen Textfundamente« 1Petr 3,15 f. und Mt 28,16–20 (303) be­klagt.
Die Stärke der Arbeit liegt darin, dass sie inmitten einer Vielzahl von missionarischen Strategien ein Thema einbringt, das zum evangelischen »Urgestein« zählt: Bei allen Diskussionen um Milieus und neue Angebote legt G. mit spitzer Feder und eigenen Wortkreationen Wert darauf, dass Glaube vom »Hörensagen« kommt und dass deshalb eine evangelische Missionstheologie darauf zu achten hat, dass sich in ihr weder Sprachunkulturen noch eine Wortvergessenheit breitmachen. Mit dem aus Röm 10,17 abgeleiteten Motto strebt G. eine sprachliche Erneuerung von Mission und Apologetik an. In gewisser Spannung dazu steht, dass ihre Beispiele nicht aus der direkten missionarischen bzw. apologetischen Kommunikation stammen, sondern vorwiegend aus der praktisch-theologischen Reflexion.
Die Untersuchung ist thematisch angelegt; die großen Linien und die zeitgeschichtliche Verortung hingegen treten zurück. Es ist erstaunlich und bewundernswert, was G. alles ausgräbt. Die bisweilen florilegienhafte Auswahl der Zitate kann aber auch den Eindruck einer Vorliebe für Skurriles erwecken. Manchmal werden aus wenigen Zitaten pauschale Behauptungen abgeleitet (z. B. 46 f.189). Wenn sich G. dafür ausspricht, auf die Wortwahl zu achten, anstatt Angebote auszuweiten (138), so vergleicht sie Äpfel mit Birnen.
G. sieht im 19. und 20. Jh. vor allem »problematische Aufbrüche und lehrreiche Untergänge« (Umschlag) in Sachen Mission und Apologetik, die weniger zur Nachahmung als vielmehr zur Ab­grenzung Anlass geben. Ein Grund liegt für sie darin, dass »missionarische und apologetische Strategien […] fast immer ohne die Wertschätzung des Vorhandenen, der Erreichten und Gewordenen« auskommen (32). Ihr hingegen geht es um eine »nichtresignative und verständnisvolle Darstellung des Gewesenen, des Gewordenen, der Heutigen« (33). In Bezug auf ihr eigenes Themenfeld, die Geschichte von Mission und Apologetik, bleibt sie freilich hinter diesem Anspruch zurück.
G. weiß: »Im Bösen sind die Beispiele überreichlich. Im Guten sind Exempel zu statuieren und Präzedenzfälle zu schaffen« (205). Ihre Darstellung ist aber wie die von ihr beklagten Predigten: Untaugliche Versuche sind reich bebildert, positive Beispiele deutlich seltener und weniger anschaulich.
Dass bei einer Ausdehnung des Untersuchungszeitraums über 200 Jahre nicht alles einbezogen werden kann, ist verständlich. Bedauerlich ist, wo das zu Urteilen wie dem der mangelnden exegetischen Begründung von Mission führt. Hier wäre ein stärkerer Einbezug der Missionswissenschaften hilfreich; ein Blick in das internationale Standardwerk »Transforming Mission« von David Bosch könnte zeigen, dass die exegetische Begründung von Mission schon wesentlich weiter ist, als G. es beklagt.
Bei alledem zählt G. keineswegs zu denen, die Mission und Apologetik grundsätzlich ablehnen. Neben dem Sprachthema sind ein »vorausschauendes Denken über künftige Sozialität« (215) und ihre »Differenzkultur« (219) ebenso wie das Anliegen einer enzyklopädischen Verankerung von Mission in der Praktischen Theologie wichtige Anstöße für die weitere Forschung. G. führt so mit ihrer Arbeit die neuere Diskussion zu Mission und Apologetik an wichtigen Stellen weiter – und sie zeigt zugleich, dass diese Diskussion noch keineswegs abgeschlossen ist.