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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1404–1405

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Anagnostou, Sabine

Titel/Untertitel:

Missionspharmazie. Konzepte, Praxis, Or­ganisation und wissenschaftliche Ausstrahlung.

Verlag:

Stuttgart: Steiner 2011. 465 S. m. 7 Abb. 24,0 x 17,0 cm = Sudhoffs Archiv. Beihefte, 60. Kart. EUR 68,00. ISBN 978-3-515-09910-3.

Rezensent:

Ulrich van der Heyden

Wenn von christlicher Mission die Rede ist, denken sicherlich nicht wenige daran, dass die europäischen Verkünder des Christentums in Übersee mit Bibel und Kreuz, gefolgt von den Kolonialeroberern mit Gewehr und Peitsche sich über die Welt ausbreiteten. Dieses lange Zeit gepflegte Bild ist in den letzten Jahren von den historischen Wissenschaften gründlich überarbeitet oder zumindest differenzierter ausgestaltet worden.
Natürlich brachten die Missionare beider Konfessionen seit dem 16. Jh. zunächst in Lateinamerika und dann verstärkt im 19. Jh. auf dem afrikanischen Kontinent das Christentum und zerstörten dabei wichtige Elemente der traditionellen Kulturen. Richtig ist auch, dass die Missionare oftmals mit den Kolonialherren Hand in Hand arbeiteten und somit eine Mitschuld an den Verbrechen des Kolonialismus tragen. Aber ebenso richtig ist die Tatsache, dass den indigenen Völkern durch die Mission der Zugang zur Moderne er­leichtert worden ist: so durch die Vermittlung von Lesen und Schreiben, durch die Verschriftlichung der »Eingeborenensprachen«, durch die Verbreitung von westlichem Wissen und Technologien und teilweise auch, indem Missionare in den Auseinandersetzungen mit den Kolonialherren die Funktion eines »Anwalts der Eingeborenen« übernahmen.
Auch so manchen Wissenschaftszweig außerhalb der Linguistik haben Missionare in Asien, Afrika und Lateinamerika begründet, seien es die Völkerkunde, Geographie, Tropenmedizin oder andere akademische Disziplinen. Wie wir in Deutschland durch die spannende Lektüre von Sabine Anagnostou nunmehr auch wissen, ha­ben die Missionare ihr in Übersee erworbenes pharmazeutisches Wissen nach Europa transferiert.
Die als Habilitationsschrift angefertigte interdisziplinäre Studie untersucht die bisher kaum bekannte und doch epochale Missionspharmazie, die Glaubensboten angesichts der desolaten Krankenversorgung in vielen überseeischen Regionen vom 16. bis 18. Jh. entwickelten. Die Missionspharmazie ist eine von den speziellen Umständen vor Ort geprägte Form der Pharmazie, die in der Tradition der mittelalterlichen Klosterpharmazie steht und zugleich den Weg für die Ärztliche Mission des 19. Jh.s bereitete. Die Missionare verfassten charakteristische Handbücher, richteten Ordens­ apotheken ein, die zu überregionalen Zentren der Arzneiversorgung wurden, und setzen einen internationalen Heilmittel- und Wissenstransfer in Gang, der die Entwicklung des Arzneischatzes und der Pharmazie in Europa wie in außereuropäischen Ländern nachhaltig beeinflusste.
Typische Arzneidrogen der Missionspharmazie wie Jesuitenrinde, Ignatiusbohne sowie Brasilianischer Theriak repräsentieren den interkulturellen pharmazeutisch geprägten Wissensaustausch im Kontext der christlichen Mission. Es liegt somit ein Buch vor, welches jedem an der Medizin- und Pharmaziegeschichte Interessierten wichtige Erkenntnisse zu vermitteln vermag und sich auch hervorragend als Präsent eignet.