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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1395–1396

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Ein Mönch der Ostkirche (Gillet, Lev)

Titel/Untertitel:

Das Jahr der Gnade des Herrn. Eine Einführung in das orthodoxe liturgische Jahr. Übers. v. I. Kallis.

Verlag:

Münster: Theophano 2011. 383 S. 19,0 x 12,0 cm = Orthodoxe Perspektiven, 8. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-9809338-8-9.

Rezensent:

Stefan Reichelt

Lev Gillet (1893–1980) veröffentlichte unter dem Namen »ein Mönch der Ostkirche« seine Werke. In bürgerlichem Elternhaus im katholischen Glauben aufgewachsen, studierte er Philosophie, Mathematik und Psychologie, lernte im Kloster Clervaux (Luxemburg) Dom Lambert Beauduin (1873–1960), den künftigen Gründer des Klosters der Union d’Amay-sur-Meuse, heute in Chevetogne gelegen, kennen, mit dem ihn bald eine tiefe Freundschaft verband. Vom Lemberger unierten Erzbischof Andrej Šeptyckij (1865–1944) wurde G. 1924 im Studitenkloster Olesko (Ukraine) geweiht. Nach der Konversion 1928 diente er bis 1938 als Gemeindepriester in Paris unter Metropolit Evlogij Georgievskij (1868–1946), dem mit der Leitung der russischen orthodoxen Gemeinden in Westeuropa Beauftragten und späteren Leiter der ökumenischen Fellowship of Saint Alban and Saint Sergius in London. So wurde der »Mönch der Ostkirche« geistlicher Vater einer weltweiten spirituellen Familie, die den liturgischen Rhythmus zum Leitfaden ihres Strebens hat, die Zeit zu heiligen, indem sie den tiefen Sinn der Jahreskreise, Feste und Sonntage versteht und bewusst erlebt.
Die vorliegende Einführung in das orthodoxe liturgische Jahr, 1971 während pastoralen Wirkens im Libanon fertiggestellt, wurde in den 1970er Jahren durch Deborah Cowan aus dem Französischen (Un moine de l’Église d’Orient: L’an de grâce du Seigneur. Un commentaire de l’année liturgique byzatine) ins Englische übersetzt (The year of the grace of the Lord: a scriptural and liturgical commentary on the calendar of the Orthodox Church by a Monk of the Eastern Church) und versteht sich als Begleiter liturgischer Texte, weniger als »gelehrte Abhandlung«, obgleich es ihr auch nicht an Sachkenntnis mangelt. Auffällig ist die »Klarheit des Stils, verbunden mit einer zwar unauffällig gegenwärtigen, doch nie bedrückenden Gelehrsamkeit« sowie »ein gleichzeitig tiefgründiges, originelles und einfaches Denken.« (Elisabeth Behr-Sigel, 16)
Ines Kallis legt den Text nun in deutscher Übersetzung vor. Erstmals wird das ganze Kirchenjahr beschrieben. Bisher ermöglichten etwa die Arbeiten von Konrad Onasch, z. B. Die drei Kreise der Anbetung (Konstanz 1994) und das Lexikon Kunst und Liturgie der Ostkirche: unter Berücksichtigung der alten Kirche (in veränderter Ausgabe der ersten Auflage 1993), eine gewisse Orientierung. Beide genannten Werke führen jedoch nicht in das gesamte orthodoxe liturgische Jahr ein. Vielmehr beschränken sie sich auf Grundfragen.
Mit seiner Biographie bringt G. sowohl katholische als auch orthodoxe Perspektiven ein, was u.a. in der Terminologie zum Ausdruck kommt, wenn etwa der »Hl. Thomas von Aquin« und der »Hl. Augustin« erwähnt werden und von »Byzanz« die Rede ist.
Beginnend mit der Fastenzeit vor Christi Geburt bzw. dem Advent in westchristlicher Tradition wird das Jahr der Gnade des Herrn durchschritten, wobei nie ein Zweifel zu spüren ist, »dass das Gemeinsame stärker ist, als das Trennende« (10), was dem Werk einen irenischen Ton verleiht. Dabei versteht sich das Buch als Mys­tagogie, als Einführung in die Schätze des Heils in der Zeit.
Ein erstes Kapitel, dem Eintritt in das Jahr der Gnade des Herrn gewidmet (19–80), erörtert die allgemeine Bedeutung des liturgischen Jahres. Ein zweites wendet sich der Adventszeit zu, wobei die jeweiligen Unterkapitel mit den ersten Worten des Sonntagsevangeliums beginnen. Es folgen das der Weihnachtszeit und Epiphanie gewidmete dritte Kapitel (111–168), IV. Die Fastenzeit, V. Die Passionszeit (207–264), VI. Die Osterzeit und Pfingsten, VII. Die Zeit nach Pfingsten (319 ff.); letzteres Kapitel schließt mit dem Unterkapitel Ende des liturgischen Jahres (377–380). Eine durch die Übersetzerin beigegebene Bibliographie rundet den Band ab.
Dem Leser liegt hiermit ein den liturgischen Rhythmus er­schließender Leitfaden orthodoxer spiritueller Identität vor, dessen Lektüre sowohl Orthodoxen als auch Nicht-Orthodoxen empfohlen werden kann und dem nun auch im deutschsprachigen Raum weite Verbreitung zu wünschen ist.
Diese Buchvorstellung beenden sollen Worte des »Mönchs der Ostkirche«: »Das liturgische Jahr ist ein Prisma, das das weiße Licht Christi empfängt und es in verschiedene Farben spaltet. Christus ist das Jahr.« (379)