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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1356–1358

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Lehner, Ulrich L.

Titel/Untertitel:

Enlightened Monks. The German Benedic­tines 1740–1803.

Verlag:

Oxford/New York: Oxford University Press 2011. VI, 266 S. m. 1 Kt. 23,3 x 15,5 cm. Geb. £ 58,00. ISBN 978-0-19-959512-9.

Rezensent:

Reinhold Rieger

Während die philosophische und literaturgeschichtliche Erforschung der Aufklärungszeit schon früh einsetzte und kontinuierlich betrieben wurde, geriet die religiöse, kirchliche oder theolo­gische Aufklärung erst im letzten Viertel des 20. Jh.s deutlicher in den Fokus der historischen Forschung. Zuerst und besonders be­traf dies die protestantische Theologie der Aufklärung, die in Absetzung zu Orthodoxie und Pietismus, aber auch in Wechselwirkung mit beiden und mit der philosophischen Aufklärung be­trachtet wurde. Die später einsetzende Aufklärung im katholischen Bereich fand auch später Beachtung, einerseits weil sie durch die Problematik des Modernismus innerkatholisch verdrängt worden war, andererseits weil lange Zeit stärker die aufklärungskritische ro­mantische Strömung bevorzugt wurde. In der deutschen katho­-lischen Kirchengeschichtsschreibung haben sich im 20. Jh. be­son­ders Rudolf Reinhardt und sein Schüler Konstantin Maier sowie Philipp Schäfer um eine historische Aufarbeitung der katholischen Aufklärung vor allem in Süddeutschland bemüht. In diesem Kontext steht das Buch Ulrich L. Lehners, der den Blick auf die Benediktiner im deutschsprachigen Bereich richtet. Das Mönchtum war in der Aufklärung von verschiedenen Seiten in die Kritik geraten. Dabei wurde und wird auch bis heute immer wieder übersehen, dass die Aufklärung auch in Klöstern Widerhall fand. Diesen blinden Fleck möchte L. in seinem Buch aufhellen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die katholische Aufklärung bei den Benediktinern stärker wirkte als in anderen monastischen Orden. Gründe dafür sieht er in der größeren Freiheit durch Dezentralisierung, in den kommunikativen Netzen zwischen den Klöstern durch Briefverkehr, im Buchaustausch, in wissenschaftlichen Gesellschaften und in der geringeren Scheu vor Kontakten mit Protestanten.
L. behandelt die Aufklärung bei deutschen Benediktinern vor allem sozial- und kulturgeschichtlich und macht sieben Herausforderungen namhaft, denen die Mönche ausgesetzt waren. Die erste von ihm ausgemachte Herausforderung ist die Entwicklung in der Historiographie: Die Mönche von St. Maur, die Mauriner, übten mit ihrer historisch-philologischen Methode einen großen Einfluss auch auf die Wissenschaft in deutschen Klöstern aus. Das monumentale Projekt einer Kirchengeschichte Deutschlands, die Germania sacra, angeregt durch die Mauriner und begonnen von dem Jesuiten Markus Hansiz, strahlte auch auf die benediktinische Historiographie aus. Die zweite Herausforderung stellte der neue Lebensstil dar, der durch die Kultur der Aufklärung geprägt wurde und auch in den Klöstern zu Veränderungen führte, angefangen beim Umgang mit Zeit, über Trinkgewohnheiten und Wohnsituation bis zu den Bildungsreisen, die jetzt auch die traditionell der stabilitas loci unterworfenen Benediktiner unternehmen konnten. Die Herausforderungen durch einen neuen Lebensstil brachten ein neues Verständnis von Freiheit mit sich, das das Verhältnis von monastischem Gehorsam und Gewissen des Einzelnen neu zu be­stimmen erforderte. Dies galt sowohl im individuellen wie im politischen Bereich, wo manche Mönche sich von der Französischen Revolution befreiende Wirkungen versprachen. Besonders wichtig war das Feld der neuen Kommunikationsweisen, das sich die Benediktiner erschlossen. Sie gründeten wissenschaftliche Gesellschaften, auch mit naturwissenschaftlicher Zielsetzung, und veröffentlichten wissenschaftliche Zeitschriften. Exkursartig be­richtet L. über den Einfluss aufklärerischer Ideen auf das klösterliche Straf- und Gefängniswesen. Auch die Flucht von Mönchen aus dem Kloster und der Neubeginn eines nichtmonastischen Lebens waren teilweise durch Ideen der Aufklärung bedingt. Eine weitere Herausforderung stellten neue Rechtstheorien, ausgehend von Pu­fendorf und Thomasius, dar, die ein neues Verständnis des Naturrechts mit sich brachten. Die Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat änderte sich, so dass der Staat auch als Ordnungsmacht für die Kirche und für Klöster gesehen werden konnte. Febronianismus und Jansenismus beeinflussten auch das Rechtsverständnis unter Benediktinern. Schließlich wurden die Benediktiner durch die neuen philosophischen und theologischen Strömungen der Aufklärung herausgefordert. In der Philosophie setzten sich die Benediktiner mit Leibniz, Locke, Wolff, Kant und Fichte auseinander und entwickelten auf dieser Grundlage eine optimistischere Anthropologie. Besonders die benediktinische Universität in Salzburg trug hierzu bei. Allerdings gingen die aufkläre­rischen Bestrebungen der dortigen Lehrer nicht ohne Kämpfe und Anfeindungen ab. Die neue philosophische Orientierung unterstützte empiristische Tendenzen und Methoden bei den Benediktinern. Die Muttersprache als Sprache der Wissenschaft begann auch bei ihnen das Latein abzulösen. Ein katholischer Kantianis­mus ging von Benediktinern in Bamberg und Salzburg aus. Kants Selbstbescheidung des Wissens eröffnete demnach den Weg zum Glauben besser als Rationalismus oder Scholastizismus. Die Theologie erfuhr dadurch eine anthropologische Grundlegung. Konsequenzen da­-raus waren etwa der Ökumenismus Beda Mayrs und die Toleranzforderung Benedikt Werkmeisters.
Die Darstellung ist durch eine Vielzahl von biographischen Fallbeispielen illustriert und untermauert. L. weist auch auf Benediktiner hin, die aus Schottland nach Deutschland gekommen waren und hier aufklärerisch wirkten. So entsteht ein lebendiges Bild der von der Aufklärung beeinflussten benediktinischen Kultur in Deutschland vor 1803, also bevor die meisten Benediktinerklöster des alten Reichs aufgelöst wurden.
Die Titel von zeitgenössischen Veröffentlichungen hätten in der Originalsprache (mit englischer Übersetzung) angeführt werden sollen. Sie fehlen teilweise im Quellenverzeichnis oder sind nicht eindeutig zuzuordnen. Neben der Bibliographie, die die unge-druckten und gedruckten Quellen sowie Forschungsliteratur aufführt, enthält der Band ein Personen- und Ortsregister.