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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1349–1350

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Worthington, Jonathan D.

Titel/Untertitel:

Creation in Paul and Philo. The Beginning and Before.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XIII, 260 S. 23,2 x 15,5 cm = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 317. Kart. EUR 64,00. ISBN 978-3-16-150839-4.

Rezensent:

Stefanie Lorenzen

Die 2010 an der Universität Durham (Francis Watson) eingereichte Dissertation von Jonathan D. Worthington rekonstruiert die paulinische Schöpfungsvorstellung anhand verschiedener Passagen in den Korintherbriefen sowie im Römerbrief. Im Gegensatz zu bisherigen Arbeiten geht es W. dabei nicht um die Schöpfung »nach dem Fall«; stattdessen möchte er zeigen, dass für Paulus auch die nicht sündenbehaftete Schöpfung Gottes bedeutungsvoll ist. Um das Manko fehlender systematischer Schöpfungsauslegungen bei Paulus wettzumachen, zieht W. Philos Genesisinterpretation (aus de opificio mundi) als Hintergrundfolie heran: Auf diese Weise soll das spezifische Profil der paulinischen Ideen hervortreten.
Ein grundlegendes Ergebnis der Arbeit ist, dass sowohl Philo als auch Paulus mit dem Thema Schöpfung drei Dimensionen verbinden: den Anfang der Welt, den Anfang der Menschheit und – hier liegt die Besonderheit – Gottes Willen vor dem Beginn der Welt. Die Arbeit gliedert sich dementsprechend in diese drei Hauptteile.
Der Fokus auf die philonische und paulinische Vorstellung, die Erschaffung der Welt verdanke sich einer guten göttlichen Ab­sicht, führt zu einer der Hauptthesen der Arbeit: W. postuliert, dass dieser Gedanke eines göttlichen Schöpfungsplanes Auswirkungen auf das gesamte Schöpfungsverständnis beider Autoren hat und es allein schon deswegen falsch sei, gerade für Paulus quasi automatisch von einem negativen, weil sündenbehafteten Schöpfungsverständnis auszugehen. Ihre besondere Bedeutung erhält die prälapsarische Schöpfung für Paulus vor allem im Blick auf die Eschatologie: Wie die ersehnte neue Schöpfung (und der »neue« Adam) ist und werden wird, das kann Paulus demnach nur erkennen, indem er auf die »alte« Schöpfung (und den »alten« Adam) blickt und sie als Modell nimmt – eben deswegen, weil sich dort der Schöpfungsplan Gottes spiegelt und weil Paulus davon ausgeht, dass dieser Schöpfungsplan die Vollendung in Herrlichkeit bereits beinhaltet. Das wird besonders deutlich in seiner Argumentation in 1Kor 15,35–44 und impliziert, dass der Gedanke der Kontinuität von alter und neuer Schöpfung in der exegetischen Debatte um 1Kor 15 zusätzliches Gewicht erhält.
Im Unterschied zu dieser »heilsgeschichtlichen« Lesart des Paulus (in der aber zwangsläufig auch eine ontologische Dimension enthalten ist) betont Philo laut W. eher die Vollkommenheit der ontischen Struktur der Schöpfung, die in sich selbst die Möglichkeit der Erlösung und Unsterblichkeit für den Menschen trage – sofern er sich entsprechend tugendhaft verhält.
Durch den Vergleich von Philo und Paulus kann W. auch deutlich machen, dass man den antiken Exegeten flexible Textauslegungen zutrauen sollte: So kann Philo denselben Schöpfungstext (Gen 1,6–2,3) aus zwei verschiedenen hermeneutischen Perspektiven ganz unterschiedlich deuten: einmal als Beschreibung der empirischen, einmal als Beschreibung der noetischen Welt bzw. der dazugehörigen Menschentypen. Ebenso wenig »dogmatisch« erweist sich auch der paulinische Umgang mit dem Adam- und Gottebenbildlichkeitsmotiv: Der Adam der ersten Schöpfung per se kann – auch und gerade in seiner Körperlichkeit – positiv gezeichnet werden (interessanterweise zieht W. hier neben 1Kor 11,7–9; 15,37–41 auch 1Kor 12,12–30 heran). Aus der Perspektive des endzeitlichen neuen Adam allerdings kommt die Unvollkommenheit des alten Adam in den Blick: Er ist eben noch nicht das, was er werden soll, und damit ein »Mängelwesen« (vgl. 1Kor 15,44b–47).
Einen weiteren Akzent setzt die Dissertation, indem sie – in kritischer Auseinandersetzung mit einer These van Kootens – auf Gen 5,3 als entscheidenden Referenzpunkt für die paulinische Vorstellung von der Angleichung (assimilation, z. B. 191) der Gläubigen an ihren »Stammvater« (also Adam bzw. Christus) abhebt. So seien die paulinischen »Eikon-Passagen« in 1Kor 15,48 f.; 2Kor 3,18 und Röm 8,29 alle von dieser Stelle her zu verstehen und nicht, wie van Kooten postuliert, platonischem Einfluss zu verdanken. Die damit verbundene Aufwertung von Gen 5,3 als paulinische Referenzquelle verdient in jedem Fall weitere Beachtung, auch wenn für 2Kor 3,18 und Röm 8,29 ein direkter Einfluss schwer nachzuweisen ist. Im Übrigen könnte man diskutieren, ob der platonische Gedanke der »Angleichung« nicht eine stärker »aktive« Bedeutung besitzt als die aus Gen 5,3 abgeleitete »Abstammung« und daher zur Erklärung der paulinischen Eikon-Stellen hinzutreten sollte.
Eine formale Stärke der Arbeit ist, dass die argumentative Struktur für die Leser stets transparent und gut nachvollziehbar ist und bis zum Schluss durchgehalten wird. Eine stärkere Kontextualisierung des Forschungsthemas hätte den interessanten Ergebnissen der Arbeit mehr Anschlussfähigkeit und damit auch ein stärkeres Gewicht eröffnet.