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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1345–1347

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schlosser, Jacques

Titel/Untertitel:

La première épître de Pierre.

Verlag:

Paris: Cerf 2011. 332 S. 23,0 x 15,3 cm = Commentaire biblique: Nouveau Testament, 21. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-2-204-09257-9.

Rezensent:

Theo K. Heckel

Jacques Schlosser war von 1980 bis 2004 Professor für Neues Testament an der katholischen Fakultät in Straßburg. Er ist durch mehre Publikationen als Spezialist zum 1Petr ausgewiesen und als Herausgeber eines einschlägigen Aufsatzbandes den Fachkollegen bekannt: The Catholic Epistles and the Tradition, BEThL 176, 2004.
Den Kommentar eröffnet jeweils eine französische Übersetzung eines Abschnitts des 1Petr mit knappen Anmerkungen zur Textgestalt und einer Bibliographie zu diesem Abschnitt. Dann folgen zwei getrennte Auslegungsabschnitte, die je mit »interprétation« und »notes« überschrieben sind. Der erste Auslegungsabschnitt nimmt das Textstück insgesamt in den Blick, entfaltet Gedankenlinien im Brief und meidet griechische Vokabeln. Der zweite Ab­schnitt geht versweise dem Brief entlang, bespricht detailliert Einzelheiten und richtet sich an einer Leserschaft mit Kenntnissen in den biblischen Ursprachen.
S. setzt sich mit der internationalen Forschungsliteratur auseinander und referiert knapp mit einer Tendenz zur Vollständigkeit vor allem aktuelle Voten der Fachkollegen. Eine Gesamtbibliographie (15–27) und Spezialliteratur in Blöcken vor den Abschnitten zeigen, dass der 1Petr längst kein Stiefkind der Forschung mehr ist. Knapp 50 Kommentare, davon zehn aus den Jahren 2000 und jünger, listet S. auf (15–17).
Die Einleitungsfragen behandelt S. zusammenhängend vorweg (29–45). Hier wartet er mit keinen Überraschungen auf. Wie die Mehrzahl der Forscher hält er den 1Petr für pseudonymisch und datiert ihn um 80–90 n. Chr. Mit wenigen Beispielen stelle ich seine Auslegung vor. Bei der Gliederung stellt er 1Petr 1,3–12 als Ouver­türe dem Briefkorpus 1,13–5,11 voran, eine m. E. wegen der auf den ganzen Brief ausgreifenden Vorgriffe in 1,3–12 bessere Lösung als die verbreitete Unterordnung des Abschnitts in den 1. Hauptteil.
Den Begriff der »Seele« mahnte R. Feldmeier im 1Petr neu zu bedenken, so in dem Beitrag des durch S. herausgegebenen oben genannten Bandes (dort 291–306) und in einem Exkurs in Feldmeiers Kommentar (ThHK 15/1, 58–60). S. referiert knapp einmal den Ansatz Feldmeiers zu 1Petr 1,9, einer Stelle, die er mit »Rettung der Seelen« wiedergibt (67: »le salut des âmes«). S. grenzt sich dabei sowohl von Auslegungen ab, die etwa das Wort »Seele« durch »Le­-ben« oder »Existenz« ersetzen (»Rettung unseres Lebens«), als auch von radikal dualistischen Positionen, die einen Gott zugewandten Innenbereich einem Gott fernen Bereich des Körpers gegenüberstellen (71 f.). Feldmeiers These von einer eigenständigen Seelenkonzeption zwischen diesen Positionen verfolgt S. nicht weiter.
Dass der 1Petr gelegentlich auch Traditionen voraussetzt, die auf Platon zurückgehen, nennt S. ausdrücklich und m. E. zu Recht zu 1Petr 3,4 (183) und verweist auf die dahinterstehende Tradition vom »Inneren Menschen«, die etwa Elliott in seinem überaus materialreichen Kommentar (AncB 37B, 2000) zur Stelle verschweigt. Die weitreichenden Folgerungen für die geistesgeschichtliche Einordnung des 1Petr, die Feldmeier andeutet, nimmt S. nicht auf. In 1Petr 2,25 übersetzt er zwar »Bischof der Seelen« (164: »épiscope de vos âmes«), erläutert dann aber in den »notes« zur Stelle (178) den Begriff monistisch (»unser Hirte und Bewacher«), ohne auf andere Erwägungen zum Seelenbegriff hinzuweisen.
Zur viel umrätselten Stelle 1Petr 3,19 f. erspart es sich S., die oft schon vorgestellte Forschungsgeschichte zu wiederholen. Eine solche bietet z. B. wiederum die einschlägige Studie von Chad T. Pierce, Spirits and the Proclamation of Christ (Tübingen 2011, WUNT II 305), die S. noch nicht aufgenommen hat. S. konzentriert sich nach einem thesenartigen Überblick auf eine der vielen Deutungen (213–217, notes 226–229). Mit Verweis auf Jud 14 f. und 2Petr 2,2–10 hält S. es für plausibel, dass auch die Leserinnen und Leser des 1Petr mit Henoch-Traditionen gut vertraut waren. 1Petr 3,19 meine, dass der eben auferweckte Jesus den in Gefängnissen festgehaltenen Seelen der Sintflutgeneration das Heil verkünde. Die in 3,19 angesprochenen »Geister« identifiziert S. nicht mit den Toten von 4,6, denen das Evangelium verkündet wird. Vielleicht ist in 4,6 aber eine Erweiterung der in 3,19 punktuell genannten Generation von Ge­rechten vor Jesu Erscheinung angesprochen. Jedenfalls ist mit dem Verb εὐαγγελίζειν in 4,6 eine Heilsverkündigung ausgedrückt, die in das objektlose Verb κηρύσσειν von 3,19 nicht zwingend einzutragen ist, weil dieses Verb auch für eine Unheilsbotschaft verwendet werden kann, wie S. nachweist.
Vier Exkurse enthält der Kommentar (vgl. 329). Es sind knappe, aber gehaltreiche Ausführungen zur Frage, ob im 1Petr Partizipien Imperative ersetzen (93 f. – nach S. sind sieben Stellen im 1Petr so zu deuten), zum Priestertum aller Getauften (141 f.), zu den Doxologien (253 f.) und zur Bezeichnung »Christen« (274 f.). Stellen-, Sach- und Autorenregister erschließen den Kommentar sehr gut.
Der Kommentar bietet auf engem Raum präzise Deutungen zum 1Petr. Wem, wie dem Rezensenten, die Lektüre französischer Fachliteratur nicht leicht fällt, der wird durch die Qualität dieses Kommentars für seine Mühen reichlich belohnt. Dieser Kommentar verdient als eigenständiger Forschungsbeitrag internationale Beachtung.