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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1344–1345

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Redalié, Yann

Titel/Untertitel:

La deuxième épître aux Thessaloniciens.

Verlag:

Genève: Labor et Fides 2011. 174 S. 23,5 x 17,5 cm = Commentaire du Nouveau Testament. Deuxième Série, 9c. Kart. EUR 32,50. ISBN 978-2-8309-1434-4.

Rezensent:

Paul Metzger

Yann Redalié, Professor für Neues Testament an der Facoltà Valdese di teologia in Rom, legt mit seinem Kommentar zum 2. Thessalonicherbrief ein wertvolles Instrument zur Erschließung dieses in vielen Belangen schwierigen Textes vor. Wer sich mit dem Brief näher befasst, muss zunächst die zentrale Frage nach dem Autor des Briefes beantworten. Während im deutschsprachigen Raum überwiegend die Ansicht vorherrscht, dass der 2Thess als pseudepigraphes Schreiben angesehen werden muss, teilt die angelsächsische Forschung diese Einschätzung in großen Teilen nicht, sondern sieht in ihm einen authentischen Paulusbrief. R. umgeht diese Frage zunächst geschickt, indem er sich in seiner Einführung zum Kommentar auf die rhetorische Analyse des Textes konzentriert, verschiedene Gliederungen vorführt und einen überzeugenden »Plan de l’épître« (13 f.) vorschlägt, der die Lektüre des Briefes erleichtert.
Nach dieser ersten Hinleitung zum Text überblickt R. die Forschungsgeschichte zum Brief, was ihn dann doch zur Frage nach dem Autor bringt. Er geht diese sinnvoll an, indem er das Verhältnis des 2. zum 1. Thessalonicherbrief betrachtet. Dies ist deshalb nützlich, weil die Alternative zwischen authentischem und pseudepigraphem Schreiben auch mit der Verortung des Briefes in der pauli­nischen Chronologie zu tun hat. Wer für die Authentie des 2Thess plädiert, ordnet ihn in der Regel nämlich zeitlich sehr nah zur Entstehung des 1Thess. Dies legen z. B. der strukturell ähnliche Aufbau der Briefe oder das gemeinsame Vokabular nahe. Allerdings können diese Beobachtungen auch damit erklärt werden, dass ein späterer Autor einen Paulusbrief bewusst nachahmen will. Da R. aber nicht nur Ähnlichkeiten, sondern auch Differenzen im Bereich der Eschatologie und »de style, de lexique et de ton« (20) feststellt, sieht er sich nach einer umsichtigen und fairen Abwägung der Alternativen zum Schluss gezwungen, dass der 2Thess »un document de l’histoire de la réception de Paul« (25) ist. In diesem Sinn liest R. den 2Thess als »re­-lecture« des 1. Briefes an die Thessalonicher und versteht den 2Thess als Weiterentwicklung der paulinischen Vorgaben, die sich durch die weitergehende Zeit nahegelegt hat. R. vermeidet es aber, diese grundsätzliche Entscheidung zu sehr in die Kommentierung des Briefes einzutragen, so dass die Kommentierung auch für den nützlich bleibt, der an Paulus als Briefautor festhalten will.
Nachdem die Frage nach dem Autor geklärt ist, kann zur eigentlichen Interpretation geschritten werden. Was ist das Anliegen des Briefes? Hier verweist R. auf das zentrale Kapitel des Textes und sieht den Anlass der Abfassung darin gegeben, dass bestimmte Ge­meindeglieder sich durch eine eschatologische Naherwartung verwirren lassen und dadurch aufhören, ihrer täglichen Arbeit nachzugehen (2Thess 2,2; 3,10). Der Brief argumentiert laut R. in diesem Zusammenhang gegen eine mündliche Tradition, da die Verwirrung u. a. durch »ein Wort« (2Thess 2,2) ausgelöst worden sein kann. Er erweist sich deshalb als »une con­firmation de l’enseignement d’origine et une garantie de sa transmission correcte« (26). Die veränderte Kommunikationssituation, auf die der 2Thess reagiert, ist nämlich durch eine »crise de l’attente eschatologique« (31) ge­kennzeichnet, die er bewältigen muss. Deshalb greift er verstärkt apokalyptische Vorstellungen auf und deutet die Zeichen der Zeit für seine Gemeinde so, dass die Naherwartung zwar durchaus aufrecht­erhalten wird, aber keine akuten Auswirkungen auf das soziale Le­ben der Gemeinde hat. Von daher sieht R. richtig, dass 2Thess 2 die Argumentation beinhaltet, die dem Brief seine Überzeugungskraft verleiht.
Sehr übersichtlich und ausgewogen führt R. die Struktur des Kapitels vor (85) und legt sie behutsam als »Partitio« (2,1–2: »Exhortation et mise en garde«; 88 ff.) und »Probatio« (2,3–15: »Le jour de Seigneur n’est pas encore venu«; 99 ff.) aus. R. bemüht sich deutlich, dem Leser seine eigene Interpretation nicht aufzudrängen, sondern nimmt ihn mit in die Argumentation und lässt ihm so den Raum, eigene Entscheidungen zu treffen. Er stellt ihm im Kommentar nicht nur andere Forschungsmeinungen vor Augen, sondern führt auch Quellentexte vor (z. B. 4Esr; ÄthHen), die die eigene Meinungsbildung erst ermöglichen. In Exkursen (z. B. zur Christologie, zum Tag des Herrn oder zum Menschen der Gesetzlosigkeit) legt R. informativ die Grundlagen seiner Entscheidungen offen und erleichtert es dem Leser auf diese Weise nicht nur, seine Entscheidungen nachzuvollziehen, sondern vermittelt ihm auch en passant zusätzliches Wissen, was vor allem studentische Leser zu schätzen wissen dürften.
Das Gewicht der eschatologischen Argumentation (»centre de l’argument«; 109) trägt in 2Thess 2 die Einführung der aufhaltenden Figur: das oder der Katechon. Das »enigme pour l’histoire de la théologie« (109) wird von R. in einem eigenen Exkurs behandelt, wo er zu dem Ergebnis kommt, dass »l’identifaction du katechon respectivement avec l’empire et l’empereur reste une hypothèse forte« (125).
Insgesamt stellt dieser Kommentar einen Gewinn für die Forschungslandschaft zum 2Thess dar und wird hoffentlich weite Verbreitung und viele Leser finden.