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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1341–1344

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kelhoffer, James A.

Titel/Untertitel:

Persecution, Persuasion and Power. Read­iness to Withstand Hardship as a Corroboration of Legitimacy in the New Testament.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XXII, 443 S. 23,2 x 15,5 cm = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 270. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-150612-3.

Rezensent:

Sebastian Fuhrmann

Die Arbeit des an der Universität Uppsala lehrenden Neutestamentlers James A. Kelhoffer befasst sich mit der Frage, wie die Aussagen über Verfolgung und Leiden im Neuen Testament die Entstehung und Etablierung christlicher Identität(en) beeinflussten. Da »claims to persecution and unjust suffering offer a lens through which scholars can study Christian responses to, and constructions of, oppression, as well as the identity derived from such claims« (6), will K., weniger unter Berücksichtigung der historischen Fakten als der pragmatischen Gehalte und der psychologischen Aspekte, der Leidens- und Verfolgungsthematik in neutestamentlicher Literatur nachgehen. Unter der (wohl unzutreffenden und von K. selbst nicht bestätigten, s. u. zu Offb) Prämisse, dass Verfolgung oder un­gerechtfertigtes Leiden bei keinem neutestamentlichen Autor zu einer Statusveränderung im Hinblick auf die Stellung der Leidenden coram deo führten, fokussiert K. auf die durch Selbstbe- oder Zuschreibung erzielte Statusveränderung der als leidend beschriebenen Person im Rahmen des jeweiligen soziokulturellen Kontextes. Mit Rekurs auf P. Bourdieus (Forms of Capital, 1986) Defi­-nition von ›Kapital‹ als nicht nur ökonomischer, sondern auch kultureller, sozialer und symbolischer Größe will K. aufzeigen, dass »[w]ithstanding persecution constitutes a form of cultural capital whose value can […] be transferred into corroboration of standing as Christ’s follower or as a recognized leader« (29). Diese der von den Vertretern der ›rational choice approach to religion‹-Schule vor ca. 20 Jahren schon erarbeitete Konzeption und deren Umsetzung in R. Starks Studie ›The raise of Christianity‹ (1996) nicht unähnliche These wird nun in den folgenden Kapiteln anhand eines Durchgangs durch die neutestamentlichen Schriften breit belegt:
In Kapitel 2 (30–94) verhandelt K. die paulinischen und pseudopaulinischen Briefe, wobei eine Validierung des Leidens in Bezug auf die Adressaten wie auf den Verfasser, (Ps.-)Paulus, auszumachen sei. Leiden und Standhaftigkeit in der Verfolgung seien als Zeichen göttlicher Gnade (1Thess, Phil, auch Röm) sowie geradezu als Be­dingung der Zugehörigkeit zu Christus (2Thess) und Ausdruck des Glaubens (2Tim) zu verstehen. Pauli Reflexion seiner Situation als vormals Verfolgender und nunmehr selbst Verfolgter wirke als Teil seiner Selbst-Präsentation und seines Selbstverständnisses als Kapital bildend für die Legitimation seines Evangeliums (mit Gal; 2Kor; Röm; 1Tim). Eine Umwandlung erfahren diese Zuschreibungen im Kol, da die dort promulgierte Vorstellung der Gemeinde als mit Christus auferstandener Leib keinen Raum lasse für eine Vorstellung des Leidens der Gläubigen. Der Aspekt der Notwendigkeit des Leidens für Christus bleibe indes erhalten und werde, mit Kol 1,24, auf Paulus übertragen, der, als Verfolgter, zugunsten des Leibes Christi leide, was wiederum die Autorität des pseudonymen Autors stärke. In 1Petr, dem das 3. Kapitel (94–126) gewidmet ist, dominiere der missionarische Aspekt des vorbildhaften Ertragens von Leiden. Zudem biete das Leiden in Hinblick auf das Endgericht den Adressaten Sicherheit, insofern jenes das Gerichtsleiden der Adressaten vorwegnehme. Dem Leiden im Hebr ist ein schmales Kapitel (127–142) gewidmet. Mit den Verweisen auf das frühere Schicksal anderer Gemeindemitglieder, die Wolke der Zeugen und Jesus selbst biete der Verfasser des Hebr seinen Adressaten eine Bestätigung ihres Status, weil auch sie zum Leiden bereit seien. Für die Johannesoffenbarung erarbeitet K. im 5. Kapitel (143–182) den Kapital bildenden Charakter des Leidens sowohl in Hinsicht auf den Verfasser der Offb, dessen Leiden seine Vollmacht, u. a. zu er­mahnen, stärke, wie auch in Bezug auf die Blutzeugen, deren Ge­-bete für die Gemeinde wirksam sind. Da Widerstand gegen idolatrische Kulte Teil der Orthopraxie und somit grundlegend für die Erlösung sei, sei das Ertragen kommender Leiden unverzichtbar für den Gewinn symbolischen Kapitals coram deo. Exegetisch am gehaltvollsten ist das Kapitel über Mk (183–225). Den Implikationen der Aufforderung zur Nachfolge, die in Mk als Forderung zur Leidensbereitschaft verstanden werden kann, geht K. auf narrativer Ebene insbesondere in Unterscheidung zwischen gescheiterter (bei den namentlich genannten Jüngern sowie den Frauen am Grab) und geglückter Nachfolge (bei den zum großen Teil anonymen Nebencharakteren) nach. Die Wertschätzung des Leidens in Mk »offers both a promise to those who endure and a warning to others who may consider Jesus’ experience of suffering to be incidental to their own calling as disciples« (222). Das 7. Kapitel verhandelt die Leidensthematik in Mt (226–252); die Zwölf werden, anders als bei Mk, generell positiv, nämlich als bereit, Leiden zu ertragen, ge­zeichnet. Statuserhalt oder -verlust für die Gläubigen in kommenden Verfolgungen seien als akute Möglichkeiten geschildert. Dem Joh widmet K. elf Seiten (253–264). Das Hauptaugenmerk ruht auf den Implikationen des Synagogenausschlusses, der Ankündigung von Verfolgung und der avisierten Tötung einiger Jünger in den Abschiedsreden. Die Kritik am Gottesdienst der Verfolger spiegele das schon in 1Thess und Mt beobachtete Schema wider, dass mit der negativen und positiven Validierung von Verfolgern und Verfolgten die Legitimität der Letztgenannten etabliert würde. In Lk (265–285) gehe es nach K. weniger um Unterscheidungen innerhalb der Jesusbewegung als um die von (jüdischen) Verfolgern und Verfolgten. Allerdings deute Lukas die Verfolgung im Evangelium nur an, um diese vielfältigen Erschwernisse dann in der Apg entfalten zu können. Dieser Entfaltung ist das 10. Kapitel gewidmet (286–351), in welchem K. einen Großteil der Apg recht ausführlich und fast ausschließlich auf Kommentarliteratur referierend paraphrasiert. Ziel ist der Aufweis, dass die mit Leiden und Verfolgung be­fassten Passagen die Absicht hätten, den ›Juden‹ durch ihre Verfolgung der jungen Kirche und ihrer Protagonisten Legitimität als erwähltes Volk ab- und diese der wachsenden, aber verfolgten Kirche zuzusprechen. Zur Stützung und Illustration seiner Überlegungen zeigt K., nach einem zusammenfassenden Abschnitt (353–361) anhand von Martyriumsdarstellungen der älteren (Märtyrerakten nach Musurillo) und der jüngeren (John Fox[e]’s Book of Martyrs) Kirchengeschichte, dass sich die Funktionalisierung des Leidens hin zu einem transferierbaren Kapital auch in diesen Epochen beobachten lasse (361–376).
Ein letzter Abschnitt (376–386) verhandelt die Leidensthematik in Bezug auf die von Brock (Singing the Ethos of God, 2007) erläuterten Ansätze einer neutestamentlichen Ethik. K. verweist hier u. a. auf die religionsphilosophische Fragestellung, ob die Erfahrung von Verfolgung und Stigmatisierung dem Konzept einer Heilsgeschichte bzw. Heilsmythologie vor- oder nachgängig sei.
Insbesondere diesen Aspekt hätte der Rezensent gern stärker thematisiert gewusst, denn dass mit der Thematisierung von Leiden in den neutestamentlichen Schriften wie auch in späterer expliziter Martyriumsliteratur aus textpragmatischer Sicht mehr als nur Trost und Erbauung, sondern eben auch Rechtfertigung und Abgrenzung verbunden waren, ist ohnehin recht evident. Anzufragen wäre allerdings, ob der Verzicht auf eine historische Perspektive den Befund nicht ein wenig verzerrt, ist es doch in Bezug auf die historischen Kommunikationsprozesse eher wahrscheinlich, dass den positiven Charakterisierungen von Leiden das erfahrene Leiden der jeweiligen Adressaten und Verfasser vorgängig ist. Wenn z.B. in Eph und Kol der Verweis auf das Leiden der Gemeinden fehlt, liegt dies doch nicht daran, dass das eschatologisch-ekklesiologische Konzept der realisierten Auferstehung keine positive Deutung des Leidens zuließe, sondern daran, dass das Leiden in ›Ephesus‹ und ›Kolossai‹ aus bestimmten, freilich kaum näher zu erhebenden Gründen kein Thema war. K. sieht im Hebr die drängende Frage gestellt: »In the absence of an environment of oppression or persecution, how does one gain the opportunity to endure hardship as a necessary means for attaining perfection?« (141) Dabei scheint er zu übersehen, dass hier in ers­ter Linie mit der Identifikations- und Vorbildfunktion Jesu eine Begründung für erlittenes Leiden geboten und keine Notwendigkeit zum Leiden postuliert wird.
Abschließend sei auf ein formales Monitum verwiesen: Die Benutzung und Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur in den einzelnen Kapiteln ist uneinheitlich gestaltet, ebenso der Umfang, welcher der detaillierteren Exegese einzelner Passagen gewidmet wird. Dies ist sicherlich dem Umstand geschuldet, dass einige Kapitel schon an anderer Stelle unabhängig veröffentlicht worden sind oder werden sollen.
Insgesamt jedoch stellt die Monographie einen wichtigen Beitrag zur Erhebung der Argumentations- und Bewältigungsstra­tegien frühchristlicher Theologen im Hinblick auf Marginalisierung, soziale Ausgrenzung und Verfolgung dar. ›Kapital‹ in den von Bourdieu ausgearbeiteten Konnotationen bietet eine sinnvolle heuristische Kategorie zu deren Darstellung und Deutung.