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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1337–1339

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Weißflog, Kay

Titel/Untertitel:

Zeichen und Sinnbilder. Die Kinder der Propheten Jesaja und Hosea.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2011. 577 S. 23,0 x 15,5 cm = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 36. Geb. EUR 68,00. ISBN 978-3-374-02852-8.

Rezensent:

Jan Kreuch

In der von Rüdiger Lux betreuten Dissertation untersucht Kay Weißflog diejenigen Texte des Jes- und Hos-Buches, in denen die Propheten Kinder mit einem Namen belegen, in ihrem Kontext (Jes 7 f.; Hos 1–3). Es geht ihm dabei um die Bestimmung ihrer Aussage- und Wirkabsichten als literarische Texte sowie der in ihnen »vorausgesetzten Vorstellungen und Konzepte bezüglich des prophetischen Wirkens sowie deren Herkunft und Entwicklung« (31).
An die Einleitung in Kapitel 1 (11–45) schließt sich in Kapitel 2 (47–85) zunächst eine ausführlich begründete Übersetzung von Jes 7 f.; Hos 1–3 mit detaillierter Textkritik an.
In Kapitel 3 (87–458) nimmt der Vf. eine umfangreiche versweise Textanalyse von Jes 7 f.; Hos 1–3 mit morpho-syntaktischer Oberflächenanalyse vor. Er räumt dabei »der Wahrnehmung der synchronen Gestalt der Texte […] einen methodischen Vorrang vor den notwendigen literargeschichtlichen Überlegungen ein.« (42) Wenn nötig, behandelt der Vf. aber auch diachrone Fragestellungen. Es gelingt ihm dabei, die verschiedenen Kohärenzlinien und Ambivalenzen in den literarischen Kompositionen Jes 7 f.; Hos 1–3 herauszuarbeiten und darzustellen, wie sich die Aussage eines Verses än­dert, je nachdem, ob man ihn für sich oder im Zusammenhang, diachron oder synchron betrachtet.
Der Vf. setzt sich bei seinen Exegesen wiederholt von der Mehrheitsmeinung der Forschung ab. So findet er z. B. in Jes 8,6 eine mit dem historischen Jesaja zu verbindende Stellungnahme zugunsten der syrisch-ephraimitischen Koalition ausgedrückt. Daher seien auch die Namen seiner Kinder (Ein-Rest-kehrt-um [Jes 7,3]; Schnellbeute-Raschraub [Jes 8,3]) »ursprünglich in erster Linie auf das Geschick des Südreiches« (245) zu beziehen. Die Drohungen gegen die syrisch-ephraimitische Koalition in Jes 7,16 und 8,4 sowie die Deutung der Namen auch auf das Geschick der Koalition stellten demgegenüber »ein überlieferungsgeschichtlich späteres Stadium« (247) dar. Dem möglicherweise jesajanischen Immanuel-Orakel (Jes 7,14 ff.) sei es umgekehrt ergangen: Das ursprüngliche Heilswort für das Südreich wurde durch die Einarbeitung in die Denkschrift Teil eines Gerichtswortes gegen es.
In Hinblick auf die Genese von Jes 7 f. geht der Vf. davon aus, dass diese Kapitel »im Verlauf des 7. Jh.s v. Chr. […] im Wesentlichen ihre vorliegende Gestalt erhielten« (252).
Als Kern von Hos 1–3 bestimmt der Vf. den seines Erachtens literarisch einheitlichen Text Hos 2,4–15. Die an dieser Stelle angeklagte Frau ist dem Vf. zufolge ursprünglich als Personifikation einer Stadt, vermutlich Samaria, zu verstehen; die angesprochenen Söhne als ihre Bewohner. Erst in einem zweiten überlieferungsgeschichtlichen Schritt wäre die Frau als das Volk Israel gedeutet worden. Es sei dabei in Hos 2,4–15 nicht an eine Ehefrau Hoseas ge­dacht. Vielmehr sei Jhwh als Ehemann im Blick. Allerdings wäre in Hos 2,4–15 – entgegen der Mehrheitsmeinung der Forschung – nicht von einer Auflösung oder Verletzung einer bereits bestehenden Ehe zwischen Jhwh und der Stadt/Frau die Rede. Vielmehr sei der Text so zu lesen, »dass ein ›Ehe‹-Verhältnis zwischen der ›Frau‹ und Jhwh als ihrem ›Mann‹ zwar als implizite Forderung im Hintergrund des Textes steht, ihre Realisierung aber erst in Hos 2,16–25 […] thematisiert wird.« (381, kursiv im Original)
Hos 1,2–9, der Abschnitt, in dem drei Kinder von Hosea benannt werden (Jesreel, Nichterbarmte, Nicht-mein-Volk), ist dem Vf. zufolge gezielt auf Hos 2,4–15 als narrativer Rahmen hin verfasst worden. Er verortet Hos 1,2–9 dabei im 7. Jh. v. Chr. Auch wenn der Vf. es für möglich hält, dass in diesen Versen vorgegebene Überlieferungen verarbeitet wurden, seien die drei Namensvergaben nicht auf Hosea zurückzuführen, sondern von Jes 7 f. abhängig. Die Na­mensvergaben sind für den Vf. demnach ein literarisches Konstrukt, dessen Formulierung in V. 2 einen Zeugungsauftrag vermissen lässt, so dass er annimmt, dass – mit der möglichen Ausnahme von Jesreel (V. 3 f.) – nicht an leibliche Kinder Hoseas ge­dacht ist. Die Kinder verdankten sich aus Sicht des Textes wohl außerehelichen sexuellen Kontakten der Mutter.
In nachexilischer Zeit seien dem Textbereich Hos 1–3 zunächst Hos 3,1–5 und schließlich Hos 2,1–3.16–25 hinzugefügt worden.
In Kapitel 4 (459–472) bestimmt der Vf. Bedeutung und Funktion der Namen der Jesaja-Söhne in Jes 7 f. Es gelingt ihm dabei zu zeigen, dass hier keine Einlinigkeit auszumachen ist, sondern – wie oben beschrieben – verschiedene Aspekte der Namen aufgrund einer überlieferungsgeschichtlichen Entwicklung zu unterscheiden sind. Der Vf. vertritt die Meinung, dass es sich bei den Namen »nicht um bloße Eigen- oder Gattungsnamen, sondern um Epitheta« (462) handelt: Die Namen machen eine Aussage über ihren Träger. Daher seien die Söhne Jesajas ikonische Zeichen für die Zukunft Judas. Leider wird diese These eher behauptet als begründet. In Hinsicht auf die Pragmatik bestimmt der Vf. die Namen als »appellierende Hinweise auf drohendes, aber nicht unabwendbares Unheil« (465).
In Kapitel 5 (473–499) geht der Vf. u. a. den traditionsgeschichtlichen Hintergründen und der überlieferungsgeschichtlichen Entwicklung der Frauengestalten in Hos 1–3 nach. Er verweist dabei auf die im westsemitischen Kulturraum verbreitete Personifikation von Städten als Frauen und ihrer Einwohner als Kinder, auf die im Alten Orient belegte Vorstellung von der Verbindung einer Stadt mit einer Gottheit sowie auf die in magisch-rituellen Texten und Flüchen nachweisbare Feminisierung des Gegners.
In Kapitel 6 (501–512) vergleicht der Vf. die Namensvergaben bei Jesaja und Hosea. Als Gemeinsamkeit sieht er u. a., dass die Namen bei beiden Propheten im Zusammenhang mit der Deutung von Ereignissen der Geschichte Judas und Israels stehen, »die deren nationale und religiöse Identität gefährden« (501), als Unterschiede u. a., dass Jes 7 f. stärker historisch-konkret geprägt ist, Hos 1 stärker theologisch-grundsätzlich.
An dieser Stelle begründet der Vf. dann auch die – ebenfalls von anderen Exegeten vertretene – These, Hos 1 sei von Jes 7 f. abhängig. Im Wesentlichen argumentiert er dabei neben der Beobachtung, dass derartige Namensvergaben nur an diesen Stellen im Alten Testament belegt sind und dass die Namen in beiden Fällen auf geschichtliche Sachverhalte verweisen, vor allem damit, dass Hos 1 eine inhaltliche Leerstelle von Jes 7 f. fülle: Hos 1 liefert »eine ge­schichtstheologische Deutung des Unterganges des Nordreiches« (510, kursiv im Original), während Jes 7 f. theologisch eher zurück-haltend ist. Es ist also vor allem ein Unterschied zwischen beiden Texten, der die Abhängigkeit belegen soll. Ob diese Argumentation überzeugen kann, erscheint fraglich.
In Kapitel 7 (513–531) bündelt der Vf. die Ergebnisse seiner Arbeit und beschreibt das Prophetenbild von Jes 7 f. und Hos 1–3. U. a. zeigt er, dass in diesen Texten vor allem die Kommunikation zwischen Jhwh und dem Propheten im Vordergrund steht, nicht so sehr die Adressaten der Prophetie und ihre Reaktion. Der Vf. nimmt an, dass auf diese Weise eine größere Unmittelbarkeit zwischen dem literarischen Propheten und dem Leser erreicht werden soll. Im Hinblick auf den Inhalt der Prophetie weist der Vf. auf, dass die Charakterisierung Jesajas als Heilsprophet zu kurz greift und dass bei Hosea im »Gegensatz zur Ebene primär der politisch-nationalen Existenz Judas und (Nord-)Israels in Jes 7 f.« (530) die Beziehungsebene Jhwh-Israel im Vordergrund steht.
Ein Literaturverzeichnis und Bibelstellenregister schließen die Studie ab, die gründlich gearbeitet und methodisch auf dem ak­tuellen Stand der Forschung ist. Insbesondere die synchrone Wahrnehmung der Texte erscheint sehr gelungen. Ob sich der Vf. jedoch mit seiner Annahme zur ursprünglichen Bedeutung der jesaja­nischen Namen und der These, dass Hos 1 von Jes 7 f. abhängig sei, wird durchsetzen können, erscheint dem Rezensenten fraglich.