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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1335–1337

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Tooman, William A.

Titel/Untertitel:

Gog of Magog. Reuse of Scripture and Compositional Technique in Ezekiel 38–39.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XI, 343 S. 23,2 x 15,5 cm = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 52. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-150857-8.

Rezensent:

Christoph Rösel

Nach Auskunft des Vorwortes ist das Buch die überarbeitete und weiterentwickelte Fassung der Dissertation von William A. Tooman aus dem Jahr 2006 an der University of Wisconsin-Madison. Sein Hauptinteresse in der Untersuchung von Ez 38–39 gilt der Wiederverwendung bereits vorliegender Schrifttexte durch den Verfasser der Gog-Orakel (= GO). Innerhalb der in den letzten Jahren erstaunlich produktiven Erforschung dieses spätprophetischen Textes gewinnt seine Arbeit damit ihr spezifisches Profil, etwa gegenüber dem vor allem redaktionsgeschichtlichen Ansatz von Klein, BZAW 391, 2008, dem theologisch-konzeptionellen Vergleich von Biberger, BBB 161, 2011, oder der traditionsgeschichtlichen Untersuchung in Verbindung mit einem Vergleich von MT und LXX bei Rösel, WMANT 132, 2012.
In den methodischen Überlegungen des ersten Kapitels definiert der Vf. Schrift als »those books that eventually became an accepted part of the Hebrew canon« (26). Das Problem der unterschiedlichen Textformen spricht er kurz an, de facto geht seine Arbeit dann vom MT aus. Eine Wiederverwendung der Schrift ge­schieht – wie auch sonst fast immer im Alten Testament – in Ez 38–39 nur implizit. Als Kriterien für die Identifikation einer Wie­derverwendung nennt der Vf. »uniqueness, distinctiveness, multi­plicity, thematic correspondence, and/or inversion« (27). Diese Kriterien können sowohl auf einzelne Ausdrücke und Wendungen als etwa auch auf übergreifende Strukturen angewandt werden.
Das zweite Kapitel klärt das Verhältnis der Gog-Orakel zum Ezechielbuch. Der Vf. findet hier viele Übereinstimmungen im Sprachgebrauch, weist aber auch auf Differenzen hin. Seiner An­sicht nach sind die Gog-Orakel insgesamt eine späte Ergänzung zum Ezechielbuch, die sich bewusst an den Stil dieses Werkes anlehnt. Über Ezechiel hinaus machte der Verfasser der Gog-Orakel auch Anleihen im Pentateuch und in anderen Prophetenbüchern. Darauf geht der Vf. im dritten Kapitel ein und kommt zu folgendem Ergebnis (115): »GO is unlike any other text within the HB. It is pastiche, an extreme example of conflate text. A brand new composition, with a unique argument and suasive intent, was created as a supplement to Ezekiel by combining existing bits and pieces of linguistic material« (Hervorhebung im Original). Mit der Kennzeichnung als »Pastiche«, die von da an in der Arbeit als Leitbegriff verwendet wird, beschreibt der Vf. die Nachahmung des Ezechielstiles, die vielfältige Aufnahme bereits vorliegender Texte und den mosaikartigen Charakter des Ergebnisses.
In einem kurzen vierten Kapitel untersucht der Vf. das Verhältnis von Ez 38–39 zu den von ihm identifizierten Vorbildern der Gog-Orakel in Ez 28,25–26; Ez 6,1–14 und Ps 79,1–4. »Vorbild« definiert er dabei als »literary model or template« (118). Ez 28,25–26 gibt die inhaltliche Grundlinie vor, »the vindication of Yhwh’s name and restoration of his people«, die beiden anderen Texte liefern weitere Aspekte und Motive: »taken collectively, we can find within them virtually every scene and motif that makes up GO« (118). Dass es Beziehungen zu diesen drei Texten gibt, ist unbestritten. Fraglich ist jedoch, ob deren Art und Weise nicht anders bestimmt werden müsste. Nach dem Vf. gibt es keine inhaltlichen Unterschiede zwischen Ez 28,25–26 und Ez 38–39. Das bedeutet jedoch, dass etwa die »Nationen ringsum« (28,26) und »Gog und sein ganzes Heer, vom äußersten Norden« (38,15) miteinander identifiziert werden müssen bzw. Letzteres als bloße Ausschmückung einzuordnen ist. Die Beziehung zu Ez 6,1–14 wie­derum ergibt sich für den Vf. gerade auch durch die Bedeutung der »Berge Israels« in Ez 38–39. Diese haben jedoch in Ez 38–39LXX längst nicht das Gewicht wie im MT, damit ist für dieses »Vorbild« die gewählte Textform entscheidend. Und bei Ps 79,1–4 geht es vor allem um einzelne Motive der Verwüstung und um die Behandlung der Leichen von Kriegsopfern. Der für den Psalm zentrale Bezug zum Tempel fehlt dagegen in Ez 38–39 völlig. Die Bezeichnung als »Vorbild« ließe hier eher noch eine höhere Übereinstimmung erwarten.
Im fünften Kapitel geht der Vf. Ez 38–39 Abschnitt für Abschnitt durch und beschreibt, welche Texte wie aufgegriffen wurden. Die beiden Kapitel erweisen sich dabei für den Vf. als »thematic pas­-tiche«, die Texte aus vielen verschiedenen Büchern des Alten Testaments aufnimmt. Eine besondere Bedeutung haben das bereits vorliegende Ezechielbuch, priesterliche Gesetzestexte und eschatologische Abschnitte zum Gericht über die Völker und über die Wiederherstellung Israels. Exemplarisch soll hier kurz auf die Ausführungen zu 38,1–6, dem ersten vom Vf. untersuchten Abschnitt, eingegangen werden. Der Name »Gog« wurde demnach aus Num 24,7 (LXX, Sam. Pent. u. a.) entnommen (140), Magog und die meis­ten Völkernamen stammen aus Gen 10, Ez 27 und Jes 66,19 (147). Beziehungen zwischen diesen verschiedenen Texten sind, wie schon gesagt, unstrittig. Es überrascht jedoch, wie selbstverständlich Ez 38–39 vom Vf. immer als nehmender Text vorausgesetzt wird. Für Jes 66,19 hätte eine umgekehrte Abhängigkeit zu­mindest diskutiert werden können. Und auch für Num 24,7 müsste erklärt werden, wieso im MT dann die Verbindung zu Ez 38–39 durch eine Veränderung von »Gog« in »Agag« gekappt wurde.
Das letzte Kapitel fragt übergreifend nach Methoden, Auswirkungen und Motiven in der Wiederverwendung bereits vorliegender Schrifttexte in den Gog-Orakeln. Bei den Methoden differenziert der Vf. zwischen der Ebene der Gesamtkomposition, die durch die »Vorbilder« (vgl. zu Kapitel 4) geprägt wurde. Auch die einzelnen Ab­schnitte wurden dem Vf. zufolge jeweils vor allem durch einen Modelltext beeinflusst. Innerhalb der einzelnen Abschnitte oder Verse werden darüber hinaus außerdem hunderte von Wendungen und Ausdrücken aufgegriffen, die den Gog-Orakeln ihr ezechie­lisches Gepräge geben und ein komplexes Gebilde von biblischen Gedanken und Formulierungen entstehen lassen. Ein vergleichbares Vorgehen findet der Vf. auch in anderen Texten aus der Zeit des 2. Tempels; das demonstriert er an 1Henoch 14,8–25, 11QT 59,2–13a und 1QHa 11,6–19. Dabei fällt allerdings auf, dass diese Vergleichs­texte jeweils deutlich kürzer sind als die Gog-Orakel und längst nicht deren Komplexität erreichen. – Der Umgang des Verfassers der Gog-Orakel mit seinen Vorlagen zeige schließlich, »that his source texts are authoritative, cohesive with one another, and (still) relevant. In short, they are Scripture« (269, Hervorhebung im Original).
Dem Vf. ist mit dieser Untersuchung eine sehr lesenswerte und überaus anregende Arbeit gelungen, die die Diskussion um Ez 38–39 und die Frage der innerbiblischen Schriftauslegung bereichert und weiterführt. Es bleibt abzuwarten, ob sich alle Annahmen in gleicher Weise bewähren werden, doch im Blick auf die behandelten Themen wird man das Buch in jedem Fall mit Gewinn zur Hand nehmen.