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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1332–1335

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schäfer-Lichtenberger, Christa [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Samuelbücher und die Deuteronomisten.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2010. 169 S. m. Tab. 24,0 x 16,0 cm = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 188. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-17-021238-1.

Rezensent:

Thomas Naumann

Seit einigen Jahren arbeitet eine internationale Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an der Erforschung der Samuelbücher. Sie treffen sich zu »Samuel-Seminaren« auf den großen Fachtagungen oder auf speziellen Symposien und publizieren ihre Ergebnisse in einer Reihe von Sammelbänden (vgl. OBO 206 [2004, hrsg. von W. Dietrich], BETL 232 [2010, hrsg. von E. Eynikel/A. Graeme Auld], OBO 249 [2011, hrsg. von W. Dietrich]). Der von der Bielefelder Alttestamentlerin Christa Schäfer-Lichtenberger herausgegebene Sammelband macht die Vorträge des Samuel-Seminars während des XIX. IOSOT Kongresses in Ljubljana (2007) zu­gänglich. Das Charmante dieses Bandes besteht u. a. darin, dass sich jeweils zwei Aufsätze mit einem Text/Thema beschäftigen, und jede Autorin, jeder Autor mit einer kurzen Erwiderung auf den Text des Kollegen/der Kollegin reagieren kann. Gerahmt werden diese Doppelreferate und Responsen durch einen knappen Essay von Walter Dietrich (Bern) über neuere Tendenzen der Samuel­-forschung (Text, literaturwissenschaftliche Ansätze, Literaturgeschichte und Geschichte). Seine umfangreiche Darstellung der Forschung seit 1995 erscheint 2012 in der Theologischen Rundschau. Ein Aufsatz der Herausgeberin, dem kein Pendant an die Seite ge­stellt ist, beschließt den Band.
Das erste Drittel des Werks wird durch zwei Beiträge renommierter Linguisten bestimmt, die sich mit dem Erzählstil der Samuelbücher im Kontrast zu deuteronomistischen Prosatexten beschäftigen. Während die traditionelle Untersuchung deutero­nomistischer Sprache sich vorwiegend an Wortphrasen und formelhaften Wendungen orientiert, nimmt Mats Eshkult (Uppsala) einige syntaktische Eigenheiten aus drei unterschiedlichen Erzählkorpora in den Blick: Daviderzählung (Court History), Prosatexte deuteronomistischer Provenienz sowie nachexilische Erzähltexte (Nehemia, Esra, Chronik). Im Ergebnis ist der stilistische Unterschied besonders zu achämenidischen Erzähltexten signifikant. Nur 2Kön 17 gehört in dieses späte stilistische Milieu, während die »verbal syntactical patterns« der übrigen deuteronomistischen Prosatexte sich stärker an ältere Vorgaben anlehnen. Aus stilistischen Beobachtungen muss sowohl die These Noths von einem einzigen im Exil schreibenden deuteronomistischen Verfasser wie auch die These von J. van Seters, wonach die Thronfolgegeschichte Davids aus nachexilischer Zeit stammt, zurückgewiesen werden.
In seiner elaborierten syntaktisch-stilistischen und soziolin­guis­tischen Analyse untersucht Frank Polak (Tel Aviv) den Erzählstil der Daviderzählungen (Corpus A) und vergleicht ihn mit deuteronomistischen und prophetischen Erzählungen (z. B. 1Kön 16, 23–22; 2Kön 22 f.; Jeremia) der spätvorexilisch/exilischen Zeit (Corpus B). Seine Parameter sind »noun groups«, »the number of explicit sentence constituents immediately dependent on the predicate, e. g., explicit subjects« sowie Hypotaxis und die komplexe Subordination von Sätzen. Diese Parameter werden jeweils statistisch erhoben und abgestützt. Während für Corpus B ein »elaborate style« zu erkennen ist, der bereits eine breitere Schriftkultur voraussetzt, findet sich in Corpus A ein Erzählstil, der sich an mündliches Erzählen anlehnt und seine literarischen Techniken von hier aus gewinnt. Polak nennt ihn »lean style«, der in Reinform oder auch in elaborierter Form zu finden ist. Dieser »lean style were written down on the basis of oral literature and for whom the conventions of literary narrative were those of oral literature« (67). Der stilistische Unterschied zu Corpus B ist signifikant und lässt an ein literaturgeschichtlich früheres Datum der Entstehung von Corpus A denken. Diese Stilanalyse korrespondiert mit literaturgeschichtlichen Modellen, die an eine Entstehung des Gros der Davidüberlieferung vor 800 v. Chr. denken. Nur wenige Segmente (1Sam 2,27–36; 17,25–31.55–18,6; 2Sam 6–7) nähern sich dem Erzählstil von Corpus B an, während selbst klassisch als deuteronomistisch an­gesprochene Erzähltexte (1Sam 7–8; 10,27–27; 12) einen Erzählstil zeigen, der sich von den umliegenden Texten wenig unterscheidet. Anders als Eshkult sucht Polak seine Befunde literatursoziologisch zu verorten. So findet sich auch eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Orality/Scripturality-Problem.
Die beiden folgenden Referate beschäftigen sich mit 2Sam 10–12 (Batscheba – Urija – David). Zunächst zeichnet Baruch Halpern (Penn State University), der Altmeister der Historiographie, die politischen und kriegerischen Konstellationen in die politische Landschaft vor dem Aufstieg von Damaskus zur regionalen Ordnungsmacht Mitte des 9. Jh.s v. Chr. ein. Die frühe Erzählung von Davids Ehebruch und Mord Urijas (mit 2Sam 12,1–15a) wird als Wendepunkt in seiner Karriere dargestellt. Doch geht es dem Er­zähler vor allem um die Legitimierung der Dynastie und darum, Salomo (historisch eigentlich ein Sohn Urijas!) als rechtmäßigen Davidsohn zu erweisen. Das dynastische Anliegen in 2Sam 10–12 wird in der Studie von Regine Hunziker-Rodewald (Strasbourg) bestätigt, die einen narratologischen Zugang wählt und sich mit einigen Aspekten in 2Sam 11,1–8 befasst. Batscheba werde als Frau gezeichnet, die selbstbewusst und raffiniert den Ehebruch betrieben hat und dabei vielleicht auch auf Rechtsregelungen setzte, die Überlebensstrategien für Frauen bei längerer Abwesenheit ihrer Männer durch Krieg bzw. Gefangenschaft vorsahen. Auch der Tod Urijas sollte nicht den Ehebruch vertuschen, sondern nur verhindern, dass der heimkehrende Krieger rechtliche Ansprüche auf Frau und Kind geltend machen konnte. David hingegen werde auf unterschiedlichen Feldern offen, »niemals aber boshaft« (103), als Gesetzesübertreter gezeigt (Ehebruch; Reinheit/Unreinheit; Hei liger Krieg; Eigentumsrecht u. a.). Hunziker-Rodewald sieht in solchen Anspielungen eine hoch entwickelte Rechtsgelehrsamkeit am Werk, bleibt aber in ihren Rechtsvergleichen recht allgemein. Aus schriftkulturgeschichtlichen Erwägungen wird an eine erste Schriftfassung nicht vor dem 8. Jh. gedacht, wobei Halperns Argument, dass die Szenerie des Krieges unbedingt die politische Situation vor der Mitte des 9. Jh.s reflektiere, undiskutiert bleibt. Eine ältere Erzählfassung gehe davon aus, dass das Kind des Ehebruchs darum sterben musste, weil im Zeugungsvorgang die Reinheitsvorschriften verletzt wurden, während erst der deuteronomis­tische Ergänzer (2Sam 12,1–15a) den Schuld-Strafe-Zusam­men­hang einführte.
Zwei Aufsätze widmen sich der Überlieferung von 1Sam 18. Zunächst bietet Johannes Klein (Bern/Fogarasch) ein rezeptionsästhetisch fundiertes »close reading« der Endgestalt von 1Sam 18 im Rahmen der David-Saul-Geschichte. Er sieht textliche Kohärenzstörungen vor allem als Leerstellen, die vom Leser zunächst provisorisch, im Vollzug der Lektüre dann »immer wieder von neuem und auf ganz andere Weise ausgefüllt werden und Auslöser für ästhetisches Erleben« sind. Auch wenn unterschiedliche Hände bei der Endgestaltung am Werk sind, ist deren jeweilige Intention für den Endtext doch unerheblich. Besonders das Letztere bestreitet Hans-Christoph Schmitt (Erlangen) mit einer literar- und redaktionsgeschichtlichen Analyse von 1Sam 18, in der er 18,5–16*.20–30* einem vordeuteronomistischen Erzählwerk über die Entstehung der Daviddynastie zuweist, »das in die Zeit um 700 zu datieren sein dürfte« und mit seiner Darstellung Sauls als tragischer Figur, die voller Verzweiflung immer wieder das Mitsein Jahwes mit David erkennen muss, »die Intention verfolgte, die Bevölkerung des untergegangenen Nordreichs für eine Orientierung an der Daviddynastie zu gewinnen.« (127) DtrH (18,1–5*) arbeite besonders Davids mit dem Jonatanbund eingegangene Verpflichtungen ge­genüber dem Nachkommen Sauls heraus und parallelisiere diese mit 2Kön 25,29–30 (Begnadigung Jojachins am babylonischen Hof). Erst ein spätdeuteronomistischer Redaktor (18,17–19) verbinde David mit nachköniglichen Formen der Herrschaft und zeige ihn als »Führer der Kriege des einen Gottes Jahwe«, ähnlich wie in der Endfassung der Goliatgeschichte.
In ihrem den Band beschließenden Aufsatz wendet sich Christa Schäfer-Lichtenberger (Wuppertal/Bethel) den berühmten Frauenreden in den Daviderzählungen zu. Anders als in der chronistischen Darstellung nehmen Frauen wie Michal, Abigail oder die weise Frau von Tekoa in den Samuelbüchern wichtige Funktionen in der Biographie Davids ein. Ihre ausgefeilten Reden markieren Schüsselstellen für den Verlauf des Geschehens. Dabei scheinen diese Frauen (anders als männliche Gesprächspartner Davids) »die vorgegebenen Machtstrukturen zu ignorieren und führen dadurch zur Lösung der Krise« (133). Im Zentrum steht eine ausgefeilte, auch an Frank Polak geschulte sprachlich-stilistische Analyse der Redepartien in 1Sam 19,8–17, 2Sam 6,20–22 (Michal); 1Sam 25 (Abigail); 2Sam 14 (Frau von Tekoa). Sowohl in 1Sam 25 als auch in 2Sam 14 ist eine kürzere Rede der Grunderzählung später literarisch und theologisch zu Paradigmen des Triumphs weiblicher Beredsamkeit ausgearbeitet worden. Während Veijola diese Bearbeitungen dem Deuteronomisten zuwies, spricht sich Schäfer-Lichtenberger für eine vordeuteronomistische Bearbeitung im Jerusalemer Gelehrtenmilieu aus, das aber auch die Weisheitstradition mit einschließen müsste, die hier seltsamerweise unberücksichtigt bleibt.
Insgesamt vermitteln die Beiträge inhaltlich und methodisch vielfältige Einblicke in eine vitale Forschungsszene. Der Herausgeberin gebührt Dank für die sorgfältige Edition dieses empfehlenswerten Bandes.