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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1331–1332

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Saur, Markus

Titel/Untertitel:

Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2012. 168 S. 24,0 x 16,5 cm = Einführung Theologie. Kart. EUR 14,90. ISBN 978-3-534-23933-7.

Rezensent:

Georg Freuling

1987 erschien die seither weit verbreitete »Einführung in die alttes­­tamentliche Weisheitsliteratur« von H. D. Preuß. Eine Einführung unter Aufnahme neuerer Forschungsergebnisse stand aus; somit ist der Band, den M. Saur nun vorlegt, ausdrücklich zu begrüßen.
In der Einführung (I.) bietet S. unter Rückgriff auf die klassische Formulierung G. von Rads (»Weisheit in Israel«) unter dem Stichwort »Erfahrungswissen« eine vorläufige Beschreibung weisheitlichen Fragens und Denkens, die er mit den zentralen hebräischen Termini und der Form des parallelismus membrorum verbindet. Neben dem Ort der Weisheitsliteratur im alttestamentlichen Ka­non erläutert er den altorientalischen Kontext unter kurzer Einbeziehung der »griechischen Weisheitstradition« und die wichtigsten Etappen der (ausschließlich) deutschsprachigen Forschung, angefangen bei Gunkel bis Westermann und Golka.
Dem folgen in den Kapiteln II–IV Erläuterungen zu den kano­-nischen Weisheitsschriften, die jeweils mit einem einleitenden Abschnitt (»Einordnung«) beginnen. Darin geht S. in unterschiedlicher Dichte auf Aufbau, Formgeschichte, Redaktionsgeschichte und Datierung ein; kurze Orientierungen über Leitworte und/oder theologische Fragestellungen folgen (z. B. bei Proverbia: konnek­tive Gerechtigkeit, Tun-Ergehen-Zusammenhang, Gottesfurcht; bei Hiob: Leid, Souveränität Gottes; bei Kohelet: Lebensfreude, menschlicher Gewinn, haebael). Seine eigene, dabei bereits angedeutete Position entfaltet er dann in den folgenden Passagen, in denen er die Abschnitte der jeweiligen Schrift (bei Kohelet ausgewählte Abschnitte) mit unterschiedlichen Akzentsetzungen (literargeschichtlich oder theologisch) vorstellt.
Seine Darstellung drängt in diesen Kapiteln allerdings zu einigen kritischen Rückfragen; in diesem Rahmen seien nur zwei genannt: Ist die Auswahl der exegetischen Literatur, auf die S. zurückgreift, ausgewogen? – So vermisst der Rezensent etwa in Kapitel III einen Hinweis auf die Arbeit Keels (Jahwes Entgegnung an Ijob), der die exegetische Diskussion der Gottesreden einige wichtige Impulse verdankt; Einblick in die damit verbundenen Fragestellungen hätte auch diese Darstellung vertragen, wie sich dann im theologischen Ertrag zu den Gottesreden zeigt.
Kann darüber hinaus eine schöpfungstheologische Grundierung weisheitlichen Denkens (54 f.) auch für die älteren Spruchsammlungen vorausgesetzt werden? Nicht ohne Grund argumentieren andere Arbeiten hier vorsichtiger (vgl. nur die behutsame theologiegeschichtliche Differenzierung bei von Rad, Weisheit in Israel, 396).
In Kapitel V geht es dann um die wichtige Frage nach den »Spuren weisheitlichen Denkens in der Hebräischen Bibel«. Zu Recht betont S. hier die Bedeutung der Formgeschichte; dass darüber hinaus inhaltliche Zuordnungen unpräzise sein können, zeigt sich dann auch in der folgenden Darstellung (z. B. beim Buch Rut). Konkret geht S. auf die wichtigsten Weisheitspsalmen (1, 19, 119 – ausführlicher 49 und 73) ein, stellt (orientiert an H.-P. Müller) die Gattung der weisheitlichen Lehrerzählung vor (Josephsnovelle, Esterbuch, Danielerzählung, Rutbuch und Paradieserzählung) und ordnet die weisheitlichen Einflüsse auf die Prophetie den Tradentengruppen der Prophetenbücher zu (entgegen vor allem H. W. Wolff, der hier die »geistige Heimat« des Propheten selbst suchte).
Im VI. Kapitel bietet S. kurze Überblicke über die apokryphen Weisheitsschriften (Sirach, Sapientia Salomonis, Tobit) mit einem Exkurs zu den weisheitlichen Qumranschriften. Sein Grundverständnis der alttestamentlichen Weisheit skizziert er abschließend in Kapitel VII (»Die theologische Bedeutung der Weisheitsliteratur«).
Somit liegt eine aktuelle Einführung in die alttestamentliche Weisheit vor. Positiv hervorzuheben sind vor allem die formgeschichtlichen Erläuterungen in den einzelnen Kapiteln und die Ausführungen zur Weisheit im Alten Orient (15–30). Allerdings stellt sich daneben auch die Frage, ob eine Einführung derart starke Positionierungen verträgt. Demnach erscheint die Weisheit Israels zu­letzt (155 f.) weniger als integrierter Bestandteil der Hebräischen Bibel; ihre theologische Bedeutung liegt vielmehr gerade in ihrer Abständigkeit als »Korrektiv« (so 155!) zu anderen theologischen Traditionen (Internationalität versus exklusives Verhältnis JHWHs zu Israel, Erfahrungsbezug versus Heilsgeschichte), auch wenn S. dann anschließend betont, sie sei »kein Fremdkörper innerhalb des Alten Testaments«. Unbeschadet dessen ist ihm ausdrücklich darin zuzustimmen, dass die Annahme einer »profanen« Weisheit ebenso un­sachgemäß ist wie die Rede von ihrem Scheitern. Hier sieht der Rezensent 25 Jahre nach der Einführung von Preuß tatsächlich einen Fortschritt.